Süddeutsche Zeitung

Hochzeiten:China will eine "vulgäre Praxis" beenden

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Von Jasmin Siebert

Was passiert, wenn in einem ganzen Land Eltern lieber Söhne bekommen und millionenfach weibliche Föten abtreiben? Es gibt weniger Frauen, und wovon es einen Mangel gibt, dessen Wert steigt. Das klingt unangemessen nüchtern, fast so, als gehe es hier nicht um Menschen, sondern um Waren. Aber so ist das in China, wo es nach 35 Jahren der Ein-Kind-Politik mindestens 30 Millionen mehr Männer als Frauen gibt. Um ihr Leben nicht alleine in einem Junggesellendorf zu fristen, sind die Männer bereit, hohe Mitgiften zu zahlen - längst werden Summen erreicht, die das Jahreseinkommen der Bräutigamsfamilien um ein Vielfaches übersteigen.

Nicht nur Goldschmuck, sondern ein Haus, ein Auto und 150 000 Yuan (ungefähr 19 000 Euro) sind inzwischen Standardforderungen der Brautfamilien. Das trifft vor allem Männer in ländlichen Gebieten, denn viele Frauen zieht es in die Städte, und das verschärft die Angebot-und-Nachfrage-Problematik gewissermaßen zusätzlich. Um sich das leisten zu können, verschulden sich die Familien oft lebenslang. In der Provinz Shandong soll es Dörfer geben, in denen das Brautgeld im wörtlichen Sinne abgewogen wird: 100 000 Yuan in 100er-Scheinen wiegen etwa 1,6 Kilogramm. Auch gibt es dort den Brauch, "alles in Rot und Grün" zu zahlen, also mit Hundert- und mit Fünfzig-Yuan-Scheinen.

Das Problem ist, wie immer, wenn die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt: Obwohl viele Bewohner diese Entwicklungen selbst nicht gutheißen, sind sie machtlos. Es gibt ja immer jemand anderen, der bereit ist, noch mehr zu zahlen.

Seit 2016 gibt es die Ein-Kind-Politik nicht mehr, jetzt dürfen alle Chinesen zwei Kinder haben

Um die ausufernden Mitgiften einzudämmen und die "vulgäre Praxis" zu beenden, fordert das Ministerium für zivile Angelegenheiten eine Trendwende. Auf chinesische Weise: Die Menschen sollten lieber "Xi Jinpings Gedankengut" folgen, Hochzeitsfeiern sollten sozialistische und traditionelle chinesische Werte wie Fleiß und Sparsamkeit widerspiegeln. Schluss mit Extravaganz und Verschwendung.

Da Vernunftappelle aber selten ausreichen, wurden mancherorts bereits Regeln beschlossen, um Brautpreise zu deckeln. Im Kreis Taiqian in der Provinz Henan ist nicht nur der Wert der Hochzeitsgeschenke auf 60 000 Yuan (7700 Euro) limitiert. Beschränkt ist auch die Zahl der Gäste: maximal zehn Tische oder 200 Leute. Die Brautfamilien dürfen keine Häuser und Autos mehr fordern und die Familien der Bräutigame dürfen keine Schulden aufnehmen, um die Hochzeit zu bezahlen. Doch solange die Angst der Männer vor dem Alleinsein groß ist, dürfte es schwierig werden, die Hochzeitsbräuche zu ändern. Funktionäre fordern daher, dass lokale Behörden für alternative Veranstaltungen wie Massenhochzeiten werben sollten.

Seit 2016 gibt es die Ein-Kind-Politik nicht mehr, jetzt dürfen alle Chinesen zwei Kinder haben. Die neue Musterfamilie hat eine Tochter und einen Sohn. Bis diese im heiratsfähigen Alter sind, dauert es allerdings noch.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise den Fünf-Yuan-Schein als grünfarbigen Schein genannt. Richtig ist jedoch, dass der 50-Yuan-Schein grün ist.

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Quelle:
SZ vom 05.12.2018
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