Süddeutsche Zeitung

Stilkritik:Ehrentribüne der Oberwichtigen

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Nach heftiger Kritik hat Uli Hoeneß seinen ehemals engen Freund Paul Breitner von der Ehrentribüne verbannen lassen. Ein Vorgang, der jeder Ehre entbehrt, aber gut in diese Zeiten passt.

Von Michael Neudecker

Die Ehrentribüne ist ein schöner Ort, wenn man Ehrentribünen mag. Auf Englisch sagt man "VIP sector", oder, und das beschreibt am allerbesten, was die Ehrentribüne ist: "the distinguished visitors' gallery". To distinguish bedeutet unterscheiden, der Ehrengast ist ja nicht Jedermann, das ist wichtig, und zwar vor allem für den Ehrengast. Ehrentribünen gibt es an vielen Aufführungsorten, am gebräuchlichsten aber sind sie im Sport. Jeder Fußball-Landesligaverein, der was auf sich hält, hat heutzutage eine Ehrentribüne, weil Wichtige gibt es überall.

Beim FC Bayern in der Fröttmaninger Arena gibt es sogar verschiedene Kategorien von Wichtigen, die Mittelwichtigen sitzen im Ehrengastbereich, die Oberwichtigen ein Stockwerk höher in den Logen; gutes Essen und Freibier gibt es hier wie dort, nur dass das Essen ganz oben in den Logen halt noch a bisserl mehr distinguished ist. Paul Breitner, der als Spieler einst zu den Oberwichtigen des FC Bayern gehörte, muss sich künftig womöglich mit einer selbstgekauften Bratwurst zufriedengeben, die man in der Arena dort holt, wo sich die Kuttenträger und sonstiger Pöbel anstellen.

Uli Hoeneß, der Vereinspräsident ist und damit der Großkopferte unter den Oberwichtigen, hat seinem früheren Zimmerkollegen bei Auswärtsreisen als Reaktion auf Kritik Breitners an ihm, Hoeneß, mitteilen lassen, er sei fortan nicht mehr erwünscht auf der Ehrentribüne. Woraufhin Breitner seine Ehrenkarten, die ihm als Ehrenspielführer auf Lebenszeit zustehen, an den FC Bayern zurückschickte.

Insgesamt betrachtet ein recht unehrenhafter Vorgang, der aber ganz gut zu dieser für den größten deutschen Fußballklub recht schwierigen Zeit passt. Der "VIP sector" ist da, wo es Gratisdelikatessen, lächelnde Hostessen und warme Decken gibt, aber beim FC Bayern ist in diesen Tagen noch nicht einmal die Ehrentribüne ein Ort der Glückseligkeit.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2018
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