Süddeutsche Zeitung

Würzburger Kickers:Auf den Steinstufen

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Die Kickers stehen vor der Rückkehr in die zweite Fußball-Bundesliga. Über einen Klub, der bewegte Jahre hinter sich hat - und einen rumänischen Nationalspieler, der den Aufschwung lostrat.

Von Sebastian Leisgang

Eigentlich beginnt diese Geschichte nicht erst 2014, als Bernd Hollerbach in die Stadt zurückgekehrt ist. Eigentlich beginnt sie auch nicht erst im Oktober 2017, als Michael Schiele den Trainerposten übernommen hat. Eigentlich beginnt diese Geschichte vor knapp zwanzig Jahren. Sie beginnt mit einem Zahnarzt, und sie beginnt vor allem mit einem ehemaligen Nationalspieler Rumäniens. Er ist es, der erklären kann, was das für ein Klub ist, der sich anschickt, an diesem Samstag in die zweite Bundesliga aufzusteigen.

Wer ergründen will, was die Kickers ausmacht, für was dieser Klub steht, der muss sich mit Claudiu Bozesan unterhalten, einem nüchternen Mann, der mit seiner sanften Stimme auch als Therapeut durchgehen würde. Bozesan spielte früher für Rumänien, später für Würzburg. Er war nicht so betucht wie Thorsten Fischer, der die Kickers als Investor unterstützt, er war nicht so einflussreich wie Michael Schlagbauer, der Zahnarzt, der damals, als der Verein in den Niederungen des Amateurfußballs war, ein Amt im Vorstand übernahm und viele richtige Entscheidung traf. Er war erst Recht nicht so prominent wie Felix Magath, der seit diesem Jahr Chef ist in Fischers Firma Flyeralarm Global Soccer. Bozesan aber war zur rechten Zeit am rechten Ort und trat den Aufschwung los.

Eine Erinnerung an eine Begegnung auf der Gegentribüne des Würzburger Stadions, knapp sechs Jahre her. Es war Hochsommer, die Sonne strahlte an diesem August-Abend, und Bozesan saß auf den Steinstufen, auf denen die Zuschauer stehen, wenn die Mannschaft unten auf dem Feld spielt. Bozesan sollte über die Kickers sprechen, erklären, wie sie in die Regionalliga gekommen waren und ob er, Bozesan, der Mannschaft zutraue, in der ersten Runde des DFB-Pokals den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf auszuschalten.

Bozesan saß da und schaute hinunter auf den Rasen. Er spürte, dass hier wieder etwas entstehen würde. Dass Hollerbach dem Verein wieder einen Namen geben und dass die Tage mit Spielen vor hundert Leuten vorbei sein würden. Bozesan aber erinnerte sich gerne an diese Zeit. Sie war echt, sie fühlte sich richtig an. "Wir hatten auch auswärts oft ein Heimspiel", sagte Bozesan, "dreißig bis vierzig Fans waren immer dabei."

Im Grunde ist es lächerlich, es ist aber auch, wie alles Lächerliche, rührend. Und dreißig bis vierzig Fans, das war ja auch eine beachtliche Zahl damals, vor fast zwei Jahrzehnten, als die Kickers in der Bezirksliga spielten.

Bozesan war dem Ruf des Vereins gefolgt, weil er schon ein paar Jahre zuvor für Würzburg gespielt hatte. Er fühlte sich verbunden, er wollte helfen, als sich die Verantwortlichen bei ihm meldeten, weil ihnen klar war, dass es jetzt, in den Tiefen des Amateurfußballs, einen braucht, der Ahnung hat und verrückt genug ist, um sich das anzutun, siebte Liga, hundert Zuschauer, Auswärtsspiele in Nachbargemeinden.

Bozesan hatte beides: Ahnung - und eine gewisse Verrücktheit. Er hatte in der zweiten Liga für Schweinfurt 05 gespielt, und er verstand eine Menge vom Fußball. Das brachte er ein. Erst als Spieler, später als Trainer. Inzwischen gilt Bozesan als einer jener Männer, die den Klub dorthin gebracht haben, wo er dieser Tage ist.

Jetzt, nach Jahren des Siechtums, machen sich die Fans etwas daraus, dass sie den Würzburger FV abgehängt haben, ihren Rivalen aus dem Arbeiterviertel Zellerau, der vor vierzig Jahren auch mal zweitklassig war. Sie bilden sich etwas darauf ein, dass sie ihrem Klub schon damals gefolgt sind, auf die Dorfsportplätze in der Umgebung, nach Kleinrinderfeld und Höchberg, lange bevor Vereine wie Fortuna Düsseldorf ihren Mannschaftsbus auf dem Stadionparkplatz abstellten.

2014, ein paar Wochen vor dem Gespräch mit Bozesan, war Hollerbach an den Dallenberg gekommen. Er hatte in Rimpar, einer Gemeinde gut zehn Kilometer entfernt, das Fußballspielen gelernt und später auch für die Kickers gegrätscht. Vor sechs Jahren kehrte er dann als Trainer zurück und führte den Klub auf Anhieb aus der Regionalliga in die zweite Bundesliga.

Jetzt, vor der Rückkehr ins Unterhaus, steht nicht mehr Hollerbach, sondern Michael Schiele an der Seitenlinie. Ein Schwabe, der Wein weniger abgewinnen kann als Bier, ein Trainer aber, der weiß, was er tut. Auch wegen ihm hat sich inzwischen ein gewisses Fieber in der Stadt breitgemacht, eine stille Vorfreude auf das, was da kommt. Es ist allerdings nicht der Triumph an sich, der die Leute begeistert. All die Siege, die Erfolgsmeldungen vom Dallenberg, sie berühren die Leute nur deshalb, weil aus ihnen Dramatik spricht. Weil sie Sehnsüchte stillen. Weil sie die Wunde schließen, die sich vor drei Jahren aufgetan hat, als die Kickers nach 27 Punkten in der Vorrunde noch abgestiegen sind. Es war ein beispielloser Absturz. Einerseits. Andererseits war es kein Vergleich zu dem, was Bozesan in all den Jahren mit den Kickers durchgemacht hatte.

Ein Viertel Jahrhundert war Bozesan bei den Kickers. Bis vor einem halben Jahr. Dann verabschiedete er sich und zog weiter zum TSV Abtswind, einem Bayernligisten. An diesem Samstag, wenn seinen Kickers gegen den Halleschen FC der große Wurf gelingen kann, wäre er gerne im Stadion. Alte Bekannte treffen, der Mannschaft die Daumen drücken und dann gemeinsam den Aufstieg feiern. "Aber durch die Corona-Zeit ist alles schwierig", sagt Bozesan am Freitag. Er wird das Spiel am Fernseher verfolgen. Er wird mitfiebern, und er wird hoffen, dass alles gut geht.

Sollten die Würzburger tatsächlich in die zweite Liga zurückkehren, wäre das, wie Bozesan findet, "eine ganz große Geschichte". Eine, die mit ihm begonnen hat. Damals, als der Zahnarzt ihn anrief.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2020
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