Süddeutsche Zeitung

Vierschanzentournee:"Das ist Skispringen, meine lieben Leute"

Lesezeit: 3 min

Von Matthias Schmid, Garmisch-Partenkirchen

Severin Freund lehnte sich in der Auslaufzone an seine gewaltigen Sprungski und hielt sich daran fest. Es sah so aus, als würde er seine Arbeitsgeräte zweckentfremden, sie als Stützhilfen verwenden, damit ihn der leichte Wind nicht umweht. Es sind keine leichten Tage für Freund bei der Vierschanzentournee. Der deutsche Vorzeigespringer und Doppel-Weltmeister der vergangenen Jahre musste beim Neujahrsspringen am Sonntag in Garmisch-Partenkirchen mit Rang 20 die nächste Enttäuschung verarbeiten, nachdem er den Auftaktwettbewerb in Oberstdorf als 21. beendet hatte. "Das ist Skispringen, meine lieben Leute", sagte er mit einem gequälten Lächeln. "Manchmal muss man so etwas schlucken. Sportlerleben haben auch Täler."

Der Gesamtzweite des vergangenen Jahres begegnet seinen Resultaten mit dem nötigen Realismus. Er weiß, dass er nach einer Hüftoperation und einer fünfmonatigen Pause noch nicht mit den Besten mithalten kann. "Er geht sensationell mit der schwierigen Situation um, weil er so rational ist", sagte der deutsche Bundestrainer Werner Schuster, der gleichzeitig aber auch einräumte, dass sich Freund schon weiter in seinem Leistungsaufbau wähnte. Zu Beginn des Winters hatte Freund gar ein Springen im finnischen Ruka gewonnen. Im Moment fehlen Freund etwa zehn Meter pro Sprung auf die besten Athleten wie den Tournee-Führenden Kamil Stoch.

Nur Eisenbichler rettet die Bilanz

Von Siegen können die deutschen Skispringer in diesen Tagen daher nur träumen. Die Bilanz zur Halbzeit der Vierschanzentournee hübscht vor allem ein Springer auf, der lange Zeit nur hinterhergesprungen ist: Markus Eisenbichler. Nach seinem sechsten Rang in Oberstdorf verpasste der 25-Jährige in Garmisch-Partenkirchen als Vierter nur knapp das Podest, er ist gerade der beste deutsche Springer, die neue Führungsfigur und der Einzige, für den ein Platz unter den besten drei kein Traum, sondern ein realistisches Ziel geworden ist.

"Ich kann als Vierter echt zufrieden sein", sagte Eisenbichler, dessen Entwicklung Schuster "atemberaubend" nennt. Anfang Dezember hatte der Siegsdorfer in Lillehammer als Dritter erstmals eine Weltklasseleistung gezeigt. Doppel-Olympiasieger Stoch und der Garmisch-Sieger Daniel-André Tande sowie der Oberstdorf-Gewinner Stefan Kraft dürften ihn nun häufiger als Konkurrenten um die Spitzenplätze bekommen. "Markus hat ein tolles Fluggefühl", findet Schuster. Und sprachlich kann Eisenbichler gar schon mit Sven Hannawald mithalten, der vor 15 Jahren bei seinem Tournee-Triumph mit vier Siegen einen Satz geprägt hatte, den sich nun auch der Oberbayer zu Eigen gemacht hat: "Ich versuche, weiter mein Zeug zu machen."

Eisenbichler und auch der Überraschungsachte von Garmisch, Stefan Leyhe, sind gute Beispiele dafür, dass man sich auch im fortgeschrittenen Aktivenalter und nach einer längeren Formkrise noch auf ein ungeahntes Niveau hieven kann.

Ähnliches erhofft sich Schuster von Team-Olympiasieger Andreas Wellinger und von Richard Freitag. An sie dachte der Österreicher, als er nach dem Springen in Oberstdorf zum ersten Mal seine Springer öffentlich kritisiert hatte. "Sie haben sich bisher schön hinter Severin verstecken können. Jetzt muss mehr kommen", hatte Schuster beim Blick auf den Statistikzettel gezürnt. Freitag zum Beispiel sprang in Garmisch als 15. wie schon zuvor im Allgäu als 14. seinen Ansprüchen hinterher.

Fünf Weltcup-Siege hat der 25-Jährige bisher erringen können. "Sein Potenzial ist riesig", sagt Schuster, "aber seine Entwicklung ist stabil rückläufig." Die Gründe sind nicht so offensichtlich wie bei Severin Freund. Schuster erwartet deshalb von ihm schon beim nächsten Springen am Mittwoch in Innsbruck eine Top-Ten-Platzierung, am Bergisel hatte Freitag 2015 gewinnen können. Augenzwinkernd fügte der Bundestrainer hinzu: "Ich hoffe, dass ich einen Sieg von Richard noch als Trainer am Schanzentisch erleben werde."

Severin Freunds Problem beginnt beim Absprung

Innsbruck scheint ohnehin eine fast schon schicksalshafte Stadt für die deutschen Springer zu sein. Hier hatte im vergangenen Jahr die Leidenszeit von Severin Freund begonnen, bei einem Sturz brach sich der 28-Jährige die Lippe des Hüftgelenks, die die Ärzte im April dann wieder zusammenflickten. "Ich muss einfach dranbleiben und geduldig weiterarbeiten", sagt Freund in diesen Tagen immer wieder. Es ist sein Mantra, das ihm den Spaß am Springen auch in schwierigen Tagen erhalten soll. Diese Herangehensweise deckt sich mit der von Werner Schuster. "Er kann nur mit Teilzielen wieder heran und in die Top Ten kommen", sagt er: "Bisher ging es ja nur um Schadensbegrenzung."

Das hört sich dramatischer an, als er es tatsächlich meint. Freunds Problem beginnt beim Absprung, hier macht er einen Fehler, den Schuster "verkorkst" nennt. Grob gesagt geht es darum, dass Freund nicht seine volle Beinkraft entfalten kann, obwohl er die nötige Power dafür hat. "Er macht dann immer so eine Kompensationsbewegung und kommt zu flach vom Schanzentisch weg", erklärt Schuster. Vielleicht hilft Freund ja der Ruhetag am Montag. Das DSV-Team fährt nach Seefeld. Mit den Autos des Sponsors machen sie ein Sicherheitstraining auf dem Eis. Ohne Schanzentisch und schwere Skier.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3317723
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.