Süddeutsche Zeitung

Welt-Anti-Doping-Agentur:Russlands Biathlon-Betrug hat gewaltiges Ausmaß

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Die Vorwürfe der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada gegen den Biathlon-Weltverband IBU gehen weit über Vertuschung von Dopingproben hinaus. Der Wada-Report, der der ARD-Dopingredaktion vorliegt, legt nahe, dass Russland mittels Bestechung seit mehr als einem Jahrzehnt im Weltverband IBU quasi Narrenfreiheit genoss. Der mittlerweile zurückgetretene IBU-Präsident Anders Besseberg soll sich mit bezahlten Jagdausflügen nach Russland und der Vermittlung von Prostituierten bestechen lassen haben.

Besseberg soll als Gegenleistung unter anderem im Jahr 2016 die Vergabe der WM 2021 an die russische Stadt Tjumen forciert haben, obwohl der Staatsdopingskandal gerade den Weltsport erschütterte. Für den Stimmenkauf zugunsten Tjumens sollen bis zu 100 000 Euro an Mitglieder des IBU-Boards geflossen sein, wie die Wada der ARD zufolge ermittelt hat. Im Februar 2017 zog die IBU die WM-Zusage für Tjumen auf öffentlichen Druck wieder zurück. Der Norweger Besseberg habe sich gegenüber Russland "unglaublich loyal und unterstützend" gezeigt, schreibt die Wada. Aber er war nicht alleine zuständig in einem System, das als in sich geschlossen und undurchsichtig gilt.

Auch die deutsche IBU-Generalsekretärin Nicole Resch scheint Russland gewogen gewesen zu sein. Sie habe im Verband praktisch die alleinige Hoheit über das Doping-Verwaltungsprogramm gehabt und anderen IBU-Mitarbeitern den Zugang verwehrt. Die 42-Jährige hat als Funktionärin eine vertikale Karriere hingelegt, stets eng an Bessebergs Seite - jetzt wird ihr vorgeworfen, nicht angemessen auf Doping-Verdachtsfälle reagiert zu haben.

Das alles soll unter anderem dazu beigetragen haben, dass in der vergangenen Saison im Welt- und IBU-Cup 17 von 22 russischen Athleten gedopt an den Start gegangen sind - und unbehelligt blieben. Seit 2011 soll der Biathlon-Weltverband, das war schon in der vergangenen Woche durchgesickert, 65 Dopingfälle russischer Biathleten vertuscht haben. Laut ARD-Dopingredaktion ist nun auch im Bezug auf Russlands Staatsdoping klar, dass die Auswertung der Daten aus dem Moskauer Kontrolllabor 9000 auffällige Proben ans Tageslicht befördert hat, die geschätzt 4500 russische Athleten betreffen. Die gigantische Datensammlung beinhaltet alle Testergebnisse zwischen Januar 2012 und August 2015.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte nach den Winterspielen in Pyeongchang einen "Schlussstrich" unter die Russland-Affäre gezogen und die Suspendierung des russischen Olympia-Komitees ROC ohne Auflagen aufgehoben. Die Wada stuft Russlands nationale Anti-Doping-Agentur Rusada dagegen weiterhin als nicht regelkonform ("non compliant") ein.

Ex-Biathlon-Chef Besseberg hatte sich zuletzt gelassen zu den Vorwürfen geäußert und seinerseits die Wada attackiert. "Ich habe gehört, die Wada hat die Untersuchungen initiiert. Ich denke, sie sind in einer deprimierenden Situation. Sie haben nur Rodtschenkow (Whistleblower Grigorij Rodtschenkow; Anm. d. Red.) als Zeugen und sonst nichts. Und es ist klar, dass ihm niemand glaubt", sagte Besseberg der norwegischen Tageszeitung Dagbladet: "Ich denke, sie (die Wada; d. Red.) bekommen ein bisschen Panik." Am Montag war er für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Ob sich die Wada bei ihren Vorwürfen tatsächlich ausschließlich auf Aussagen des in die USA geflohenen Russen Rodtschenkow stützt, ist ungewiss. Staatsanwaltschaften in Österreich, Norwegen und Deutschland stuften die Anschuldigungen allerdings als seriös genug ein, um Hausdurchsuchungen durchzuführen. Die seit Ende 2017 laufenden Ermittlungen der österreichischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien wegen Doping- und Betrugsverdachts sowie Geschenkannahme gegen Besseberg und Resch sowie russische Sportler und Betreuer gehen weiter.

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