"Gender Bending" in der Mode:Trendsetter in Schluppenbluse
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Der Italiener Simone Marchetti ist in weiblicher Kleidung zum Stilvorbild aufgestiegen - für Männer.
Interview von Dennis Braatz
Wer während der Mailänder Männermodewoche so viel beschäftigt ist, dass er ein Interview fünf Mal verschieben muss, ist entweder Model oder Designer - oder Simone Marchetti. Der italienische Modejournalist der Zeitung La Repubblica ist bei den Streetstyle-Fotografen gerade so gefragt wie einst seine Kolleginnen Anna dello Russo und Giovanna Battaglia. Er trägt, was man eigentlich nur von Frauen kennt: Rüschen und rosafarbene Pyjamahosen. Das hat Marchetti für die Branche zu einer Art Vorzeigeobjekt beim Gender Bending gemacht, einem Trend, mit dem die Designer seit eineinhalb Jahren konsequent die Geschlechtergrenzen modisch verwischen wollen - von dem bislang aber nur wenig in der breiten Masse angekommen ist.
SZ: Herr Marchetti, Sie präsentieren sich auf Terminen und in sozialen Medien gern in Seidenblusen und Schleifchen. Gehen Sie so auch in den Supermarkt?
Simone Marchetti: Ganz ehrlich, ja. Ich gehe so in den Supermarkt, ins Büro, ins Café und zum Arzt. Natürlich kann es aber auch mal passieren, dass ich keine Lust auf den Look habe, dann ziehe ich eben Jeans und T-Shirt an. Wie jeder andere auch.
Wie reagieren die Menschen, wenn Sie vermeintliche Frauensachen tragen?
Sie sind verwirrt. Zumindest sagen das ihre Blicke. Die meisten Leute schauen aber nicht nur, sondern stellen auch Fragen. Vor Kurzem hatte ich einen Unfall mit meiner Vespa und musste ins Krankenhaus. Ich trug einen schwarzen Anzug und darunter eine gelbe Schluppenbluse. Die Schwester sagte zu mir: "Oh, Sie sind aber ein süßer Tänzer! Haben Sie sich bei einem Auftritt verletzt?" Das ist doch sehr amüsant.
Gibt es auch negative Reaktionen?
Eigentlich nie. Gut, meine Familie war vielleicht ein wenig irritiert am Anfang, aber sie haben sich daran gewöhnt. Mein Chef übrigens auch, der mittlerweile sofort fragt, was mit mir los ist, wenn ich mal eher schlicht angezogen zur Arbeit komme.
Warum sind Sie so begeistert von dieser Art, sich so zu kleiden?
Weil es so anders ist. Ich weiß noch genau, wie ich auf der ersten Show von Alessandro Michele für Gucci saß. Die Show lief, alles war wie immer. Dann kam plötzlich das Model mit der Schluppenbluse auf den Laufsteg. In diesem Moment änderte sich die gesamte Atmosphäre im Raum. Ich wollte unbedingt diese Bluse haben. Ich wollte ein Teil von diesem Moment sein.
Dass sich Männer weiblich kleiden, ist in der Modewelt ja eigentlich nicht so neu.
Das gab es immer wieder. David Bowie in den Achtzigern etwa, oder die Peacocks in den Sechzigern. Neu ist, dass das Gender-Thema auch gesellschaftlich extrem relevant ist. Einige Monate nach Micheles Show machte Caitlyn Jenner ihre Geschlechtsumwandlung auf dem Cover von Vanity Fair öffentlich. Amazon produzierte eine TV-Serie über die Geschichte eines transsexuellen Familienvaters. So etwas gab es zuvor nicht.
Könnte der Trend jetzt von der Gesellschaft eher angenommen werden?
Solche Prognosen sind schwierig, aber Fakt ist, dass der Markt für klassische Männermode abbaut. Anzüge verkaufen sich nicht mehr gut. Warum sonst wurden bei den Herrenausstattern Zegna und Brioni gerade die Designer entlassen? Die Einkäufer der großen Boutiquen sprechen schon länger von dieser Veränderung. Sie sagen auch, dass ihre jüngeren Kunden in der Mode viel experimentierfreudiger sind als noch die Generationen vor ihnen. Dazu passt, dass erst vor Kurzem eine Studie öffentlich wurde, die besagt, dass Kinder und Erwachsene im Alter von zehn bis 25 Jahren, also die Digital Natives, ihre sexuelle Identität nicht mehr klassisch männlich oder weiblich definieren wollen.
Das müssen Sie genauer erklären.
Es geht darum, dass sich Männer und Frauen in ihren Eigenschaften annähern. Modisch bedeutet das, dass sich Männer gewisse Codes und Details aus dem Kleiderschrank der Frauen abschauen - oder eben andersrum. Ich trage die Schluppenbluse ja auch unter einem Anzug und nicht gleich zu einem Rock. Es wird also alles nur ein bisschen fließender.
In der Fußgängerzone sieht man davon bislang trotzdem noch wenig.
Ich glaube auch nicht, dass bald jeder Mann eine Schluppenbluse tragen wird. Sie ist eher ein Schlüsselreiz, mit der die Luxusmode über Multiplikatoren auf das breitere Publikum einwirkt.
Sie meinen, dass der Trend abgeschwächt auf die Straße kommen wird?
So funktioniert es doch meistens. Und zum Teil ist der Trend ja auch schon da. Die Farbe Rosa feiert gerade ein Comeback. Ich bin sicher, dass noch einiges kommen wird. Warum nicht auch die Spitze? Es gibt sie doch jetzt schon - als Detail an Hemden oder Basketball-Shirts.