Süddeutsche Zeitung

Wolfsburg weiter ohne Sieg:Bremsmanöver im freien Fall

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Der VfL Wolfsburg hat unter Trainer Florian Kohfeldt das Gewinnen verlernt. Nacht acht Niederlagen in Serie gilt das 0:0 gegen die ebenfalls kriselnde Hertha nun bereits als Aufwärtstrend.

Von Thomas Hürner, Hamburg/Wolfsburg

Im ersten Moment klingt das nach einer echten Superkraft: Florian Kohfeldt, der Trainer des VfL Wolfsburg, kann während eines Spiels die Gestalt eines sehr anerkannten Berufskollegen annehmen. Es passiert in der Regel zwischen der 60. und 80. Minute, die Wolfsburger laufen einem Rückstand hinterher oder für sie läuft generell eher wenig. Kohfeldt, 39, vergräbt dann die Hände in der Hose und neigt den Kopf zur Seite, was womöglich ein Ausdruck von Anspannung und Nervosität ist, ein kleiner Tick, um den Druck auszubalancieren.

Der Kopf bleibt meistens bis zum Schlusspfiff in Schräglage - und für Freunde des Fußballsports dürfte die Parallele jetzt offensichtlich sein: Das ist doch eigentlich das Markenzeichen des Trainers Frank Schmidt! Einem breiten Publikum ist Schmidt nur deshalb nicht bekannt, weil er seit fast 15 Jahren beim kleinen 1. FC Heidenheim reüssiert und nicht im Traum daran denkt, das malerische Örtchen in der schwäbischen Ostalb für einen etablierten Erstliga-Klub zu verlassen. Schmidt und der frühere Bremer Kohfeldt kennen sich, sie haben sogar einen wichtigen Berührungspunkt in ihren Biografien, seit sie 2019 in der Bundesliga-Relegation aufeinander getroffen sind.

Wolfsburg bleibt unter Trainer Kohfeldt seit neun Spielen ohne Sieg

Damals gingen der SV Werder und Kohfeldt als knappe Sieger hervor, obwohl sie keines der beiden Spiele gewinnen konnten. Und man kann sagen: Seit diesen Duellen wirkt Kohfeldt manchmal wie ein Trainer, der einiges zu verlieren hat. Und das in einer Branche, in der es ums Gewinnen geht.

Am Samstag, beim Wolfsburger 0:0 gegen Hertha BSC, betrug der geschätzte Neigungswinkel seines Kopfes mal wieder 45 Grad, er wippte auf den Zehenspitzen, fuchtelte mit den Händen. Kohfeldt hatte sich bei seinem Amtsantritt im Oktober vorgenommen, ein gelasseneres Auftreten an den Tag zu legen als in Bremen, wo er als schnell überkochendes Trainertalent galt. Das klappte ganz ordentlich - bis die aktuelle Schreckensperiode einsetzte: Das Remis gegen Berlin war das neunte sieglose Pflichtspiel in Serie, darunter acht Niederlagen, der VfL hat seit Anfang Dezember gerade mal vier Tore geschossen.

Kohfeldt kennt sich aus mit Krisen, in seinen dreieinhalb Jahren als Werder-Coach hat er den heutigen Zweitligaklub vor allem in einem permanenten Alarmzustand erlebt. Wolfsburg schien deshalb wie gemacht für den nächsten Karriereschritt: Das Umfeld neigt nicht zu Gefühlswallungen, der Klub hegt stets internationale Ambitionen, die Mannschaft verfügt über formidable Einzelkönner. In der Branche finden jedoch einige Akteure, dass das erratische Naturell Kohfeldts ein Malus ist, der sich auf die Spieler überträgt und zwangsläufig zu Verunsicherung führt, wenn die Erfolgserlebnisse ausbleiben.

"Wir haben wieder einen Boden unter die Füße bekommen", sagte Kohfeldt nach dem 0:0 gegen Hertha BSC

"Klar, man hinterfragt sich in solchen Zeiten", sagte Kohfeldt am Sonntag in der TV-Sendung Sky90. Er sei aber "absolut überzeugt" davon, dass im Binnenverhältnis zwischen Trainer und Mannschaft alles in Ordnung sei. In der Tat ließ sich die Leistung gegen Hertha als leichter Aufwärtstrend in der Saisonchronik verbuchen. Die Wolfsburger übernahmen in der ersten halben Stunde die Initiative, sie kamen durch die Stürmer Wout Weghorst und Luca Waldschmidt zu guten Torchancen und präsentierten sich in der Defensive solide. Durch diesen Auftritt, glaubt Kohfeldt, habe man "wieder einen Boden unter die Füße bekommen".

So sieht das bestimmt auch der VfL-Sportchef Jörg Schmadtke. Er hatte dem Coach zuletzt wiederholt das Vertrauen ausgesprochen und angesichts des "freien Falls" eingeräumt, dass es vor der Saison womöglich ein Fehler war, dem erfolgreichen Kader der Vorjahre nur punktuelle Ergänzungen zuzuführen, statt ihm einen frischen Anstrich zu verpassen. Bereits seit geraumer Zeit gibt es Unkenrufe darüber, dass sich die Hierarchie im Team in einer beträchtlichen Dysbalance befindet, dass Stürmer Weghorst sofort in den Ärmelkanal springen würde, um ihn schwimmend in Richtung England zu überqueren, dass insbesondere der Wolfsburger Kapitän Maximilian Arnold mit dem Arbeitsethos einiger Teamkollegen hadert - und dass der Trainer Kohfeldt zu wenig Zeit hatte, um sich mit all diesen Problemstellungen auf einmal zu befassen.

Bei Sky90 sagte Kohfeldt noch, er könne die Situation nicht durch Reden, sondern lediglich "durch gute Arbeit beeinflussen". Das ist seit jeher auch die Kernkompetenz des Kollegen Frank Schmidt, der mit seinen Heidenheimern auf Platz drei vorgerückt ist: ein erneutes Relegationsduell mit Kohfeldt ist also nicht ausgeschlossen.

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