Süddeutsche Zeitung

Wladimir Klitschko:Die Zeit für neue Box-Künstler ist gekommen

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Wladimir Klitschko sollte auf einen Rückkampf gegen Tyson Fury verzichten. Der Rückzug zum richtigen Zeitpunkt ist nur wenigen prägenden Schwergewichts-Boxern geglückt.

Kommentar von Benedikt Warmbrunn

Jahrzehntelang war das Schwergewichtsboxen die Kunst des Kraftvollen. Joe Louis mit seinem Gefühl für den einen, harten Schlag. Rocky Marciano, der von der ersten bis zur letzten Minute prügelte und sich verprügeln ließ. Muhammad Ali, der in seine Eleganz die Wucht eines Panthers steckte. Mike Tyson, mit der aggressiven Wut einer schweren Kindheit. Schwergewichts- boxer waren die stärksten Männer der Welt, die härtesten, die risikofreudigsten. Sie fürchteten sich vor nichts, allenfalls davor, Schwäche zu zeigen.

Dann kamen die Klitschko-Brüder. Zwei Modellathleten wie nur wenige Schwergewichtsboxer zuvor, mit enormer Kraft in den Fäusten. Doch sie entwickelten eine ganz eigene Kunst, vor allem Wladimir, der jüngere Bruder.

Klitschko wurde geschlagen durch die Qualität, die ihn immer ausgezeichnet hat

Die historische Leistung der Klitschkos ist es, dass sie das Schwergewichtsboxen in eine Kunst des Körperlosen verwandelt haben. Sie haben gezeigt, dass auch ein großer, starker, schwerer Mann vor allem mit der Kraft des Verstandes boxen kann, dass er nicht alles riskieren muss, dass er nicht sinnlose Härte zeigen muss. Dass er auch zu seinen Schwächen stehen kann, indem er sie in Stärken verwandelt.

So hat sich gerade Wladimir Klitschko nach den frühen Niederlagen seiner Karriere in einen Sicherheitsboxer verwandelt, der die Kunst nicht darin sah, hart zu treffen, sondern einfach nicht getroffen zu werden. Den Freunden des Kraftvollen war das zu langweilig, und dennoch hat Klitschko die Szene geprägt wie zuvor lange kein Kämpfer. Er ist der beste Schwergewichtsboxer seiner Generation geworden, noch am Samstagmorgen war er für manche sogar der beste Boxer aller Gewichtsklassen.

Dann aber kämpfte er gegen Tyson Fury. Und er wurde geschlagen durch die Qualität, die ihn immer ausgezeichnet hat: durch Körperlosigkeit. In Fury traf er auf einen Gegner, der sich an Klitschko orientiert hat, der dessen Stil für sich weiterentwickelt hat, ihm aber etwas mehr Aggressivität beimischte. Klitschko musste so erkennen, dass auch er einen Körper braucht. Einen Körper, den er ins Duell werfen kann. Einen Körper, der stärker der Gefahr ausgesetzt werden kann.

Das ist nun keine Frage des Alters (sollte Klitschko noch einmal boxen, wäre er 40 Jahre alt). Es geht um die Kunst und um die Zeit, die ihr gegeben wird. Gerade die stärksten Boxer haben das Ende schon oft zu lange hinaus gezögert. Louis kämpfte am Ende nur noch für die Steuerbehörde, Ali kassierte schwere Treffer, Tyson war lediglich ein Schatten seiner selbst. Allein Marciano trat ohne Niederlage zurück.

Sollte Wladimir Klitschko noch einmal gegen Tyson Fury kämpfen, könnte er gewinnen, vielleicht. Er könnte genauso gut verlieren. Für seinen Platz in der Geschichte des Boxsports ist das letztlich egal, er muss niemandem mehr etwas beweisen - trotz der Niederlage gegen Fury bleibt er der beste Schwer- gewichtsboxer seiner Generation. Doch große Champions erkennen auch, wann die Zeit für neue Künstler gekommen ist.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2015
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