Süddeutsche Zeitung

Wimbledon:Witthöft dreht jetzt aussichtslose Spiele

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Von Matthias Schmid, London

Carina Witthöft wehrt auch diesen Angriff lässig ab. Die Fragensteller an dem runden Tisch im Millenium Building des All England Lawn Tennis & Croquet Clubs geben sich am Mittwochabend richtig Mühe, um ein bisschen mehr zu erfahren. Aber die 22-jährige Tennisspielerin aus Hamburg lässt sich nicht in Verlegenheit bringen. Wie schon zuvor im Match hat sie die richtige Antwort parat.

Höflich, aber bestimmt. "Mehr will ich dazu nicht sagen", entgegnet Witthöft auf Fragen zu einem Thema, aus dem jeder Sportler gerne ein Geheimnis macht. Nachdem sie als erste deutsche Spielerin mit einem Dreisatz-Erfolg 7:6 , 3:6, 6:3 über die Weißrussin Aryna Sabalenka in die dritte Runde von Wimbledon vorgerückt ist, verrät sie zwar, dass sie seit einiger Zeit auch das Mentaltraining in ihren Übungsalltag integriert hat. Aber die Inhalte oder mit wem sie zusammenarbeitet, behält sie lieber für sich. "Ich habe etwas Gutes für mich entdeckt", sagt sie lediglich. Und lächelt.

Dass die Arbeit sich lohnt, hatte man schon bei ihrem Erstrundensieg in Wimbledon gegen Mirjana Lucic-Baroni beobachten können. 0:5 lag Witthöft beim wichtigsten Tennisturnier des Planeten im dritten Satz zurück. Eigentlich aussichtslos. Doch dann gelang ihr auf dem Rasen ein wundersames Comeback und sie gewann noch mit 8:6. "Ich habe viel daran gearbeitet, dass ich ruhig bleibe, egal was passiert", erzählte die Weltranglisten-65. nach der ersten Runde.

Erwachsener geworden

Die nächste Prüfung wartete dann schon zwei Tage später. Die 19-jährige Sabalenka spielte nicht nur ein ausgeprägtes Haurucktennis, sondern schrie und stöhnte dabei so laut, als müsse sie einem Monster davonrennen. Witthöft störten aber weder die mächtigen Grundschläge ihrer Gegnerin noch das Gebrüll. Nicht mehr, muss man wohl sagen. Denn seit Witthöft mental an sich arbeitet, ist sie erwachsener geworden, reifer. "Im vergangenen Jahr hätte ich mich noch ablenken lassen und so eine Partie verloren", gibt sie zu.

Es hat etwas länger gedauert als bei anderen Spielerinnen, bis Witthöft erkannte, dass zum Trainingsplan einer professionellen Tennisspielerin mehr gehört als nur Vorhand, Rückhandslice oder Fitness. Schon lange galt sie als großes Versprechen im deutschen Tennis. Nun, so scheint es, hat sie endlich den nächsten Schritt gemacht. "Der Kopf macht einen Riesenunterschied aus", hat sie erkannt, nicht die Schläge, "das ist eigentlich erschreckend."

Seit Witthöft im Kopf emotional ausgeglichener ist, stimmen auch ihre Ergebnisse. Sie ist fast die konstanteste deutsche Spielerin in diesem Jahr, nachdem ihre Entwicklung lange stagniert hatte. Bei den French Open in Paris erreichte sie zuletzt als einzige deutsche Starterin die dritte Runde. Dort steht sie nun auch in Wimbledon und trifft an diesem Freitag auf die Weltranglistenfünfte Jelina Switolina aus der Ukraine. "Das ist ein komplett anderer Spielertyp", sagt Witthöft, "weil sie die Ballwechsel von hinten aufbaut." Sie freue sich drauf.

Vielleicht hat ihre neue Reife und Ernsthaftigkeit auch damit zu tun, dass sie sich von ihrem Freund Philipp Lang im Frühjahr getrennt hat, der gleichzeitig ihr Trainer war. Jacek Szygowski kümmert sich intensiver um sie, ein Coach, den sie schon länger kennt, weil er in der Tennis-Akademie ihrer Eltern in Hamburg trainiert. Szygowski hat nicht ihr ganzes Spiel umgekrempelt, denn eigentlich bringt Witthöft alles mit, um auch in der Rangliste weiter zu kommen (ihre bisher beste Platzierung war Position 49 im April 2015.). Sie schlägt wuchtig auf und vermag die Vorhand enorm zu beschleunigen, auch scheut sie den Weg ans Netz nicht und kann die Ballwechsel mit einem Flugball verkürzen. "Ich arbeite vor allem an meinem Aufschlag und am ersten Punkt danach", erzählt Witthöft.

Sie lässt sich nicht stressen

Am gewinnbringendsten wirkt sich aber die mentale Unterstützung aus. Warum Sie nicht schon früher damit angefangen habe? "Mit 18 Jahren sieht man das noch nicht so", gibt die 22-Jährige zu. Aber als die Ergebnisse ausblieben und sie gegen Gegnerinnen verlor, denen sie spielerisch überlegen war, merkte sie, dass sich etwas ändern musste, um auf der Tour zu reüssieren und auch mal ein Turnier gewinnen zu können. Bundestrainerin Barbara Rittner hält Witthöft für eine Spielerin für die Top 20, die auch bei den Grand-Slam-Turnieren die zweite Woche erreichen kann. "Sie muss noch kompromissloser ihr Spiel durchziehen", sagte Ritter vor Wimbledon.

Carina Witthöft hält nichts davon, ihre Entwicklung an Ranglistenpositionen festzumachen. Sie traut sich aber noch eine Menge zu, "sonst könnte ich ja jetzt aufhören", wie sie es formuliert. Und fügt dann hinzu: "Ich habe noch Luft nach oben."

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