Süddeutsche Zeitung

Fußballerfrisuren:"Einmal wie Cristiano, bitte"

Lesezeit: 3 min

Klassische Fußballerfrisur, Hitlerjugend-Schnitt und ständig muss man zum Nachrasieren - warum ist der Undercut nicht von den Köpfen zu kriegen?

Von Silke Wichert

Es gibt zwei Dinge, die sich unser siebenjähriger Sohn sehnlichst wünscht: eine Playstation (nicht vorgesehen) und einen Undercut (unverhandelbar). Beides hat mit Fußball zu tun: Er will das Videospiel Fifa spielen und wie ein Fußballer aussehen, und das heißt, in den meisten Fällen, nun mal: Haare an den Seiten raspelkurz rasiert, oben längeres Deckhaar, das hoch oder im 45-Grad-Winkel schräg zur Seite gegelt wird.

Zaghafte Versuche, unseren Friseur zu manipulieren, scheiterten am großen Frisierspiegel, der Gesten und Fingerzeige der Mutter im Hintergrund gnadenlos offenlegt. Bislang bleibt es also beim stufig geschnittenem Nacken, langen Seiten und einer rührenden Sisyphus-Übung vor dem Spiegel zu Hause. Da versuchen er und sein kleiner Bruder mit einem Kamm und Wasser einen so akkuraten Seitenscheitel zu kämmen, dass er an die "Linie" von Fußballern wie Cristiano Ronaldo oder Jordi Alba erinnert.

Bis vor Kurzem dachten wir noch: Das wächst sich raus, der Schnitt und der Wunsch danach. Aber so oft die Frisur in den letzten Jahren von Männerzeitschriften und Haarstyling-Blogs auch totgesagt wurde - er verschwindet nicht. Mit dem Undercut ist es wie mit den Skinny Jeans für Frauen: Egal, was die Vogues dieser Welt finden, ihre Anhänger halten hartnäckig daran fest.

Deshalb trägt der Real-Madrid-Spieler Toni Kroos auf dem aktuellen Bahnmagazin-Cover wie gehabt Undercut mit reingefräster Seitenlinie, deshalb kam auch die Plattform für Sportwetten "wettbasis.com" im April zu dem Ergebnis, dass genau diese Frisur die meisten Tore in der Bundesliga schießt. 333 in der vergangenen Saison, um genau zu sein. Was weniger daran liegen dürfte, dass die kurz geschorenen Seiten bei Kopfbällen mehr "Grip" verleihen, sondern die Varianz in Sachen Haare unter Fußballern wie Dortmunds Marco Reus und Kai Havertz von Bayer Leverkusen eher überschaubar ist.

Für die Jüngeren unter den Undercut-Fans: Das Problem mit diesem Haarschnitt ist nicht nur, dass er ein bisschen omnipräsent und durchgenudelt ist, sondern dass die frühen Trendsetter der Frisur im Deutschland der Dreißigerjahre unterwegs waren. Plakate der Hitlerjugend zierten arische Jungs mit ebensolch sauber rasierten Seiten. Angeblich war die Frisur unter Soldaten auch deshalb so beliebt, weil man die Stahlhelme so leichter auf und absetzen konnte. Außerdem ist der seitliche Kahlschlag in seiner rudimentären Form - ohne Linie, Gel et cetera - eher pflegeleicht. Naheliegend ist jedoch, dass der kantige Schnitt als besonders adrett, stramm und ordentlich empfunden wurde.

Und als "aggressiv", wie Ulvi vom Stuttgarter Friseursalon "Two Cut" findet. Ulvi und sein Geschäftspartner Mario sind bekannt dafür, seit Jahren die Haarpracht von Mesut Özil zu betreuen. Max Kruse, Sami Khedira und Lukas Podolski begaben sich ebenfalls schon in ihre Hände. Wenn jemand etwas von Fußballerfrisuren versteht, dann sie. "Dem Mesut haben wir nur einmal einen Undercut geschnitten, 2014 war das, glaube ich", sagt Ulvi. "Hat ihm aber zum Glück nicht gefallen, eigentlich ist das ein furchtbarer Look." Trotzdem kommen immer wieder vor allem Jugendliche mit einem Foto in den Salon und bestellen "einmal Cristiano, bitte". Immerhin sei der Schnitt gut fürs Geschäft, sagt Ulvi. Die meisten kämen wöchentlich oder alle zwei Wochen zum Nachrasieren.

Ronaldo machte aber nur noch einmal populärer, was laut der New York Times bereits seit 2011 unter Hipstern in Stockholm und Brooklyn grassierte. "The Hitler Youth" wurde plötzlich zum unwahrscheinlichen Trendschnitt, den - weniger überraschend - dann auch schnell die neue Rechte übernahm. Ganz weg war das, was stark an die Proportionen eines Streichholzkopfes erinnert, aber sowieso nie. David Lynch trägt genau genommen seit Jahrzehnten Undercut. Win Butler von Arcade Fire und Rihanna waren gelegentlich mit einem "Sidecut" unterwegs, bei dem nur eine Seite rasiert wird. Die Kurz-lang-Kombination ist noch immer ein verlässlicher Hingucker - Subtext: Querkopf. Dafür werben im Berliner Wedding oder in Duisburg-Marxloh Friseure in ihren Schaufenstern häufig mit einem Tableau von Männerköpfen verschiedenen Alters, das letztlich auf die Angebotspalette "Undercut mit oder ohne Linie und mit oder ohne Bart" hinausläuft. Zumindest auf dem Kopf scheint die Integration weit fortgeschritten, beim Undercut wachsen sämtliche Schichten, Kulturen und Geisteshaltungen zusammen. Immerhin etwas.

Laut dem Stuttgarter Figaro Ulvi sind seine Tage jetzt aber wirklich gezählt. Er schneide wieder viel häufiger leichte Stufen in die Seiten, was "seriöser" aussieht, findet Ulvi. Auf dem Laufsteg der gerade in Paris präsentierten Männermodenschau von Celine war außerdem ein Haarschnitt zu sehen, der ebenso oft zurückbeschworen, wie der Undercut totgesagt wird: der Vokuhila - "vorne kurz, hinten lang". Allerdings trugen die Models beim französischen Label die gemäßigte Sechzigerjahre-Mick-Jagger-Variante: vorne kurzer, seitlich gescheitelter Pony, der Rest lang, gern mit Dauerwelle. Ob es Eltern glücklicher macht, wenn der Siebenjährige irgendwann diese Frisur will?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4519636
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.