Süddeutsche Zeitung

Helena Rubinstein:Beauty und Biest

Lesezeit: 6 min

Schönheit war ihr Geschäft, und keine wusste sich selbst besser zu verkaufen als die omnipräsente Helena Rubinstein. Zum 150. Geburtstag einer Frau, die zur internationalen Marke wurde.

Von Tanja Rest

Am 1. April 1965 ging in einem New Yorker Krankenhausbett eine Lebensreise zu Ende, die selbst zu heutigen Bedingungen gewaltig gewesen wäre. Diese Reise führte aus einem ärmlichen Zuhause im polnischen Krakau über Wien nach Melbourne und Sydney, dann nach London, weiter nach Paris und schließlich an die Fifth Avenue von New York City. Von dort ging es, bis das finale Alter von 94 Jahren erreicht war, mit dem Ozeandampfer so oft über die Weltmeere, dass selbst Biografen mit dem Zählen nicht ganz hinterherkommen. Der Name der Toten lautete Helena Rubinstein, und dass sie am Ende wahrhaftig sterblich war: In ihrem Umfeld hatte man heftig daran gezweifelt.

Sie hinterließ ein Vermögen von 100 Millionen Dollar, ihre Puppenhaussammlung, zahllose kostbare Gemälde, Juwelen, Couture-Kleider sowie - ein Unternehmen. Helena Rubinstein, die Firma, war beim Tod der Gründerin auf Weltformat angeschwollen: ein Beauty-Imperium mit Niederlassungen in 15 Ländern der Erde, mit mehr als 3000 Verkaufsstellen und gut 30 000 Mitarbeitern. Und all das hatte sie im Alleingang aus dem Boden gestampft, diese nur 1,48 Meter große Frau mit den schwarzen Augen und dem Schneewittchenteint. Wie war das möglich?

Zu ihrem 150. Geburtstag am 25. Dezember ist eine neue, kurzweilige Biografie erschienen (Ingo Rose, Barbara Sichtermann: "Augen, die im Dunkeln leuchten", Verlag Kremayr & Scheriau). Man kann dieses Buch und dieses Leben mit vielerlei Augen lesen. Als feministisches Manifest (wenngleich "Madame", wie sie genannt wurde, sich niemals für andere, sondern ausschließlich für sich selbst engagierte). Als Society-Geschichte, in der sich die Wege einiger der glamourösesten Geschöpfe der damaligen Zeit kreuzen. Als Gründerstory, natürlich. Zuvorderst steht aber eine Erkenntnis: Zeiten und Mittel ändern sich, menschliche Sehnsüchte aber bleiben immer gleich.

Die ewige Sehnsucht nach Schönheit hat Helena Rubinstein reich gemacht, und nicht nur sie. Als der Reality-Star Kim Kardashian vergangene Woche 20 Prozent ihrer Beautymarke KKW an den Coty-Konzern verkaufte, strich sie dafür die unglaubliche Summe von 200 Millionen Dollar ein, was ihre Marke insgesamt zum Milliardenunternehmen macht. Wie man Menschen dazu bringt, irrationale Summen für Kosmetik auszugeben: Helena Rubinstein war die Erste, die das wirklich verstand. Man darf sogar sagen, neben Cremes, Lippenstiften und Duftwässerchen hat sie einige dieser Methoden überhaupt erst erfunden. In diesem Sinne: Sieben goldene Regeln für Beauty-Einsteiger.

1. Es geht nicht um den Inhalt, Dummerchen!

Rubinsteins Startkapital für den bevorstehenden Höhenflug bildete um die Jahrhundertwende neben dem erwähnten Schneewittchenteint die Valaze-Creme. Der ungarische Drogist Jakob Lykusky stellte sie her, und Abend für Abend hatte Gitel Rubinstein daheim in Krakau die Gesichter aller ihrer acht Töchter damit eingerieben. Als die Älteste im Alter von 30 Jahren nach Australien auswanderte und zunächst bei einem Onkel unterkroch, hatte sie einige Tiegel als Mitgift im Gepäck. 1902 eröffnete Helena Rubinstein in Melbourne ihren ersten Salon, die "Valaze Maison de Beauté". Schönheit, das war für die australischen Damen mit ihren sonnenverbrannten Gesichtern ein neues, nahezu unerhörtes Konzept. Es war dann nicht nur die makellose Haut der Gastgeberin, die ihnen über die Schwelle half, oder der exklusive Flair der alten Welt. Es war die Aura rigider Wissenschaftlichkeit, die alle ihre Produkte umgab. Madame hütete das Valaze-Rezept zeitlebens wie die Coca-Cola-Formel. Ihr Assistent Patrick O'Higgins aber bekam den Zettel mit den darauf notierten Zutaten einmal zu Gesicht. Wachs, Öl, Sesam und ein paar weitere Standards. Mehr war es nicht.

