Süddeutsche Zeitung

Künstliche Verknappung:Der ganz kleine Wurf

Lesezeit: 4 min

Neuerdings versuchen auch Luxusmarken, ihre Kunden mit "Drops" anzufüttern: Mit Ware also, die in kleinen Mengen und nur für kurze Zeit in die Läden tröpfelt. Eine Strategie für die Zukunft?

Von Silke Wichert

An diesem Samstag passiert es wieder. Um 12 Uhr mittags, Ortszeit London, wird der nächste sogenannte "Drop" von Burberry im Netz landen. Ein Tropfen frischer Ware, in limitierter Stückzahl, nur 24 Stunden lang über den Instagram- und Wechat-Account des britischen Labels erhältlich. Die Uhrzeit dürfte nicht zufällig gewählt sein. Drops sind momentan so etwas wie ein High Noon unter Modefans: Wer nicht schnell genug die Kreditkarte zieht, geht leer aus. Bei der letzten "B Series", wie Burberry die Kleinstserien nennt, waren die beiden begehrten Teile angeblich sofort vergriffen, obwohl sie nicht gerade günstig waren: ein T-Shirt mit Logo kostete 350 Euro und ein entsprechendes Sweatshirt 540 Euro.

Es tröpfelt gerade ziemlich viel in der Luxuswelt. Am Montag dieser Woche trafen überraschend die ersten Taschen von Hedi Slimane für Celine in ausgewählten Läden und im Online-Store ein. Dabei waren die "C", die "16"- und die "Triomphe"-Bag erst vor ein paar Wochen über den Laufsteg getragen und ebenso ausführlich wie kontrovers diskutiert worden. Nun kamen sie schon Wochen vor der üblichen Januar-Auslieferung ins Regal, woraufhin die Branchenseite Business of Fashion gleich mal über Slimane und "die Kunst des Drops" philosophierte.

Auch Balenciaga, Gucci und Moncler experimentieren bereits mit dieser Häppchen-Taktik, Ende Oktober zog mit Louis Vuitton nun noch das größte Luxuslabel der Welt nach: In eigens dafür eingerichteten Pop-up-Stores wurden in London und Shanghai vorab Teile von Virgil Ablohs erster Männerkollektion verkauft. Dauern sollte die Aktion ursprünglich nur eine Woche, der Andrang sei allerdings so groß gewesen, heißt es bei Louis Vuitton, dass man kurzerhand verlängerte. Bei Bedarf wird aus dem kurzen Konsum-Tropfen eben ein lukrativer Geldregen gemacht.

Drops sind eigentlich ein Phänomen aus dem Streetwear-Bereich. Vor allem das amerikanische Label Supreme ist bekannt dafür, keine ganzen Kollektionen, sondern lediglich kleine Schübe in die Läden zu bringen - immer nur, solange der Vorrat reicht. Also stehen die Fans des Labels regelmäßig Schlange, um Bauchtasche, Hoodie oder Taschenmesser mit dem weiß-roten Schriftzug zu ergattern. Gleiches lässt sich seit Jahren vor bestimmten Sneakerläden beobachten, wenn die Ankunft eines limitierten Nike- oder Adidas-Schuhs angekündigt wurde. Die absichtliche Verknappung lässt die Fans bereitwillig anstehen.

So viel Aufopferung der Kunden - in der Modebranche auch "Excitement" genannt - wollen die Luxusmarken selbst gern mal wieder erleben. Die meisten Labels machen zwar noch ziemlich ordentliche Umsätze, aber die Zeiten, in denen die Kunden regelmäßig bis zum Umfallen einkaufen gingen, scheinen vorbei zu sein. Der alte Einkaufsbummel-Schlachtruf: "Shop till you drop!" zieht nicht mehr. Vor allem die jungen Kunden sind verwöhnt, wählerisch, weitgehend gesättigt. Also probieren es die Marken jetzt mit der Devise: "Drop till they shop." Wirf ihnen Häppchen zu, bis sie schlucken.

