Süddeutsche Zeitung

Hamburg:Hoch die Tassen

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Vom tantigen Teetässchen zum Hipster-Utensil: Wie das Designer-Duo "Kuball & Kempe" edle Porzellanklassiker modernisiert.

Von Anne Backhaus

Wären Traditionsunternehmen in der Krise ein geeignetes Thema für einen Actionfilm, müsste man das Designerduo von "Kuball & Kempe" als Helden verpflichten. Ihre Rolle wäre es, in letzter Minute geschickt das Steuer des Firmenwagens herumzureißen, und zwar genau so, dass er nicht nur kurz vor einem Abgrund zum Stehen kommt, sondern anschließend auch noch galant Richtung Horizont weiterfährt. Dabei kann Peter Kempe nicht mal Auto fahren. Wenn die beiden unterwegs sind, sitzt immer Thomas Kuball am Steuer ihres dunkelblauen Citroën C6. Kempe sagt zwischendurch allerdings, wo es langgeht.

Ihr Auto haben sich die Norddeutschen stilecht zum neuen Lebensabschnitt in Frankreich zugelegt. Seit wenigen Monaten wohnen sie in Saint-Rémy-de-Provence, einem Zehntausend-Einwohner-Ort im Süden des Landes. Das Städtchen finden sie ideal zum Arbeiten. "Wir mögen die Ruhe und brauchen schöne Dinge um uns", sagt Thomas Kuball im Wohnzimmer ihres zweistöckigen Stadthauses. Peter Kempe, in Pullunder und mit eingestecktem Vintage-Hermès-Tuch, sitzt seinem Partner gegenüber und sagt: "Das hilft uns beim Denken."

Sie haben Meissener Porzellan designt und die Glasmanufaktur Theresienthal modernisiert

Kuball und Kempe sind seit 1999 beruflich wie privat ein Paar und in dieser Kombination überaus erfolgreich, auch wenn sie das nicht so gerne hören. "Erfolg ist ein Wort, das wir nicht mögen", sagt Kuball. Kempe ergänzt: "Uns interessiert einzig der Vorgang des Produzierens." Produziert haben sie in den vergangenen Jahren alles Mögliche, vom feinen Porzellanservice über Spielzeug bis hin zu Kleidungsstücken.

In Fachkreisen haben sie sich mit ihren Auftritten als Gastdesigner und Berater großer deutscher wie internationaler Marken einen Namen gemacht. Während man als Verbraucher vielleicht ihre Produkte nutzt, aber höchstwahrscheinlich noch nie von ihnen gehört hat. Das soll auch genauso sein, denn der Job der beiden ist es, renommierte und oft auch angeschlagene Unternehmen bei ihrem neuen Auftritt zu unterstützen - und eben nicht selbst den großen Auftritt hinzulegen.

Die Kundenliste von Kuball & Kempe liest sich entsprechend vielfältig. Sie haben Meissener Porzellan designt, Modehäuser wie Chanel, Sonia Rykiel und Balenciaga beraten oder auch die fast zweihundert Jahre alte Kristallglasmanufaktur Theresienthal modernisiert. Wer verstehen will, was genau die beiden Stil-Experten ausmacht, besucht sie am besten in ihrem Wohnzimmer.

Neben dem cognacfarbenen Designer-Sofa von Le Corbusier stehen Beistelltische verschiedenster Epochen, allesamt liebevoll dekoriert. Darauf finden sich bunte Lalique-Vasen, alte Cartier-Verpackungen, Parfumflakons und Schlumpffiguren aus Plastik. Was sonst nicht zusammengehört, sieht bei Kuball und Kempe wie ein luxuriöses Arrangement aus. Und so frei, wie sie in ihrem Wohnzimmer die verschiedensten Stilformen mischen, designen sie auch. Ihre einzige Prämisse ist, dass ihnen gefällt, was sie am Ende vor sich haben. "Wir haben kein immer gleiches Konzept. Es gibt ja auch nichts Langweiligeres als perfekt eingerichtete Wohnungen", findet Thomas Kuball.

Als sich die beiden mit Anfang dreißig kennenlernten, waren sie arbeitslos und hatten keinen blassen Schimmer, womit sie ihr Geld verdienen sollten. Beide interessierten sich unabhängig voneinander schon lange für klassische Marken, Mode, Porzellan, europäische Manufakturen und generell einfach schöne Dinge. Also schrieb Kempe eines Nachts auf einen Notizzettel alle Firmen, für die er gerne arbeiten wollte. Darauf standen zum Beispiel die Pariser Modehäuser Hermès und Chanel, aber eben auch Manufakturen für Porzellan und Kristall. "Das war der beste Businessplan aller Zeiten", sagt Kempe. "Wir haben inzwischen tatsächlich mit den meisten Namen auf dem Zettelchen zu tun gehabt." Kuball sagt: "Der Peter kann so was einfach. Eine Idee haben und die umsetzen, nur manchmal muss ich ihn etwas bremsen."

