Süddeutsche Zeitung

Weltraumhotel:All inklusive

Lesezeit: 6 min

Der Designer Philippe Starck hat ein Weltraumhotel für Superreiche entworfen. Bald könnte die Reise losgehen.

Von Tanja Rest

Zunächst das Finanzielle. Die teuerste Hotelübernachtung auf Erden kostet 68 000 Euro, dafür bekommt man die 1680 Quadratmeter große Royal Penthouse Suite im Genfer Hotel President Wilson. Genau betrachtet eigentlich ein guter Deal. Im teuersten überirdischen Hotel kostet das telefonzellengroße Einzelzimmer nämlich vier bis fünf Millionen Euro die Nacht. Dafür gibt es An- und Abreise inklusive, ein stylisches Ambiente und eine wirklich tolle Aussicht. Da mit Pressereisen erst mal nicht zu rechnen ist, bleibt an dieser Stelle nur die Literatur. Nehmen wir zum Beispiel Frank Schätzings Thriller "Limit" noch mal zur Hand und lesen nach, wie es sich anfühlen würde. Seite 147:

"Dezentes Licht illuminierte den Raum, eine mattierte Glastür barg Dusche, Waschbecken und WC. Das Ganze ließ an eine futuristische Schiffskabine denken, nur dass die bequemen, rot gepolsterten Chaiselongues unter der Decke hingen - und zwar verkehrt herum. Von nichts anderem umschmeichelt als frischer, auf wohlige 21 °C temperierter Luft, schwebte sie über der gewölbten, drei Meter langen Panoramascheibe der Vorderfront und betrachtete einen Sternenhimmel von solch unfassbarer Klarheit und Fülle, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte. Fast 36 000 Kilometer unter ihr schimmerte die Erde, das Werk eines Impressionisten."

55 Millionen Dollar soll der zehntägige Aufenthalt kosten

Na schön, in Wahrheit wird die Erde nur etwas mehr als 400 Kilometer entfernt sein. Aber ansonsten kommt das Axiom-Weltraumhotel dem OSS Grand, wie es Schätzing in seinem Mondreisethriller vor neun Jahren imaginiert hat, doch recht nahe. Neben dem Panoramafenster, dem gehobenen Interieur und der Schwerelosigkeit vereint die beiden Etablissements vorläufig leider auch der Status totaler Fiktion. Doch dabei soll es ja nun nicht bleiben. In spätestens fünf Jahren werden die ersten Gäste ihre Wohnkapseln beziehen. Davon sind sie bei Axiom in Houston jedenfalls fest überzeugt.

Die Zeichen stehen auf Eskapismus, keine Frage. Jeden Tag liefern die Nachrichten drei neue gute Gründe, warum es höchste Zeit ist, eine Sojus-Kapsel zu besteigen und dem Planeten den Rücken zu kehren. Unter den Augen einer faszinierten Öffentlichkeit arbeiten die Mächtigen der Erde seit Jahren daran, die Nachfrage zu bedienen: Elon Musks Space-X tüftelt an der Kolonisierung des Mars, Richard Bransons Virgin Galactic und Jeff Bezos' Blue Origin planen Flüge für Space-Touristen. Doch wenn man Mike Suffredini, Chef von Axiom, mit dem Wort "Konkurrenz" kommt, hört man ihn nur müde lachen. "Blue und Virgin machen einen suborbitalen Flug auf etwa 100 Kilometer Höhe: Man kann die Krümmung der Erde und die Schwärze des Weltraums sehen und erlebt etwa fünf Minuten Schwerelosigkeit. Danach geht es wieder zurück. Was wir anbieten, ist eine radikal andere Erfahrung."

