Süddeutsche Zeitung

Volleyball:Meister am Tiefpunkt

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Grafings Volleyballer stehen ein halbes Jahr nach ihrer Zweitliga-Meisterschaft auf einem Abstiegsplatz. Wie konnte es dazu kommen? Über einen Klub, der mit einem nie dagewesenen Umbruch kämpft - und die schwerste Zeit wohl noch vor sich hat.

Von Sebastian Winter

Es ist noch gar nicht so lange her, da schalteten die Daheimgebliebenen das Fanradio an, um ihren Volleyballern mittels Live-Reportage aus Bliesen im Saarland dabei zuzuhören, wie sie sich zur Meisterschaft schmettern. Am 15. Mai war das, Grafings Männer gewannen die Partie mit 3:0 und wurden damit zum zweiten Mal nach 2018 Zweitliga-Meister. Nach einer anstrengenden, am Ende zermürbenden Saison, die sich wegen der Corona-Pandemie einen Monat länger als geplant hingezogen hatte. Grafings Zuspieler und Kapitän Fabian Wagner durfte einen weiteren Pokal entgegennehmen: Mit insgesamt 16 MVP-Medaillen wurde der 32-Jährige als Spieler der Saison ausgezeichnet.

Fast exakt ein halbes Jahr später ist bereits ein knappes Drittel der neuen Saison vorbei. Und die Situation für Grafing könnte düsterer kaum sein: acht Spiele, zwei Siege, vorletzter Platz. Die TSV-Volleyballer stehen auf einem Abstiegsrang, was in dieser Spielzeit besonders heikel ist. In der üppigen 14er-Staffel gibt es immerhin drei Absteiger, noch dazu in den Volley YoungStars Friedrichshafen eine Kaderschmiede, die nicht absteigen kann.

Immerhin haben die Grafinger am Sonntag in Friedrichshafen gewonnen, an diesem Wochenende folgt ein ganz wichtiger Doppelspieltag gegen Delitzsch und den Drittletzten Leipzig. Danach wissen der junge Kapitän Florian Krenkel und seine Kollegen, ob sie bereit sind für die Wende zum Besseren. Doch warum läuft es überhaupt so schlecht?

"Die Quintessenz war, dass fast alle älteren und erfahrenen Stammspieler aus der Meistermannschaft aufgehört haben", sagt Benedikt Doranth. Der frühere Herrschinger Erstligaspieler ist in Grafing geblieben, und seither Spieler, Teammanager und Co-Trainer in einer Person. Fabian Wagner, Thomas Stretz und Michael Zierhut beendeten ihre Karriere aus beruflichen Gründen, Julius Höfer ist nach Österreich gezogen, auch Benno Voggenreiter und Dominik Stork haben sich verabschiedet.

"Damit hat die Liga wieder bewiesen, dass sie nichts auf die Reihe kriegt", sagt Doranth

Das Trainerteam um Marvin Polte hat nun die höchst undankbare Aufgabe, eine völlig neue Hierarchiestruktur zu entwickeln, in einem Team, dessen Durchschnittsalter kaum 23 Jahre beträgt. Immerhin ist ein Quintett aus der vergangenen Saison übriggeblieben, junge Spieler wie Korbinian Hess, Florian Krenkel und Marvin Primus waren ebenso Teil der Meistermannschaft wie die erfahrenen Doranth, Christian Seitz und Marco Vogel. Primus, gerade 18 geworden, und Krenkel, 20, sind nun die Annahmechefs, Tim Aust, der Zuspieler und Regisseur, ist gerade mal 17. Viel Verantwortung ist das für diese hoch veranlagten Talente, vielleicht zu viel. "Alle sind noch sehr grün hinter den Ohren. Man spielt gut mit, ist aber am Schluss zu unerfahren", sagt Doranth.

Dass ein Drittel der Mannschaft per Doppelspielrecht zusätzlich beim VC Olympia München spielt und dort auch ausgebildet wird, macht Grafing perspektivisch bestimmt stärker, ist aber gerade eher ein Hemmnis. Denn die Talente sind wegen der Doppelbelastung oft schon vor dem Spieltag ziemlich platt. Hinzu kommt, dass in Diagonalmann Adrian Nachtwey der Schlüssel-Angreifer aus der dritten Liga kommt. Doranth befürwortet den Umbruch, wie alle im Verein, er war ja auch alternativlos: "Aber er hat Grafing auch hart getroffen. Der Klub hat es nicht geschafft, ihn mehr vorzubereiten und eher einen schleichenden Übergang zu schaffen."

Immerhin zeigt sich nun, dass es richtig war, trotz zweier Zweitliga-Titel binnen drei Jahren nicht Richtung erste Liga zu blicken. Neben dem Budget fehlen Grafing nach wie vor die passende Spielstätte und auch die Strukturen für Profivolleyball - und auch die Philosophie, eher auf spielstarke Ausländer als auf den eigenen Nachwuchs zu setzen. Doch dass der Übergang nun so schwer werden würde, damit hatten sie in Grafing dann doch nicht gerechnet. Und nun folgt wieder eine harte Saison für dieses so junge Team, womöglich wird den Zuschauern bald wieder der Zutritt zu Heimspielen verweigert, wenn die Corona-Lage sich weiter verschlimmert.

Doranth übt in diesem Zusammenhang deutliche Kritik an der Volleyball-Bundesliga, die es verpasst habe, anders als in Liga eins und drei, die Staffel aufzusplitten und die Spieltage beispielsweise durch Playoffs zu verringern: "Damit hat die Liga wieder bewiesen, dass sie nichts auf die Reihe kriegt." Grafings Volleyballer versuchen, nun wieder mehr auf die Reihe zu bekommen. Als Meister abzusteigen, das will nun wirklich niemand im Verein.

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