Süddeutsche Zeitung

Haute Couture:Kreuzberger Mode für Lady Gaga, Taylor Swift und Janet Jackson

Lesezeit: 5 min

Die Berliner Designerin Marina Hoermanseder macht Mode im Look orthopädischer Lederkorsetts - und ist ein Liebling der Hollywoodstars. Ein Atelierbesuch.

Von Jan Kedves

Was braucht ein Designerlabel, um sich ins kollektive Modegedächtnis einzubrennen? Versace hat seinen Medusenkopf und die neobarocken Prints mit Goldornamenten. Chanel hat die falschen Perlenketten und das Tweedkostüm, das selbst in unterschiedlichsten Varianten sofort wiederzuerkennen ist. Die österreichische Designerin Marina Hoermanseder hat: die Gürtelschnalle und den Look orthopädischer Leder-Orthesen und -Korsetts. Auch daraus lässt sich viel machen - wie seit einiger Zeit auf Instagram, im Fernsehen, auf Sektflaschen, Sneakers und in Modemagazinen zu sehen ist.

Hoermanseder, 33, ist derzeit die wohl raffinierteste Modeunternehmerin im deutschsprachigen Raum. Denn sie bedient - was nicht vielen Designern gelingt - zwei Märkte gleichzeitig: den für erschwinglichen Konsum-Nippes mit viel Markenzeichen drauf (in ihrem Fall ist das eben eine recht durchschnittliche Gürtelschnalle aus Metall) und den Markt für spektakuläre Haute Couture, die auf dem roten Teppich getragen wird, im Musikvideo oder zu einem anderen besonderen Anlass. Nicht nur Staatsministerin Dorothee Bär sorgte im April in einem figurbetonten Hoermanseder-Outfit für Aufsehen, auch die Popsängerin Janelle Monaé trug kürzlich eine mit schwarz-weißem Gitternetz lackierte Lederskulptur, und Dita Von Teese ließ sich im strassbesetzten Hoermanseder-Glitzerbustier fotografieren. Die prominentesten Namen sind da noch gar nicht genannt: "Nicki Minaj, Lady Gaga, Taylor Swift, Kylie Jenner, Kourtney Kardashian, Janet Jackson - das hat alles die Agentur binnen kürzester Zeit gemacht", freut sich Hoermanseder in ihrem Atelier in Berlin-Kreuzberg.

Wenn Taylor Swift die Bluse in einer anderen Farbe will, wird in Kreuzberg nachts gearbeitet

Mit "die Agentur" ist "The Residency Experience" gemeint. In dem Showroom auf dem Santa Monica Boulevard in West Hollywood, Los Angeles, gehen die Stylisten der Stars ein und aus und leihen sich Teile für ihre Klientinnen. Die Zusammenarbeit, begonnen im vergangenen Jahr, hat Hoermanseders Label, das sie 2013 in Berlin gegründet hat, noch einmal sehr viel mehr Aufmerksamkeit verschafft. Sie und ihr circa 15-köpfiges Team müssen jetzt ständig Pakete per Express in die USA senden, weil die Stars Hoermanseder lieben. Und wenn, wie kürzlich, Taylor Swift für einen Videodreh eine Bluse aus der neuen Kollektion noch einmal in einer anderen Farbe will, dann wird in Kreuzberg gern eine Nachtschicht eingelegt.

Der Aufwand lohnt sich: "Ich bekomme die Kompetenz-Zuschreibung aufgrund der Stars, die mich tragen", sagt Marina Hoermanseder. Die alte Krux: Wenn es von einem Designerlabel auch billige Lizenzprodukte gibt, rümpfen die Experten schnell die Nase und zweifeln die modische Relevanz des Labels an. Von Hoermanseder gab und gibt es neben Sektflaschen und Sneakers sogar Taschentücher und Küchenrollen, die sie mit einem grafischen Muster aus Gürtelschnallen verziert und bedruckt hat. Aber weil richtige Stars, also: Celebrities von der internationalen A-Liste, die Haute Couture des Labels tragen, rümpft keiner mehr die Nase. Trotz des Krimskrams, der abseits des roten Teppichs natürlich auch bei Hoermanseder das meiste Geld hereinbringt.

Ja, Marina Hoermanseder klingt wie eine richtige Vollblut-Businessfrau, wenn sie über ihr Label und ihren Erfolg spricht. "Ich funktioniere am Massenmarkt, aber ich performe in der Kunst", sagt sie. Bevor sie in Berlin und London Modedesign studierte und ein Praktikum beim Label Alexander McQueen dranhängte, schloss sie in ihrer Heimatstadt Wien erst einmal ein Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre ab. "Skalieren", das Verb aus dem Marketingsprech, ist heute eine ihrer Lieblingsvokabeln. Skaliert wird natürlich der Massenmarkt, nicht die Kunst.

