Süddeutsche Zeitung

Kosmetik:Fernweh aus der Flasche

Lesezeit: 3 min

Die Pflegeprodukte von Ligne St. Barth kommen aus der Karibik und aus München. Ihr Geheimnis: Der Duft erinnert an Urlaub und Strand.

Von Max Scharnigg

Es gibt in der Beautybranche viele gut klingende Gründungsmythen, aber keiner beginnt mit einer spontanen Mitfahrgelegenheit auf einer fernen Insel. Die ereignete sich 1984 auf Saint-Barthélemy, einem Karibiknest der französischen Antillen, das von den Schönen und Superreichen als Hippie-Hide-Out entdeckt worden war - aber auch von einer jungen Weltenbummlerin aus München. Beim Trampen über die Insel wurde Birgit Grein damals von einem Einheimischen mitgenommen, kurze Zeit später waren sie ein Paar. Was nach einem "Traumschiff"-Handlungsstrang klingt, war nicht nur der Anfang einer bayerisch-karibischen Liebe, sondern auch Auftakt einer Firmengeschichte.

Die männliche Hauptrolle Hervé Brin experimentierte zu dieser Zeit mit Kosmetik, die er aus der tropischen Botanik seiner Heimat gewinnen wollte. Inspiriert von den Hausmitteln seiner Vorfahren, die zu den ersten Siedlern der Insel gehörten, hatte er angefangen, einfache Naturkosmetik herzustellen und sie am Strand aus dem Kofferraum zu verkaufen - rustikal abgefüllt in die ortstypischen Rumfläschchen und mit goldenem Filzstift beschriftet.

Mit Birgit Grein an seiner Seite nahm dieses Hobby bald professionellere Formen an. Die beiden ließen die Inhaltsstoffe der Pflanzen und die Zusammensetzung der überlieferten Rezepturen untersuchen, von denen einige bis auf die Karibikindianer zurückgehen. Dabei gab es erstaunliche Entdeckungen, so nutzten etwa die Arawak-Indianer die tiefroten Samen der Roucouyer-Sträuche (deutsch: Annatto) als Mittel gegen Sonne, Moskitos und Salzwasser - aus gutem Grund. Denn die Laboranalyse ergab einen hohen Gehalt an Provitamin A, das die Melaninproduktion anregt und den Eigenschutz der Haut unterstützt.

So wurde ein "Roucou Tanning Oil" mit natürlichem Lichtschutzfaktor eines der ersten Erfolgsprodukte der Marke Ligne St. Barth, die auf der Insel mittlerweile eine winzige Manufaktur unter Palmen eingerichtet hatte. Was dort in Handarbeit abgefüllt wurde, avancierte zum gefragten Accessoire auf den Luxusyachten, die vor allem zum Jahreswechsel vor St. Barth ankerten - im Gefolge jener Rockefellers und Rothschilds, die die Insel einst zum Barfußort der Milliardäre befördert hatten.

Palmen im Euroindustriepark

Lange bevor Nischenkosmetik und Organic Beauty ein Trend wurden, schätzte diese Klientel den Charme eines regionalen Produktes mit natürlicher Wirkkraft. Dazu kam die Exklusivität, schließlich war es wie ein Abzeichen eines guten Klubs, wenn man im heimischen Bad eine Bodylotion aus St. Barth stehen hatte, die nach weiter Welt duftete. Der Jetset wurde also zum inoffiziellen Werbeträger von Ligne St. Barth, aber das internationale Wachstum der Marke entwickelte sich aus einer anderen Richtung - vom Münchner Marienplatz nämlich.

Dort hatte der Bruder von Birgit Grein Ende der Achtzigerjahre all seinen Mut zusammengenommen und Proben ins Kaufhaus Beck getragen. Die exotische Herkunft und die authentischen Zutaten der Produkte überzeugten, Beck am Rathauseck wurde die erste Verkaufsstelle für Ligne St. Barth jenseits der karibischen See. Bis heute hat das Kaufhaus die Kundennummer 0001. Per Post schickte Birgit Grein fortan die Ware nach Deutschland, ihr Bruder, eigentlich Gastronom, lagerte sie in seiner Wohnung zwischen.

Das funktionierte aber nur so lange, bis die Mundpropaganda zu erfolgreich wurde. Dann hängte Peter Grein seinen Job an den Nagel und richtete ein ordentliches Vertriebsbüro und Lager in München ein. Bis heute hat das Familienunternehmen nur diese beiden Stützpunkte - die Produktion auf St. Barth und den weltweiten Vertrieb im Euroindustriepark - eine größere örtliche Antithese kann man sich kaum vorstellen.

Ein Grund für den Erfolg: der Duft nach Strand

Bald war klar, was zum Erfolg der Marke beitrug: Sobald man die Flasche öffnete, kam man in Urlaubsstimmung. Die tropischen Öle hatten ihre Wirkstoffe, sie halfen aber auch bei Fernweh, bis heute riechen viele der Sachen wie etwas mit Rum, Limette oder Kokosnuss, das man an der Strandbar trinken würde.

Dieses Flair führte dazu, dass immer mehr Spitzenhotels nach Abfüllungen fragten. Insbesondere in den Alpen war man interessiert, der Kontrast von Schnee vor der Tür und karibischen Rumfläschen im Bad war verlockend, und bis heute ist die Luxushotellerie ein wichtiges Image-Standbein für die Marke. Dazu kamen später eigene St.-Barth-Spa-Programme, bei denen die Produkte zusammen mit besonders sinnlichen Anwendungen verabreicht werden - als Kurztrip an den Strand, sozusagen.

Trotz der starken Nachfrage hat sich bis heute bei Ligne St. Barth wenig verändert, man setzt auf leises Understatement, wie die Gäste auf St. Barth. Übernahmeversuche von Konzernen hat Hervé Brin stets abgewehrt, produziert wird immer noch nur mit Zutaten, die auf den französischen Antillen vorkommen. Für die ewige Liebe ist aber auch dort kein Kraut gewachsen - Birgit Grein ist inzwischen aus der Firma ausgestiegen. Das Sortiment ist bis heute auf etwa 40 Produkte erweitert worden, die Bestseller aber sind die gleichen wie zu Beginn: Roucou-Öl, Aloe-Vera-Gel, Avocado- und Kokoslotions in sehr reichhaltigen Dosen.

Manchmal kommt jahrelang nichts Neues dazu, weil Brin erst etwas vorstellen möchte, wenn es Sinn ergibt. Auf vollmundige Versprechen, auf Power-Boost und Anti-Irgendwas verzichtet man seit jeher. Man wird derlei bei Ligne St. Barth auch weiter nicht brauchen, die sanfte Wirkung luxuriöser Naturkosmetik liegt ebenso im Trend wie seit einigen Monaten das Fernweh. Und gegen das kann manchmal schon das Schnuppern an einer Sonnencreme helfen.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2020
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