Echte "Drops" plätschern außer der Reihe und ohne lange Vorwarnung in die Läden

Hinter der neuen Strategie steckt das alte Dilemma des Modesystems: Die Marken entwerfen riesige Kollektionen, die nach der Präsentation auf dem Laufsteg erst Monate später im Laden eintreffen, um dann eine ganze Saison dort zu liegen. Zu viel davon muss mittlerweile reduziert werden oder lässt sich gar nicht mehr verkaufen. Seit Jahren heißt es deshalb, die Mode müsse schneller und dynamischer werden. Weil die Kunden sich sonst langweilen und Zara die Trends eben früher und häufiger bringe. Aber das würde die gesamten Produktionsabläufe infrage stellen. Inklusive Zwischenkollektionen sind die Luxushäuser ohnehin bei vier Sortimenten pro Jahr angelangt. Zuletzt sollten "Capsule Collections" und diverse Kooperationen mit anderen Labels den Hunger auf neue Ware stillen, jetzt sind also die "Tropfen" das neue Ding.

Deshalb wird bei den Marken und in den Medien überall "gedropped", selbst wenn es sich bei Louis Vuitton oder Celine streng genommen nur um einen Vorabverkauf von Teilen aus der regulären Kollektion handelt. Echte Drops hingegen plätschern eigentlich außer der Reihe und ohne lange Vorwarnung in die Läden. So wie beim neuen Burberry-Designer Riccardo Tisci, der kurz vor seiner ersten Modenschau im September mit Logo-Shirts überraschte, die nur einen Tag lang erhältlich waren. Parallel zur Show folgte der nächste Streich: Über Instagram waren sofort einige Mäntel, Kleider, Röcke zu erstehen. Der Clou: Diese Entwürfe stammten gar nicht aus den über hundert Looks der gerade gezeigten Kollektion. Tisci servierte nur mal zusätzlich Happen für zwischendurch.

Hilfreich wäre, wenn nicht nur das Prozedere, sondern auch die Produkte innovativ wären

Echter Drop, Pre-Drop oder verkappter Dauerregen - egal, das Wort klingt halt derzeit in allen Ohren ebenso dynamisch wie anschaulich. Wie ein extra geschnürtes Carepaket, das da zur Rettung des hungrigen Modevolks abgeworfen wird. Aber was bringt der ganze Aufwand letztlich? Bislang zumindest viel Aufmerksamkeit. Laut einer Analyse des Datendienstes "Tribe Dynamics" erreichte allein der Hashtag "TheBSeries" für Burberry einen Werbewert von umgerechnet 130 000 Dollar. Im September soll der Wert für die Marke insgesamt bei 9,6 Millionen Dollar gelegen haben, fast doppelt so viel wie im Monat zuvor, was vor allem auf den Rummel um die Produkthäppchen zurückgeführt wurde.

Erstaunlich eigentlich, wo doch das Prinzip der Verknappung in der Mode keineswegs neu ist. Pop-up-Stores, die nur ein paar Tage öffnen, Boutiquen, die mit limitierten Editionen dringenden Handlungsbedarf suggerieren - war alles schon da. Bei Dover Street Market trudelten immer wieder ohne große Vorankündigung ein Schwung besonderer Celine-Accessoires oder T-Shirts von Comme des Garçons ein. Die Nachricht verbreitete sich stets wie ein Lauffeuer. Die Leute bei der Stange halten, indem man sie möglichst knapp hält - das alte Prinzip planmäßiger Mangelwirtschaft.

Wer nur kleine Häppchen in die Läden bringt, hat im Idealfall weniger Überschuss, andererseits auch mehr Aufwand. Zumal wenn Drops nicht das ganze Geschäftsmodell bestimmen wie bei Supreme, sondern - wie bei Burberry - noch zusätzlich zur normalen Kollektion lanciert werden. Bei Moncler wird bereits überlegt, nicht nur mit Designer-Kooperationen, sondern generell auf ein monatliches "Drop"-Modell umzusteigen. Auch Slimane wolle bei Celine, so heißt es, die Auslieferung der Produkte in Zukunft "flüssiger" gestalten und Mini-Kollektionen lancieren, um kontinuierlich mit neuer Ware zu überraschen. Hilfreich wäre dazu vielleicht, wenn nicht nur das Prozedere, sondern auch die Produkte frisch und innovativ daherkämen.

Bleibt noch die Frage, wie lange der Effekt hält, wenn bald nicht mehr nur ab und zu getröpfelt, sondern die Kunden von allen Seiten und dauernd überrascht werden. "The Newness Imperative" heißt dieses Schreckgespenst der Branche - der Zwang, ständig Neues zu liefern. Dann wäre auch die Luxusmode allmählich dort angekommen, wo sie nie hinwollte: beim Takt von Zara.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018
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