Süddeutsche Zeitung

Wimbledon:Scharapowa zeichnet ein verschwommenes Bild

Lesezeit: 3 min

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Um 21.50 Uhr sollte Maria Scharapowa erscheinen, im Main Interview Room. Dort saß: niemand. Beklemmend war die Atmosphäre im fensterlosen Raum. England war gerade dabei, bei der WM in Russland sein Elfmeter-Trauma zu beenden, deshalb: eine Verzögerung. Zehn Minuten später kam Scharapowa. Und einige Reporter, aber bei Weitem nicht so viele wie sonst zu ihren Pressekonferenzen. Das lag zum einen daran, dass viele wegen des Fußballs den Dienst beendet hatten. Zum anderen daran, dass es vor gar nicht langer Zeit 7:6, 5:2 gestanden hatte, für eine fünfmalige Grand-Slam-Siegerin in einem Match gegen eine Weltranglisten-132. und Qualifikantin. Was sollte da passieren?

Als Scharapowa sich setzte, herrschte weiterhin ein beklemmendes Klima im Raum. Max Eisenbud, Scharapowas mächtiger, ewig loyaler Manager, saß in der hintersten rechten Reihe, die Kappe hatte er runtergezogen, wie er das gerne macht. Es war ein sehr symbolstarkes Bild. In Wimbledon ging Scharapowas Stern auf. 2004 siegte sie als 17-Jährige, ganz in Weiß. Noch nie hatte sie in der ersten Runde hier verloren. Dieses Bild war gerade weit weg.

Vorne saß Scharapowa, professionell formulierte sie ihre Sätze, und doch blieb wie so oft seit einiger Zeit ein Gefühl zurück: Was geht wirklich in ihr vor? So vieles in ihrer einzigartigen Karriere wurde ja geplant, kontrolliert, Eisenbud ist ein Vermarktungsgenie, zumindest nach kommerziellen PR-Kriterien geurteilt. "Unstoppable", so heißt die Autobiografie, die Scharapowa 2017 veröffentlichte und aus allen Marketingrohren feuernd bewarb. Die Welt sollte ihre Geschichte hören, die kleine Russin aus Sibirien, die ohne ihre Mutter nach Florida zog und den Tenniskosmos, den globalen Sport eroberte.

Immer häufiger wirkt sie langsam, nicht so agil, nicht so nervenstark

Das alles stimmt ja auch. Dummerweise kam 2016 eine Dopingsperre dazwischen, die im Lager Scharapowas als größtes Unrecht verflucht wurde - weil sie wegen der Einnahme des kurz zuvor nicht mehr für Sportler legalen Herzmittels Meldonium überhart belangt wurde und manch andere überführte Kollegin nicht. Fakt bleibt: Sie wurde 15 Monate ausgeschlossen, kam im April 2017 zurück, und auch wenn sie sich bis auf Weltranglistenrang 22 zurückgearbeitet hat: Unaufhaltsam ist sie nicht mehr. Rang 22 ist sicher auch nicht ihr Anspruch.

Neun verschiedenen Gegnerinnen unterlag sie dieses Jahr. Am Dienstagabend verlor Scharapowa 7:6 (3), 6:7 (3), 4:6 gegen Witalia Diatschenko, die 27-Jährige aus Sotschi hat gut 800 000 Dollar in der Karriere verdient, das ist nicht viel. Scharapowa hatte 2018 zwar tatsächlich einige vorzeigbare Resultate, in Rom etwa kam sie ins Halbfinale und verlor nach großem Kampf gegen die Weltranglisten-Erste Simona Halep. Bei den French Open erreichte sie das Viertelfinale. Einerseits.

Andererseits hatte sie von Serena Williams' Verzicht im Achtelfinale profitiert und war danach so chancenlos gegen Garbiñe Muguruza wie bei den Australian Open gegen Angelique Kerber. Scharapowa hatte ihre guten Momente, in denen sie, immer noch schreiend bei jedem Schlag, an die Scharapowa von vor der Sperre erinnert. Sie hat aber auch Momente, wenn sie zu langsam erscheint, nicht so agil, nicht so nervenstark. Ihr Comeback, das dürfte Eisenbud vielleicht auch bestätigen, der Medien so sehr schätzt wie Hautausschläge, ist keine umfassende Erfolgsstory, jedenfalls sicher nicht der erhoffte Triumphzug.

Zu berücksichtigen ist, dass Scharapowa oft mit Verletzungen zu tun hat seit ihrer Rückkehr. Was auch zu berücksichtigen ist, formulierte die britische Zeitung Daily Mail am Mittwoch so: "Die Frage muss gestellt werden, ob die 31-Jährige immer noch auf höchstem Level spielen kann ohne den Vorteil ihres Medikaments." Das Problem nur: Es gibt keine gänzlich aufklärenden Antworten. Scharapowa kann wunderbar referieren, über Frauenrechte, Träume, professionelle Arbeit, alle ihre Produkte, die sie bewirbt, als Gegenleistung für stattliche Entlohnungen.

Geht es aber darum, wie sie ihren Meldoniumfall sieht, wurde sie stets schmallippig, machte sich gar mal über Fragen lustig, blockte das meiste ab und wirkte im Grunde so, wie sie wirkt, wenn sie sich beim Return eines gegnerischen Aufschlags auf dem Platz bereit macht: Sie dreht sich um, wendet der anderen Person ihren Rücken zu, ballt die Hand zur Faust. Wem Scharapowa Einzelinterviews gibt, sucht sie sich im Übrigen mit ihrem inneren Zirkel selbst aus. So kommt es, dass Medien, die ihr gewogen erscheinen oder auch mal ihre Sponsoren in Texten erwähnen, mit ihr eher reden dürfen - kritische Medien eher nicht.

Es bleibt bis heute der Eindruck, dass Scharapowa in Bezug auf ihren Medikamentenfall keine transparente Person ist. Unklar ist etwa auch im Detail weiterhin, wie sie es gelöst hat, dass sie nicht mehr auf Meldonium zurückgreifen darf. Sie hatte in ihrer Anhörung damals ja klargemacht: Sie brauche es, sie habe ja eine labilere Gesundheit. Unklar auch, ob sie weiter verschiedene, legale Mittel einnimmt, die auch in dem Dossier ihrer Anhörung gelistet wurden. Das waren nicht wenige. Scharapowa hat jedenfalls nicht nur das Wasser einer französischen Marke getrunken, die sie gerne lächelnd repräsentiert.

Scharapowa ist zweifellos intelligent, sie antwortet oft auch gut. Sie habe immer Erinnerungen von früheren sportlichen Erfolgen in sich, sagte sie jetzt, das motiviere sie. Nun aber treibe es sie an, neue Erinnerungen zu schaffen. Das war ein griffiges Bild. Das Bild, das sie seit Ablauf ihrer Dopingsperre zeichnet, ist verschwommener. Ein Champion ist sie in dieser Zeit noch nicht geworden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4040315
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.07.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.