Auch damals schluckte Kuball zuerst, als er auf Kempes Liste blickte. Trotzdem hat er nicht an der Vision seines Freundes gezweifelt, sie machten sich selbständig. Gemeinsam bauten sie die Beratungsfirma "Kuball & Kempe" auf und schufen sich selber einen Beruf. Zu der Unternehmensgründung in Hamburg gehörte vorerst ein Konzept-Store für "gehobenen Lebensstil", in dem sie luxuriöse Alltagsprodukte verkauften. Natürlich nur solche, die sie eigentlich am liebsten selber behalten hätten. "Wir ergänzen uns perfekt", sagt Kempe. "Als Paar wie auch in Stilfragen." Neben antiken Möbeln, Kristallvasen und Turnschuh-Editionen schlug beider Herz damals vor allem für Porzellan. Sie ließen eigens Formen der Manufaktur Meissen neu auflegen, um die seltenen Stücke bei sich anbieten zu können.

Das war genau zu der Zeit, als die Porzellanbranche in Deutschland zusammenbrach - laut dem Verband der Keramischen Industrie hat sich die Zahl der Beschäftigten seit den Neunzigerjahren von ehemals 25 000 auf knapp 4000 im Jahr 2014 verringert. Die Umsätze gingen von 800 Millionen auf 300 Millionen Euro zurück. Das Traditionshaus Rosenthal musste 2009 gar Insolvenz anmelden.

"Marken wollen sich oft völlig neu erfinden. Das ist aber gar nicht gut."

Die Manufakturen machten den Untergang der Tischkultur dafür verantwortlich, dass Porzellan sich nur noch schwer verkaufen ließ. In den deutschen Haushalten stapelte sich plötzlich Ikea-Geschirr, Paare wollten kein Service mehr zur Hochzeit, und anstelle von Familientee am Nachmittag kam der Coffee-to-go im Pappbecher in Mode. Letztlich wurden die Traditionshäuser von dieser Entwicklung überrollt; viel zu spät begriffen sie, dass sie sich nicht alleine auf ihr Renommee verlassen konnten.

Im Laden von Kuball und Kempe verkaufte sich das Meissener Porzellan damals jedoch so gut, dass die staatliche Manufaktur bei ihnen anklopfte und um Hilfe bat. Die beiden traten ihren ersten großen Beraterjob an. Zuerst funktionierten sie kurzerhand einige Produkte des mehr als dreihundert Jahre alten Unternehmens so um, dass sie für das moderne Leben nutzbar waren. Eine längst vergessenen Handwaschschale, die um 1720 bei Tisch gereicht wurde, ließen sie zum Beispiel als Sushi-Platte wieder aufleben. Kurz darauf führten sie Müslischalen in das Sortiment ein und Meissen an die neue Generation der Frühstücker heran.

"Wir revitalisieren die Produkte von Traditionsmanufakturen, zerstören dabei aber nicht den Markenkern", sagt Kuball. "Das ist unser ganzes Geheimnis." Ihre sogenannten Lifestyle-Kollektionen passten sie behutsam der Marke Meissen an und modernisierten sie dabei gleichzeitig. "Marken wollen sich oft völlig neu erfinden, um am Markt wieder besser anzukommen. Das ist aber gar nicht gut", erklärt Kempe. " Wenn eine Marke für schönes Geschirr steht, dann ist es doch Blödsinn, genau das komplett zu verändern." Er ließ eine Edition Tassen und Teller des Hauses mit knallbunten Mingdrachen verzieren. Das deutsche Handwerk mit asiatischem Einschlag - ein augenzwinkerndes Statement, das bei der Kundschaft gut ankommt. Blümchenmuster, die an langweilige Sonntage bei den Großeltern erinnern, ersetzte Kempe durch gemalte Karotten und Erbsenschoten und schuf so Tassen, die sich auch urbane Hipster in ihre Wohnung stellen würden.

Mit dieser Methode haben Kuball & Kempe auch die Deutschen Werkstätten Hellerau bei der Neuauflage alter Holzspielzeugfiguren begleitet, die Reithosen von Modedesignerin Pamela Henson überholt oder für den Kinogiganten Warner den gelben Comic-Vogel Tweety als "Merchandising-Produkt de Luxe" entwickelt und exklusiv vertrieben.

"Momentan gilt unsere ganze Liebe Fürstenberg", sagt Thomas Kuball. Kempe läuft in die Küche und holt Teller mit dem Dekor "Rajasthan", das er entworfen hat. "Hier ist ein kleiner Elefant drauf", ruft er und zeigt auf die Tellermitte. Sechs verschiedene indische Motive zieren die Brotteller-Reihe. Kempe freut sich über jedes einzelne wie ein Kind.

Seit 2011 dekoriert Kuball für die Manufaktur Fürstenberg, ein Traditionshaus aus Niedersachsen, das Porzellan auf internationalen Messen. Kempe berät bei der Produktentwicklung und entwirft neue Designs. Fürstenberg hat die Krise der Porzellanindustrie ebenfalls getroffen. Ganz so leicht wie in einem Actionfilm ist die halt doch nicht zu lösen. Die Manufakturen kämpfen mit Umsatzeinbußen, die Kuball & Kempe allein nicht wettmachen können. Die beiden Designprofis lenken all die verschiedenen Firmenwagen aber immerhin in die richtige Richtung.

Derweil suchen sie auf den französischen Antiquitätenmärkten Möbelstücke für ihre Privatkunden. Ihr eigenes Haus haben sie kernsaniert, aber alte Kacheln und Holzschränke erhalten. "Wir tun uns gegenseitig gut", sagt Kempe und meint damit nicht sich und Kuball, sondern das Haus und sie als Paar. Die beiden haben eine besondere Beziehung zu den Dingen.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2016
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