Süddeutsche Zeitung

WM-Gold für Dafne Schippers:In unfeiner Gesellschaft

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Knuth, Peking

Dafne Schippers ist eine höfliche Person, im Gespräch strahlt sie eine freundliche Unverbundenheit aus. Wenn man sie fragt, warum sie in diesem Jahr derart schnell über die Tartanbahnen der Welt läuft, dann sagt sie: "Ich habe an meinem Start gearbeitet. Er war nicht so gut, jetzt ist er besser." Dass sie im Sommer den Siebenkampf gelassen hat und jetzt bei den Sprinterinnen mitmacht? "Früher habe ich alles trainiert, jetzt bin ich Sprinterin. Ich finde das gut." Und dass sie es in Peking gleich zwei Mal mit der Weltelite aufnahm, über 100 und 200 Meter, findet Schippers auch in Ordnung: "Ich bin jung, es ist gut, dass ich viel renne."

Vermutlich muss man auch gar nicht viel reden, wenn man in diesen Tagen in Peking so läuft wie Dafne Schippers, Sprinterin aus der niederländischen Leistungsschmiede Papendal. Mit 23 Jahren vom Siebenkampf zur Weltmeisterin über 200 Meter, am vergangenen Montag eine Silbermedaille über 100 Meter - man kann durchaus sagen: Schippers Geschichte ist eine besondere.

Böse Erinnerungen werden wach

Der Freitag war ohnehin ein bemerkenswerter Tag bei der Leichtathletik-WM im Vogelnest. Die Chinesen ehrten ihre Geherinnen, Hong Liu und Xiuhi Lu hatten am Vormittag Gold und Silber in Chinas noch überschaubaren Medaillenspiegel eingebracht. Am Abend sang ein ganzes Stadion den "Marsch der Freiwilligen", es ist eine feierliche, fast beschwingte Hymne, zumindest so lange man den Text nicht kennt: "Lasst uns aus unserem Fleisch und Blut die neue Mauer bauen / Gemeinsam wider das feindliche Kanonenfeuer, voran!" Danach gingen die Chinesen zufrieden nach Hause.

Gut, einige waren schon noch geblieben. Sie sahen, wie die Amerikanerin Tianna Bartoletta den Weitsprung der Frauen mit 7,14 Metern gewann, wie ihr Landsmann Aries Merritt über 110 Meter Hürden Dritter wurde (13,04 Sekunden); Merritt trägt seit einer Weile eine kaputte Niere in seinem Körper, am kommenden Dienstag werden sie ihm eine neue einsetzen.

Aber sie alle kamen mit ihren Geschichten dann doch nicht an gegen die weiße Niederländerin, die über 200 Meter zunächst etwas langsam aus den Blöcken stieg. Die nach 100 Metern auf einer Reihe mit den Verfolgern lag, die Jamaikanerin Elaine Thompson schien fast schon entwischt zu sein. Über 100 Meter war Schippers nicht mehr an Shelly-Ann Fraser-Pryce herangekommen, diesmal aber waren noch genug Meter übrig. Thompson und Schippers schoben sich über die Linie, Schippers streckte ihren Zeigefinger in die Luft. Dann sah sie die Zeit. Sie fasste sich mit beiden Händen an den Kopf: 21,63 Sekunden.

"Ich kann es nicht glauben. Ich brauche Zeit, das alles zu verstehen", sagte sie.

Damit war sie nicht allein. Nach dem Rennen ploppten diverse bunte Abkürzungen hinter Schippers Namen auf: WM-Rekord. Europarekord. Letzteren hatten sich Marita Koch und Heike Drechsler geteilt (21,71), sie waren diese Zeit 1979 beziehungsweise 1986 gerannt. Man muss lange in den Archiven wühlen, bevor man eine vergleichbare Leistung findet, und die Funde sind nicht appetitlich.

Fünf Europäerinnen haben bei den bislang 15 Weltmeisterschaften über 200 Meter gewonnen, darunter Koch (1983), Silke Gladisch (1987) und Katrin Krabbe (1991); letztere wurde in den Neunzigerjahren wegen Dopingverdachts suspendiert. Vor Schippers stehen in den Annalen der 200 Meter jetzt nur noch zwei Sprinterinnen: Weltrekordhalterin Florence Griffith-Joyner (21,34) und Marion Jones (21,62). Die eine griff damals wohl etwas zu tief in den Anabolika-Topf, die andere dopte so lange, bis Fahnder das berüchtigte Balco-Labor in Kalifornien enttarnten, von dem Jones ihre Schnellmacher bezogen hatte.

Es ist also keine feine Gesellschaft, in die sich Schippers am Freitag begeben hat. Aber was kann man ihr vorwerfen? Dass ihre Dopingtests nicht ausschlagen? Ist nicht vielmehr der Anti-Doping-Kampf des Weltverbandes IAAF ein Problem, der trotz aller Bemühungen kein Vertrauen schafft? Auch Dafne Schippers konnte am Freitag nicht Weltmeisterin werden, ohne sofort bösen Verdacht auf sich zu ziehen.

Vor der WM hatte eine niederländische Zeitung berichtet, einige Blutwerte in der jüngst veröffentlichten ARD-Datenbank würden Schippers gehören. "Das ist eine riesige Beleidigung. Ich bin zu 100 Prozent sauber", sagte Schippers. Als sie mit den Zweifeln konfrontiert wurde, sagte sie: "Ich bin einfach glücklich mit meiner Zeit. Ich bin sehr glücklich." Und auf Nachfrage: "Ich bin sehr glücklich mit meiner Zeit. Was kann ich schon sagen?" Was sie Zweiflern entgegnen könne, insistierte ein Reporter: "Ich bin sauber. Ich habe hart gearbeitet. Ich habe alle Dopingkontrollen bestanden."

Dafne Schippers hat eine erstaunliche Entwicklung hingelegt. Von einer Mehrkämpferin, die 2013 WM-Bronze in Moskau gewann, der ihre Sprintzeiten irgendwann doch zu schade waren, um sie im zehrenden Mehrkampf zu vergeuden. Im vergangenen Jahr versuchte sie sich zum ersten Mal als hauptberufliche Sprinterin, was ihr die EM-Titel über 100 und 200 Meter einbrachte. 2015, nachdem sie in Götzis ihre Mehrkampf-Karriere erst einmal stillgelegt hatte, beschleunigte sich ihre Verwandlung. Im WM-Halbfinale über 100 Meter steigerte sie den Landesrekord auf 10,83 Sekunden, im Finale auf 10,81.

Und jetzt ist Dafne Schippers tatsächlich Weltmeisterin, auf der höchsten Erhebung des von US- und Karibik-Sprinterinnen dominierten Podiums. "Es war warm, ich habe ein wenig gebraucht, um in Schwung zu kommen", sagte Schippers: "Ich habe mich gar nicht so gut gefühlt."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2625680
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.08.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.