Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart in der Krise:Heilig's Plänle

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Der VfB versucht den Abstiegskampf mit Ruhe und Kontinuität zu bewältigen. Das Problem an diesem Plan ist: Es gibt keinen anderen. Der Klub ist auf den Sportdirektor Sven Mislintat angewiesen.

Kommentar von Christof Kneer

Ja, antwortete der Manager Sven Mislintat schlicht, als jemand wissen wollte, ob der Trainer Pellegrino Matarazzo auch am kommenden Wochenende noch beim VfB Stuttgart auf der Bank sitze. Nichts an dieser Frage war erstaunlich, außer, dass sie erst jetzt gestellt wurde. Der Kessel, in dem das Stuttgarter Stadion liegt, ist berüchtigt für seine Akustik, schon das leiseste Raunen entfaltet hier ein Echo, das sich in der Regel auf unkontrollierbare Weise vervielfältigt. Oft bläst dieses Echo dann den Trainer von seiner Bank.

Man müsste dem Manager Mislintat einen noch zu erfindenden wissenschaftlichen Preis aufdrängen, weil er es geschafft hat, dieses Echo nahezu abzustellen. Aus einer VfB-Mannschaft, deren Abstieg man sich eigentlich nicht vorstellen kann, ist zwar innerhalb weniger Wochen eine Mannschaft geworden, bei der man sich immer weniger vorstellen kann, wie sie den Abstieg eigentlich noch vermeiden soll. Und doch stellen Reporter die Frage nach dem Trainer eher pflichtschuldig. Sie wissen ja, dass Mislintat Zweifel am Trainer nicht zulässt - aus Überzeugung, aber auch, weil er weiß, dass es gleichzeitig Zweifel an dem Weg wären, auf den er den Klub mit großer Entschlossenheit geführt hat.

Die Gefahr, dass "gut gemeint" das Gegenteil von "gut gemacht" wird, steigt mit jedem Spieltag

Zur verschärften Diskussion steht nun also die Frage, ob sich eine grundsätzlich lobenswerte Idee auch gegen sich selbst wenden kann. Es gibt ja durchaus gute Gründe für Mislintats Ansatz, vorwiegend auf junge Spieler und deren Wertsteigerung zu setzen, und es gibt auch klare Anzeichen dafür, dass den Trainer in Stuttgart weniger Schuld trifft, als das bei einem 17. Tabellenplatz eigentlich üblich ist.

Ein epochaler Seuchenmix aus Verletzungen und Corona-Fällen hat die Elf im Wochenrhythmus bis zur Unkenntlichkeit entstellt - und so ist es womöglich immer noch ein guter Plan, einfach die Nerven zu behalten. Die Patienten kehren allmählich ins Team zurück, und Mislintats Wunschelf wäre es durchaus zuzutrauen, dass sie auch mal drei Spiele hintereinander gewinnt. Aber die Gefahr, dass "gut gemeint" am Ende das krasse Gegenteil von "gut gemacht" sein könnte, steigt mit jedem weiteren Spieltag.

Was die Lage in Stuttgart aber besonders bedrohlich macht, ist, dass sie im Grunde gar keine Wahl haben. Es muss mit Mislintats Weg funktionieren, denn wer in diesem Verein sollte einen anderen Weg vorgeben? Ironischerweise wird beim VfB nun wieder jenes Muster erkennbar, das die Schwaben als Konsequenz aus der Vergangenheit unbedingt vermeiden wollten. Im Moment fehlt es im Klub an Gegenlesern, die Mislintats heilig's Plänle einer kritischen Zweitlektüre unterziehen. Das innerbetriebliche sportliche Controlling ist im vergangenen Jahrzehnt oft unterentwickelt gewesen beim VfB, zu vieles war abhängig von den immer nur vorübergehend starken Männern in der Sportdirektion. Das Trio Thomas Hitzlsperger/Sven Mislintat/Pellegrino Matarazzo galt da endlich als moderner Gegenentwurf.

Und jetzt? Jetzt wirkt Matarazzo angegriffen, Hitzlspergers Abschied als Klubchef steht unmittelbar bevor, und der neue Boss Alexander Wehrle ist noch nicht in der Stadt. Der VfB ist auf Mislintat angewiesen - und darauf, dass es tatsächlich eine gute Idee war, im Winter den nächsten 19-Jährigen zu verpflichten, während in Augsburg wind- und wettergegerbte Spieler wie André Hahn die entscheidenden Tore schießen.

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