Süddeutsche Zeitung

Letzter Otto-Katalog:Nostalgie auf vergilbten Seiten

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An diesem Donnerstag wurde nach 69 Jahren der letzte Otto-Katalog gedruckt. Damit endet auch eine Ära der Versandhausprospekte. Hommage an eine aussterbende Art.

Von Martin Zips

Nichts dokumentiert den Alltag der Menschheit des 20. Jahrhunderts besser als ein Versandhauskatalog. Geräte, Werkzeuge, Schmuck und Mode - wer einen Blick in längst vergangene Jahrzehnte werfen will, der ist zwischen den Seiten alter Quelle-, Neckermann- und Otto-Kataloge bestens aufgehoben. Wohl kaum etwas in der gut dreihunderttausendjährigen Menschheitsgeschichte wird künftigen Ethnologen, Soziologen und Museologen mehr Freude bereiten als die dortige Auflistung einst gebräuchlicher Büstenhalter, Küchengeräte und Hygieneartikel. Vergilbte Versandhauskataloge sind die Latrinen modernster Archäologie.

Doch Papier war gestern, die Zukunft gehört dem Elektrischen. Neckermann- und Quelle-Kataloge, Konsumbibeln der Wirtschaftswunder-Zeit, sie existieren längst nicht mehr. Am Donnerstag nun wurde nach 69 Jahren auch der letzte Otto-Katalog gedruckt. Beim Hamburger Otto-Versand gehen 97 Prozent der Bestellungen digital ein, da würde man freilich den Teufel tun, 132 Jahre nach Erscheinen des ersten deutschen Versandhauskataloges weiter auf Papierklötze zu setzen. Statt mehrmals jährlich das Gesamtangebot millionenfach gedruckt zu servieren, sollen fortan nur noch ausgewählte Artikel in gebundenen Kompendien beworben werden. Alles andere geht ja online.

"Ich bin dann mal App!", steht auf Cover der letzten Ausgabe

"Die fortschrittlichste Anlage der Welt", hatte ein Spiegel-Reporter im Jahr 1955 das damals gerade in Betrieb genommene Quelle-Versandhaus in Fürth gepriesen. Der Konzern war im Jahr 1927 vom späteren NSDAP-Mitglied Gustav Schickedanz gegründet worden. Schickedanz starb genau 50 Jahre später in seinem Büro. Auch sein Konkurrent und ehemaliger Parteifreund Josef Neckermann pflegte nach 1945 hervorragende Kontakte zur deutschen Politik.

Der Unternehmer und Dressurreiter Neckermann, der seinen Konzern auf der Firma des von den Nazis quasi enteigneten Nürnbergers Karl Amson Joel errichtet hatte, wurde im Nachkriegsdeutschland als Partner im Kampf gegen die drohende Inflation geschätzt. Ebenso wie Otto-Versand-Gründer Werner Otto, der zwar auch früh NSDAP-Mann war, aber gegen Hitler Flugblätter verteilt hatte. Nur Fotoversandhändler Hannsheinz Porst fiel in den Sechzigerjahren in Ungnade, als bekannt wurde, dass er nicht nur FDP-, sondern auch SED-Mitglied war.

"Ich bin dann mal App!", steht nun auf der Titelseite des finalen Otto-Katalogs. Das namenlose Cover-Girl blickt - im Unterschied zu Vorgängerinnen wie Cindy Crawford oder Claudia Schiffer - den Kaufinteressierten aus einem Smartphone an. Früher hätte ihr Blick Teenager ähnlich aufgewühlt wie die Bikini-Mode im Wenz-Katalog oder die Anatomie-Bilder im Brockhaus. Aber das ist vorbei. "Unsere kleinbürgerliche Hölle", wie Hans Magnus Enzensberger 1960 den Versandhandel beschimpfte, sie findet heute im Internet statt.

Also erst mal sehen, was Amazon hat. Gibt es in den kommenden Jahren keinen Stromausfall, so werden künftige Experten die Dinge des 21. Jahrhunderts wunderbar digital erforschen können. Und sollte es doch mal zu einem Stromausfall kommen, so hatte am Ende Großmutter recht: "Nur was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen."

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SZ vom 23.11.2018
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