Süddeutsche Zeitung

VfL Wolfsburg:"Machen wir Klamauk oder reden wir ernsthaft?"

Lesezeit: 2 min

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Am Samstag um 16.53 Uhr haben sich die Fans des VfL Wolfsburg einen Spaß erlaubt. Es waren nur ungefähr 300, weil sich Auswärtsfahrten mit einer erfolglosen Mannschaft zuletzt kaum gelohnt hatten. Aber jetzt, als sich ihr Team mit dem Treffer zum 3:1-Endstand in Leverkusen kurz an die Spitze der Bundesliga gehievt hatte, hopsten sie und sangen: "Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey!" Man muss die kleinen Momente genießen, das liest man in jedem Glücksratgeber.

"Spitzenreiter" sagte in den Stadionkatakomben auch jemand zu Jörg Schmadtke, aber mit dem neuen Wolfsburger Sportdirektor braucht man solche Späße nicht zu machen. An einem zweiten Spieltag nimmt Schmadtke keine Glückwünsche entgegen: "Machen wir Klamauk oder reden wir ernsthaft?", fragte er rhetorisch zurück. Dann aber zeigte er Bereitschaft zu erläutern, warum der VfL nach zwei Spielzeiten, die in der Relegation endeten, nun plötzlich spielerische und körperliche Stabilität zu zeigen vermag: "Die Vorbereitung war sehr intensiv und teils unangenehm", sagte Schmadtke über die hohen Anforderungen von Trainer Bruno Labbadia, "vor allem aber haben im Urlaub alle gut nachgedacht." Schmadtke traut den Spielern zu, aus den unangenehmen Erfahrungen gelernt zu haben.

Wout Weghorst erzielt per Wuchtkopfball das Führungstor

So surft Wolfsburg gerade auf einer Welle - eine Mannschaft, der man in den vergangenen Jahren nicht mal das Seepferdchen als Leistungszeugnis ausgestellt hätte. Bisher war niemandem so richtig aufgefallen, dass diese Wolfsburger unter Labbadia bereits sechs Pflichtspiele in Serie gewonnen haben: das finale Spiel der vergangenen Saison gegen Köln, beide Relegationsspiele gegen Kiel, den Pokal-Auftakt jüngst in Elversberg und beide Ligaspiele gegen Schalke und in Leverkusen. "Sechs Spiele nacheinander, wann gab es das zuletzt?", rätselte VfL-Mittelfeldmann Maxi Arnold und gab sich selbst mit funkelnden Augen die Antwort: "Wahrscheinlich in der Meistersaison." Neun Jahre ist es her, dass Wolfsburg unter Felix Magath den Titel geholt hatte - in jenem Mai 2009 war Arnold gerade mal 15 Jahre alt.

Nun darf aber niemand denken, die Autostadt träume in industriell schwierigen Zeiten von einer fußballerischen Titel-Therapie oder gar einem neuerlichen Bundesliga-Triumph. "Wir müssen die Kirche im Dorf lassen", sagte auch Arnold, "wir haben doch gerade mal begonnen, sie zu bauen."

Nach zwei Spieltagen Ambitionen zu formulieren, das wäre töricht, gleichwohl war die souveräne Art, mit der Wolfsburg gegen zwei mutmaßliche Spitzenteams auftrat, respektabel. Die Mannschaft zeigt Ordnung und bringt sich körperlich ganz anders ein als in der vergangenen Saison. Schlüssel zum Sieg war die Kombination zweier sehr präsenter Zugänge, als der Franzose Jérôme Roussillon (aus Montpellier gekommen) in der 55. Minute dem Niederländer Wout Weghorst (aus Alkmaar) das Kopfballtor zum 2:1 auflegte.

"Wout ist nicht nur wegen solcher Tore wichtig, sondern auch wegen seiner Laufwege und wie er die Gegenspieler angeht", sagt Labbadia. Der Trainer freut sich über die starken Neuen ebenso wie über die wiedererstarkte Stammbelegschaft: "Es ist halt die Frage, was man aus so einer Relegation zieht - und da sage ich: viel Kraft."

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Quelle:
SZ vom 03.09.2018
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