2. Flunkern ist nicht nur erlaubt, sondern geradezu Pflicht.

Als Rubinstein in Melbourne eröffnete, hatte sie sich eine hübsche neue Biografie zugelegt. Demzufolge war sie die Tochter eines polnischen Gutsbesitzers, ein paar Jahre jünger als in Wirklichkeit, und hatte in Wien Medizin studiert. Die Kundinnen sahen und glaubten, was sie sehen und glauben wollten. Und schließlich: Stand Madame im weißen Arztkittel nicht in ihrer Mischküche wie ein Chemiker in seinem Labor? Na bitte!

3. "Menschenkenner haben immer gewusst, dass man den Leuten eine teure Sache leichter verkaufen kann als eine billige."

Das hat der Dramatiker William Somerset Maugham gesagt, aber es hätte genauso gut von Rubinstein sein können. Ihre Produkte waren nicht besser und nicht schlechter als die ihrer großen Rivalinnen Elizabeth Arden und Estée Lauder, doch was sie von der Konkurrenz wirklich unterschied, war ihr intuitives Verständnis für die Psychologie des Luxus. Ihre Salons funktionierten wie frühe Concept Stores in Sachen Schönheit, man hätte sie Wellness-Tempel genannt, wäre das Wort bereits erfunden gewesen. Massagen, Kosmetik, Entspannung und Beratung unter einem Dach, die Räume ausgestattet mit den exklusivsten Möbeln, Gemälden und Tapisserien. "Die ideale Verbindung aus visuellem Vergnügen und Komfort", schwärmte Vogue. Madame selbst passte da wunderbar ins Bild in ihren sagenhaften Couture-Roben, die sie bei ihren Aufenthalten in Paris erst bei Paul Poiret, dann bei ihrer Freundin Coco Chanel und schließlich bei Christian Dior einkaufte. Das Geld holte sie mit ihrer eigenen Preispolitik doppelt und dreifach wieder rein. Rubinstein hielt sich zwar viel darauf zugute, den Frauen Schönheit und Jugend gebracht zu haben. Aber nur denen, die es sich leisten konnten. Luxus für die lucky few, das war ja gerade der Kick!

4. Sehe ich etwa aus, als hätte ich was zu verschenken?

Oh nein, wenn man Fotos von Helena Rubinstein betrachtet mit ihrem lackschwarzen, streng zurückgekämmten Haar, dem entschlossenen Mund und angriffslustigen Kinn, so gab es unter dieser Adresse gewiss nichts umsonst. Und wie viele Millionen sie auch in Kleider, zeitgenössische Kunst oder ihre "Streitperlen" pumpte, wenn ihr erster Ehemann sie mal wieder betrogen hatte: Beim Salär ihrer Angestellten feilschte sie um jeden Cent. Auch mit Lob, geschweige denn Dankbarkeit war eher nicht zu rechnen, Helena Rubinstein verbreitete als Chefin Angst und Schrecken. Ihre rechte Hand Patrick O'Higgins, den sie wie einen Leibeigenen behandelte, zitiert in seiner Biografie die Einschätzung eines Mitarbeiters: "Sie ist eine Hydra. Acht ihrer neun Köpfe sind konstruktiv, einer aber ist destruktiv. Und der ist besonders aktiv." Untergebene liefen entweder davon oder fügten sich in ihr Schicksal. Was man ihr immerhin nicht vorwerfen konnte: dass sie es sich auf Kosten anderer bequem gemacht hätte.