Es hat eine Weile gedauert, bis man Suffredini ans Telefon bekommen hat. Der 59-Jährige ist das, was sie in Houston eine große Nummer nennen: Ein Nasa-Veteran vom alten Schlag, zehn Jahre lang hat er die Internationale Raumstation ISS gemanagt, bevor er sich 2015 selbständig gemacht und Axiom gegründet hat. Etwa 60 Mitarbeiter, die meisten ebenfalls Nasa-Leute, sind seither damit beschäftigt, Gelder aufzutreiben und den Weltraumtraum möglich zu machen. Der Zeitplan ist ambitioniert: In vier, spätestens fünf Jahren sollen die ersten beiden Axiom-Module nach oben geschossen werden und an der ISS andocken. Wenig später wird die Station für Touristen geöffnet, die nach einem 15-wöchigen Training in Houston acht bis zehn Tage im All verbringen. Wenn die ISS stillgelegt wird - voraussichtlich 2024 - soll die Axiom-Station abkoppeln und autark werden. So jedenfalls die Planung.

Die Interessenten stehen naturgemäß Schlange und haben bereits Vorverträge unterschrieben. Suffredini nennt sie "High Net Worth Individuals", ein diskreter Begriff für Superreiche. Namen nennt er natürlich nicht. Es seien einfach Menschen, "die eine Erfahrung machen wollen, die noch nicht vielen Leuten zuteilgeworden ist". Auch eine Erfahrung von Luxus? "Ich bin nicht sicher, ob ich es Luxus nennen würde, das Leben in der Schwerelosigkeit ist und bleibt anstrengend." Aber dass man einem "High Net Worth Individual" für seinen 55 Millionen Dollar teuren Aufenthalt mehr bieten muss als das recht schrammelige Innenleben der ISS mit ihren krankenhausgrau verschalten Wänden, dem Kabelsalat, den schiefen Bildschirmen und blinkenden Konsolen, das ist jedenfalls klar. Was also erwartet seine Gäste genau?

Die Axiom Space Station soll das teuerste Hotel der Welt werden.

In den Kabinen mit Haltegriffen...

...hat Designer Philippe Starck Hunderte LEDs platziert.

In der Kuppel am unteren Ende haben Gäste einen 360-Grad-Blick auf die Erde.

Mike Suffredini hat diese Frage in all den Jahren sicher schon ein paar Hundert Male beantwortet. Das wirklich Erstaunliche ist, dass seine Stimme dabei immer noch von Enthusiasmus geflutet wird. Er sagt: "Wir werden eine riesige Kuppel haben, in der sich vier Leute gleichzeitig aufhalten, den 360-Grad-Blick auf die Erde genießen und dabei einen Drink nehmen können, wenn sie wollen. Ihre Bilder können sie direkt zur Erde schicken, da wir Wi-Fi haben werden. Es gibt die Möglichkeit, Work-outs zu machen, mit einem professionellen Astronauten an Experimenten teilzunehmen oder auch einfach nichts zu tun. Die Passagierkabinen sind schalldicht, mit einem großen Fenster und einem Bildschirm, auf dem man Systeminfos bekommen, aber auch Filme sehen kann. Oder Musik hören. "Stellen Sie sich das mal vor! Sie blicken aus einer Höhe von 400 Kilometern auf die Erde und hören dabei ihre Lieblingsmusik, während Sie in einer Kapsel schweben, die sich wie ein Kokon um Sie herum wölbt. Das muss fantastisch sein."

Das sieht auch ganz fantastisch aus. Neben der Dauer des Aufenthalts im All und dem generell konsumentennahen Ansatz hat Axiom nämlich noch ein drittes Ass im Ärmel: den Designer Philippe Starck.

Von der Zitronenpresse über die Computermaus bis hin zu ganzen Wohnwelten hat der Franzose in den vergangenen Jahrzehnten so ziemlich alles entworfen, was irgendwie mit Menschen in Berührung kommt. Nur eine Raumkapsel hat ihm noch gefehlt. "Mein Vater war Flugzeugingenieur, ich bin ein Zahnbürstendesigner", mailt er heiter aus Paris. "Als Axiom mich angerufen hat, dachte ich, es wäre eine gute Gelegenheit, das wiedergutzumachen und die Evolutionskurve in meiner Familie auszubalancieren." Das ist natürlich blühender Unsinn. Starck begeistert sich sein Leben lang für die Fliegerei - vor allem, wenn sie ins All führt. Für seinen Kumpel Richard Branson hat er vor zehn Jahren die poppig-bunte Inneneinrichtung des Raumflugzeugs Space Ship Two ersonnen.