Betrachtet man aber ihre Kunst, muss man den Hut ziehen. Hoermanseders Haute Couture ist exzeptionell. Sie führt die ultra-körperbetonte, hart umkantete Amazonen-Silhouette weiter, die in den Achtzigerjahren schon einmal sehr en vogue war und aus ihrer Trägerin laut der Modetheoretikerin Barbara Vinken eine "phallische Frau" machte. Aber nicht in Chrom und Plastik, sondern in pflanzlich gegerbtem, orthopädischem Walkleder. Das habe noch etwas Eiweißverbindung drin, erklärt Hoermanseder, deshalb könne man es nass wie einen Lappen über eine Schaumform ziehen, "und wenn es dann austrocknet, dann wird es wieder hart". Diese Technik hat sie sich während des Modestudiums bei "Leder Hobby" beibringen lassen, einem Fachhandel für Sattler & Lederhandwerk in Berlin-Wedding.

Im Atelier hängt ein Foto von Frida Kahlo: die Künstlerin, wie sie 1950 in ihrem orthopädischen Stützkorsett im Krankenbett liegt und sich das Korsett bemalt. Hinter Hoermanseders Schreibtisch liegt ein dicker Fotoband über den Designer Thierry Mugler. Orthopädie und Mugler - das sind ihre ästhetischen Koordinaten. Hoermanseder spricht vom "Rückgrat" für den exponierten Körper der Frau, den sie "urschön" findet. Daraus hat sie auch etwas Eigenes entwickelt - etwa ihren sogenannten Strap-Skirt. Der sieht aus, als sei er komplett aus Ledergürteln und Schnallen gewickelt, und natürlich ist so ein Teil unelastisch. "Früher bin ich im Taxi gelegen mit diesen Röcken", erzählt sie grinsend, also: Es war unmöglich, sich mit dem Gürtelrock hinzusetzen. Aber: Wo immer sie mit ihm hinkam, wurde sie fotografiert.

Inzwischen kann man in ihrem berühmten Rock sogar sitzen. Hinten wurde Gummi eingebaut

Der Strap-Skirt, der aus der Frau ein extravagantes Gürteltier macht, ist nun ihr Klassiker, Bindeglied zwischen Lizenzgeschäft und den Superlooks für Celebrities. Sie bringt ihn immer wieder, von Saison zu Saison, ein bisschen wie bei Chanel: Tweed und Perlenkette, eigentlich ganz gewöhnlich, aber in der Redundanz doch besonders. "Er hat's einfach durchgezogen!", schwärmt Hoermanseder von Karl Lagerfeld. Der Rock für circa 1500 Euro ist inzwischen sogar beinahe alltagsfreundlich geworden, er hat jetzt hinten einen größenverstellbaren Einsatz aus Gummi. Man kann damit sitzen. Fotografiert wird der Rock aber weiterhin nur von vorne. Frontale Mode, wenn man so will.

Überhaupt erscheint Marina Hoermanseder als eine Person, die sehr nach vorne geht. Dass sie aus privilegiertem Haus kommt, daraus macht sie kein Geheimnis: Ihr Vater ist Vorstandsvorsitzender der Wiener Mayr-Melnhof Karton AG, eines der größten Hersteller für Kartons und Faltschachteln aus Recyclingpapier. Es leuchtet ihr sogar ein, dass das orthopädische Leder, mit dem sie heute bevorzugt arbeitet, eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen Materialien hat, mit denen sie zu Hause aufwuchs, Karton und Pappe. Weich, formbar und eben doch hart.

Eine weitere Existenz führt Marina Hoermanseder im Fernsehen. Sie war schon Gast bei Heidi Klum in "Germany's Next Topmodel", und sie ist Mitglied in den Jurys von "Austria's Next Topmodel" und von der österreichischen Einrichtungsshow "Design Dream". Vermutlich ist das Strategie? Je präsenter eine Designerin in den Medien, desto erfolgreicher ihr Label? Hoermanseder streitet das ab. "Im Gegenteil, ich sollte wahrscheinlich aus Pflichtgefühl eher kein Fernsehen machen, weil ich dann zum Teil drei, vier Wochen nicht hier bin", sagt sie, also: nicht im Atelier, sondern auf Dreharbeiten. "Aber ich lieb's! Es fühlt sich für mich nicht wie Arbeit an, sondern eher wie Urlaub."

Wenn sie dann aus dem Fernsehurlaub nach Kreuzberg zurückkommt und die nächste Kollektion ansteht, bekommt Hoermanseder keine kreative Krise wie andere Designer. Da ist ja die Gürtelschnalle. "Für mich ist die Schnalle nicht nur finanziell mein Kapital, sondern auch irgendwo geistig", sagt Hoermanseder. "Ich sitze nie vor einem weißen Blatt Papier und habe Angst: Was mache ich, damit man weiß, dass es von mir ist?" Die Schnalle verbindet bei ihr die Kunst mit dem Geschäft, und das läuft. Von welcher Kundin träumt sie noch? "Meghan Markle." Stimmt, die könnte gut mal einen Strap-Skirt tragen.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2019
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