5. Alles Private ist immer geschäftlich.

Helena Rubinstein hat ihr ganzes Leben lang hart und immerzu gearbeitet. Urlaub, Müßiggang? Waren in ihrem Kosmos nicht vorgesehen. Sie leitete das Unternehmen nicht nur, sie war das Unternehmen, und zwar Tag und Nacht. Daraus folgte alles Weitere: Dass der Mann an ihrer Seite etwas hermachen musste, man stand schließlich für ein angenehmes Äußeres. Dass er kein Problem damit haben durfte, dass ihre erste Liebe und größte Ambition die Firma blieb. Dass die beiden kleinen Söhne, aus der ersten Ehe mit dem amerikanischen Journalisten Edward J. Titus, sie eher selten zu Gesicht bekamen. Ihr zweiter Ehemann, mit dem sie bis zu seinem Tod glücklich war, brachte praktischerweise einen Adelstitel mit ins Unternehmen: Prinz Artchil Gourielli-Tchkonia, womit Madame zur "Princesse" avancierte. Sollte danach noch jemand Zweifel anmelden an der Respektabilität und Grandezza der Marke Rubinstein, so gab es immer noch die Helena-Gemälde in den Rubinstein-Salons, gemalt von Stars ihrer Zeit wie Marie Laurencin, Salvador Dali oder Graham Sutherland. Einzig Picasso war ein Flop. Aus einer längeren Sitzung und ersten Studien entstand zu ihren endlosen Erbitterung: gar nichts.

6. Kein Einfluss ohne Influencer.

Bis zur Erfindung des Internets und der sozialen Medienmaschine war es ja nun noch ein paar Tage hin. Wie also gelang es Madame, die lokale Hautevolee für sich einzunehmen, wenn sie mal wieder einen neuen Salon eröffnete? Mit Hilfe von Influencern natürlich. Obwohl sich andere auf dem gesellschaftlichen Parkett geschmeidiger bewegten als sie, ging sie regelmäßig aus und knüpfte kostbare Bekanntschaften. In Melbourne war es die Sängerin Nellie Melba, die ihre Produkte weiterempfahl; die misstrauischen Londonerinnen wurden weich, nachdem eine Herzogin bei Rubinstein ihre Aknenarben losgeworden war und alle ihre Bekannten vorbeischickte, darunter einige indische Prinzessinnen. In Paris sang die Schriftstellerin Colette das Hohelied auf Madame: "Ich habe mich noch nie so gut gefühlt. Ich glaube, ich wäre jetzt für alles zu haben - sogar für eine Begegnung mit meinem Ex." Das beste Marketing-Tool blieb aber Rubinstein selbst. Als das Medium Fernsehen den Dienst aufnahm, trat sie in Werbespots selbst vor die Kamera und wurde von nun an auch auf der Straße erkannt.

7. Keiner kann es so gut wie ich.

All diese dahergelaufenen Leute, die für mich arbeiten: Sie werden mich aussaugen, mich um mein Vermögen bringen, sie werden zur Konkurrenz gehen und meine Geheimnisse verhökern - so jedenfalls sah es Rubinstein. Das kleinste Übel war letztlich, eine Schwester nach der anderen (und später auch die Nichten) aus Krakau nachzuholen und an der Spitze ihrer Salons zu installieren. So blieb das Unternehmen, als sie irgendwann nicht mehr alles alleine machen konnte, immerhin in Familienhand. Klar war für Helena Rubinstein aber auch: Keine verstand das Geschäft so gut, keine arbeitete so hart, keine war so rüstig wie sie, die mit 91 Jahren noch einmal über den Atlantik schipperte, um in Paris nach dem Rechten zu sehen.

Wie richtig sie lag, zeigte sich nach ihrem Tod. Unter der Leitung der Erben zerfiel ihr Riesenreich. 1973 wurde die Firma für 143 Millionen Dollar an Colgate-Palmolive verkauft, 1980 an Albe Enterprises, acht Jahre später an den Weltmarktführer L'Oréal. Dort steht "Helena Rubinstein" heute immer noch für Schönheit, aber in einer Reihe mit 16 anderen Luxusmarken wie Lancôme und Yves Saint Laurent. Wie gut, dass Madame das nicht mehr mitgekriegt hat. Sie hätte es "bullshit" genannt.

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