Süddeutsche Zeitung

Weltfußballer bei Real Madrid:Pfiffe für den Posterboy

Lesezeit: 3 min

Von Oliver Meiler

Das steil gebaute Santiago Bernabéu ist ein eindrücklicher Klangkörper, ein formidabler Tonverstärker für Torjubel und Triumphchöre. Wenn Placido Domingo, der sonst mit seiner Tenorstimme die Opernhäuser füllt, Reals Hymne "Hala Madrid" intoniert (vom Band), befällt auch so manch einen Gast ein Gefühl zwischenzeitlicher Erbauung. Und sei es nur wegen der einschüchternden Wucht der Töne, der donnernden Lautstärke.

Auch Pfiffe gehen da mit besonderer Schärfe durch Mark und Bein, wie nun einigen Akteuren und Verantwortlichen von Real wieder mal bewusst wurde - messbar in Dezibel. Als der Speaker des Bernabéu, auch er ein eher hymnisch veranlagter Zeitgenosse, am Samstag vor dem Meisterschaftsspiel gegen Deportivo de La Coruña (2:0) die Aufstellung der Heimmannschaft bekannt gab und dabei wie gewohnt nur den Vornamen der Spieler nannte, auf dass das Publikum komplettiere, setzte es bei einigen stattdessen Pfiffe ab.

Am lautesten, nämlich 110,6 Dezibel, fielen die Pfiffe bei Iker Casillas aus, dem Kapitän der Mannschaft, früher mal ein Heiliger des Vereins. Gefolgt von Trainer Carlo Ancelotti mit 102 Dezibel. Pfiffe gab es auch für den 100-Millionen-Mann Gareth Bale und, oh ja, selbst für den Weltfußballer im Amt, den stürmenden Posterboy des Madridismo: Cristiano Ronaldo.

Das Bernabéu ist eben auch ein offenes Gericht. Und Reals traditionell kritischen Aficionados sind eine harte Jury, die jede Woche neu überzeugt werden will. Geurteilt wurde über die denkwürdig irdische Leistung der Galaktischen im Derby beim Stadtrivalen Atlético Madrid vor einer Woche, als man 0:4 verlor. Geht gar nicht. Es kam auch nicht so gut an, dass danach Handyvideos von Ronaldos Geburtstagsparty publik wurden, auf denen sich "CR7" auf einer Disco-Bühne als Sänger versuchte, während sich die geladenen Kollegen ohne sichtbare Zerknirschung der Festivitäten hingaben.

In Spaniens Medien erschienen Umfragen dazu, ob Ronaldo das Fest zu seinem 30. Geburtstag nach der Niederlage nicht hätte absagen müssen, was allein schon logistisch nicht gegangen wäre: Viele der 150 Gäste waren von weither angereist. Überdies hat jeder das Recht, seine runden Geburtstage so zu feiern, wie ihm das beliebt. Dumm war nur, dass die privaten Videos an die Öffentlichkeit gerieten. Sie passten gut ins Bild der Jury.

Auch gegen "Depor" trat Real müde und lustlos auf, darüber konnte auch das 2:0-Endresultat nicht hinwegtäuschen. Die Sportzeitung Marca schreibt in einem Kommentar: "So gewinnt Real die Champions League nicht, so gewinnt es nicht einmal gegen Schalke." Am Mittwoch, im Hinspiel des Achtelfinales in Gelsenkirchen. Natürlich hätte Real Madrid mildernde Umstände verdient: Fünf Stammspieler fehlen verletzt, manche von ihnen fallen für lange Zeit aus.

Doch vom größten und reichsten Verein der Welt erwartet man, dass seine Ersatzbank so zahlreich und prominent besetzt ist, dass die Galaelf Ausfälle auch mal locker verkraften kann. Offensichtlich ein Trugschluss. Ohne Sergio Ramos und Pepe, um nur diese zwei Abwesenden im Zentrum der Abwehr zu nennen, ist Reals Verteidigung lediglich Mittelmaß, zuweilen gar etwas weniger als das.

Sorgen bereitet auch der Formstand der vermeintlich Gesunden, vor allem jener von Ronaldo. Die Spanier brauchen für das Leid, an dem der Star laboriert, einen umfassenden Begriff: bajón - da ist alles drin, der körperliche wie der mentale Einbruch. Wahrscheinlich ist er nur saisonal bedingt, wahrscheinlich bald wieder überwunden. Doch Ronaldos phänomenale Torquote - 61 Treffer in 60 Spielen im Jahr 2014 - ist zuletzt so stark gesunken, dass man sich bereits Fragen stellt. Im laufenden Jahr gelangen ihm bisher erst vier Tore.

Es wird dabei gerne übersehen, dass Ronaldo neuerdings selbstloser spielt: Zehn Torvorlagen leistete er bislang in dieser Saison. Gegen Deportivo assistierte er dem Franzosen Karim Benzema, obschon er den Abschluss hätte selber suchen können. Früher hätte er das getan. Nun aber fehlt es ihm offenbar an Selbstvertrauen, was bei einem wie Ronaldo verwunderlich ist. Einen Direktfreistoß aus idealer Distanz setzte er in die Wolken. Auch dafür gab es Pfiffe.

Es heißt nun wieder, Ronaldo wirke nicht nur langsam und erratisch, sondern auch traurig. Am Lohn kann es diesmal nicht liegen, der wurde längst nach ganz oben korrigiert, in unanständig hohe Sphären. Doch die Gesamtstimmung im Verein ist nun mal nicht so gut, obschon Real noch immer an der Tabellenspitze steht. Ancelotti spricht von einem "momento delicado y complicado" für alle. Verstärkt vom mächtigen Klangkörper des Bernabéu.

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SZ vom 16.02.2015
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