Süddeutsche Zeitung

Union Berlin:Das falsche Ergebnis für diese Partie

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Union spielt den besseren Fußball - Leverkusen aber effizienter.

Von Jens Schneider, Berlin

In jeder Bundesliga-Saison gibt es einen Spieler, bei dem sich bald alle fragen, wo der sich bisher versteckt hat. Wo also war Marius Bülter? Der 26 Jahre alte Stürmer hat 114 Spiele in der Regionalliga West gemacht, 39 Tore erzielte er für den SV Rödinghausen. Zuletzt spielte er in der zweiten Liga in Magdeburg, dort fiel er immerhin, wenn auch sonst nicht so vielen, dem FC Union Berlin auf. In der Bundesliga hat Bülter schon gezeigt, dass er schnell ist, auch im Kopf, und Konter abschließen kann. Auch am Samstag tat er das und bereitete den ersten Treffer seiner Mannschaft links außen vor, Christian Gentner schoss das schöne erste Tor der Berliner gegen Leverkusen. Beim zweiten führte Bülter vor, dass er noch mehr kann: Er ließ nach einem langen Pass erst einen Gegner aussteigen und schlenzte den Ball mit Finesse in den rechten Winkel.

Als Union im vergangenen Sommer überraschend in die Bundesliga aufgestiegen war, waren die Erwartungen an das Team so schlicht wie sein Spiel. Viel rennen würden sie, leidenschaftlich verteidigen und kontern, wann immer sich die Chance bieten sollte. Ihre Mittel als Fußballspieler mochten begrenzt sein, aber ein Jahr lang sollten sie und ihre Anhänger Spaß haben dürfen in einer Welt, die, ein Stück zu groß für sie zu sein schien - was den Genuss noch verstärken sollte. Es ist anders gekommen, sie finden sich in dieser größeren Welt gerade bestens zurecht, sie spielen Fußball, auch Bülters Entwicklung steht dafür.

Ob es ihm Spaß gemacht habe, wurde Leverkusens Trainer Peter Bosz nach dem Spiel gefragt. "Nein", antwortete er überzeugend. Wie auch? Er hatte gewonnen, aber ein Spiel anschauen zu müssen, das Union lange dominierte, während seine Mannschaft hilflos erschien gegen die Konzentration, mit der die Berliner ihre Ordnung hielten und bei Ballgewinn das Tempo anzogen, mit wenigen Kontakten die Leverkusener Abwehr entblößten. Am Ende kamen sie auf 19 Torschüsse - der für seine Offensive bekannte Gegner nur auf 12.

Die Grundlage für Unions Dominanz war die Intensität der von Urs Fischer eingestellten Mannschaft. Leverkusens Trainer Bosz erklärte die Nöte seiner Spieler nachher anschaulich: "Das Schwierigste ist, wenn man am Ball wenig Zeit bekommt", sagte Bosz, "da macht man Fehler." Je besser ein Spieler sei, desto weniger Fehler würde er machen, so Bosz weiter. Aber auch die Hochbegabten in seinem Team wie der junge Mittelfeldspieler Kai Havertz verloren den Ball, wenn sie von zwei oder drei Gegnern angegriffen wurden. Sie waren Ballkönner ohne Ball. Und ihre Gegner beherrschten nicht nur das Handwerk des Stocherns und Bedrängens, der zeitlich genau abgepassten Grätsche - sie kombinierten auch. Der Ausgleich von Havertz - in Bedrängnis spitzelte er den Ball fein über Unions Torwart Rafael Gikiewicz - passte nicht zum Spiel. Es war die erste Chance seiner Mannschaft.

Auffallend war die Ruhe, mit der die Berliner auch danach ihre Linie hielten, die Gegner anliefen und zu Fehlern zwangen. Die Ruhe spiegelte die Entwicklung einer Mannschaft wider, die im Kontrast zum Großmanns-Wahnsinn bei Hertha BSC auf der anderen Seite Berlins ohne Turbulenzen wachsen kann. Aber der Spielstil kostet Kraft. "Das können die nicht 90 Minuten durchhalten", hatte Bosz in der Pause seinem Team gesagt. Der Bruch kam nach den Minuten, in denen das Spiel unterbrochen worden war: Im Block der Leverkusener Zuschauer brannten rote Feuer, bald zog Qualm über den Platz. Als es weiterging, hatten die Gäste den Raum, den sie für ihr Spiel brauchen. Kevin Volland spielte Moussa Diaby mit einem Pass durch Unions Abwehr frei, Leverkusen führte plötzlich. Die Heimelf machte auf, Bülter gelang der Ausgleich. Danach hätte Union-Trainer Fischer gern eine Pause gehabt, um "den Riegel vorzuschieben". Es gab keine - und noch mehr Platz für Leverkusen, Karim Bellarabi erzielte den Siegtreffer. In der 97. Minute hatte Unions Torwart Gikiewicz auf der Gegenseite die Chance zum Ausgleich. Er traf nicht genau genug.

Im Stadion "An der alten Försterei" feiern die Fans ihr Team nach jedem Spiel, diesmal besonders. Es hatte bis kurz vor Schluss den besseren Fußball gespielt. Den Spielern reichte das nicht, "dumm und naiv" seien sie am Ende gewesen, beklagte Christian Gentner. Fußballspieler scheren sich nicht um gute B-Noten, wenn sie verloren habe - wie verdient die auch sein mögen.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2020
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