Seine Kapsel für Axiom ist eine elegante, mit cremefarbenem Stoff ausgepolsterte Kabine mit quietschgelben Haltegriffen und Hunderten LED-Lämpchen, die das Raumlicht daran anpassen, ob die Sonne aus Sicht der ISS gerade auf- oder untergeht, was sie exakt 16 Mal am Tag tut. "Bei meinem Entwurf geht es nicht in erster Linie um Stil, sondern um Funktionalität", schreibt Starck. "Ich wollte einen Raum erschaffen, der den Ansprüchen der Schwerelosigkeit genügt, die Gäste aber auch glücklich macht - und in dem sie sich so sicher fühlen wie ein Embryo im Mutterleib." Passend dazu das Space-Gepäck: Es greift mit seinen Polsternoppen und gelben Henkeln das Design der Kapsel wieder auf und hätte auch in Stanley Kubricks "2001" großartig ausgesehen. Aufgezippt wird es zu einem Wandschrank, in dem Kleidung und Accessoires fest verstaut sind.

Fehlt nur noch der passende Raumanzug. Da sind sie bei Axiom gerade mit mehreren europäischen Luxusmodehäusern im Gespräch. "Haben Sie zufällig ,Der Marsianer' gesehen?", sagt Suffredini. "Also das war ein cooler Raumanzug!"

Wird die Raumfahrt auch mal für Nicht-Milliardäre bezahlbar?

Davon abgesehen legt er Wert darauf, dass seine Axiom-Raumstation nicht wie ein schwebendes Luxusresort rüberkommt. In einem Interview hat er spaßeshalber mal von Room Service gesprochen, das stand dann in der Zeitung und hat ihm etwas Ärger gemacht (wobei das eigentlich Verrückte daran war, dass es ohne Weiteres vorstellbar schien). "Es ist nicht so, als würde man ein Hotelzimmer beziehen", sagt er also, "das Leben da oben ist harte Arbeit". Zwei bis drei Tage dauere es, bis sich der Körper an die Schwerelosigkeit gewöhnt habe, vielen sei erst mal furchtbar übel. Danach sei jede Handlung - ob man sich wasche, rasiere oder eine Mahlzeit zubereite - immer noch anstrengend und zeitraubend. "Aber das ist auch gut so. Alles Andere würde die Erfahrung, im All zu sein, beeinträchtigen. Und ich glaube nicht, dass unsere Kunden das wollen."

Die "High Net Worth Individuals". Es dauere nicht mehr lange, glaubt Suffredini, bis die kommerzielle Raumfahrt auch für Nicht-Milliardäre erschwinglich werde. Vorläufig aber habe jeder seiner Gäste so viel Kapital, dass er das Schicksal des Planeten beeinflussen könne. Es seien exakt jene Menschen, denen man eine Erfahrung wie diese wünsche. "Glauben Sie mir, ich habe in meinem Leben schon viele Leute da rauf gebracht. Jeder von ihnen kam mit einer völlig veränderten Perspektive zurück. Du schaust auf die Erde und siehst keine Grenzen, keine Dogmen, nur diese kleine blaue Kugel. Die Atmosphäre, die sie umschließt, ist sehr dünn. Sie sieht irgendwie zerbrechlich aus."

Ein Anblick, der Philippe Starck verwehrt bleiben wird. "Leider", antwortet er auf Anfrage, "bin ich klaustrophobisch und habe daher nicht das ideale Profil. Nichtsdestotrotz schätze ich mich glücklich, ich bin ein Reisender im Magma meiner Kreativität." Na dann.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2018
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