Süddeutsche Zeitung

Überfälle auf BVB-Fans:Angst vor dem Toilettengang

Lesezeit: 3 min

1000 Anhänger begleiteten Borussia Dortmund zum Champions-League-Spiel nach Sankt Petersburg, sie wussten um die Gefahr. Doch es wird schlimmer als befürchtet. Wie organisierte Schlägertrupps den BVB-Fans auflauerten und sie teils schwer verletzten.

Von Julian Beyer, Sankt Petersburg

Das graue Häuschen mit der Aufschrift "Toilet" ist nur etwa 100 Meter entfernt, auf der anderen Straßenseite. Eine kurze Distanz, auch für jemanden, der ganz dringend muss. Aber die drei jungen Frauen trauen sich nicht. Zwischen den anderen BVB-Fans blicken sie sich hilfesuchend auf dem Platz der Künste in Sankt Petersburg um. Dann wenden sie sich an Arina. Die deutschsprachige Reiseführerin aus Sankt Petersburg ist erst überrascht, vermittelt dann zwischen ihnen und der russischen Polizei. Unter deren Schutz gehen die Frauen zur Toilette.

Als Reiseleiterin Arina die Anhänger von Borussia Dortmund am Dienstagnachmittag vor dem Champions-League-Spiel gegen Zenit Sankt Petersburg vom Flughafen zum Treffpunkt in der Innenstadt begleitet, erzählt sie, wie traumhaft die zweitgrößte Stadt Russlands sei. "Sie haben jetzt noch eine Stunde, bis wir mit den Bussen zum Stadion fahren. Nutzen Sie die Zeit und schauen Sie sich so viel wie möglich an", ruft sie den Fans zu, die mit einem Charterflug aus Düsseldorf am Spieltag angereist sind. Doch die rühren sich nicht vom Fleck. Vor den Bussen harren sie auf dem Platz der Künste aus - so lange bis es Zeit ist, weiter zum Stadion zu fahren. Die Angst vor Übergriffen in der Stadt ist zu groß. Und berechtigt.

Bis Donnerstagmittag hört Borussia Dortmund von 50 bis 60 Übergriffen auf seine mitgereisten Fans. Ein Jochbeinbruch, mehrere Nasenbeinbrüche, Risswunden und Blutergüsse sind die Bilanz des Achtelfinal-Hinspiels in der Champions-League, das der Bundesligist mit 4:2 gewinnt. Einige der Verletzungen hat der Dortmunder Mannschaftsarzt Markus Braun versorgt. Nach dem Spiel richtet er Nasen von Dortmunder Anhängern, die in Sankt Petersburg zu viel Angst hatten, in ein Krankenhaus zu fahren.

Dass es zu Angriffen der heimischen Schläger kommen könnte, war von vornherein bekannt gewesen. Viele Anhänger deutscher Vereine hatten schon in Sankt Petersburg einstecken müssen. Als der 1. FC Nürnberg im damaligen Uefa-Cup 2007 auf Zenit traf, wurde ein Mitglied der Nürnberger Ultragruppe so verletzt, dass es mehrere Tage im russischen Krankenhaus verbringen musste. Auch Angriffe auf Fans des FC Bayern München zwei Jahre später sind bekannt.

In einem Schreiben eine Woche vor dem Dortmunder Gastspiel an die rund 1000 Mitreisenden sprach Borussia deshalb von einem "aus Fansicht dickem Brocken". Es wurde ein Bustransfer von der Innenstadt zum Stadion und zurück organisiert. Außerdem erfragte der Verein die Adressen der Hotels der Fans und forderte bei der russischen Polizei Schutzmaßnahmen an - denn auch Überfälle auf Hotelzimmer hatte es in der Vergangenheit gegeben.

In den Stunden vor dem Spiel erreichen die eintreffenden Besucher aus Dortmund die Meldungen von Fans, die schon früher nach Sankt Petersburg gereist sind: Am Vorabend haben russische Hooligans in Kneipen angegriffen. In einem Fall hatten die Dortmunder Glück und konnten durch einen Hinterausgang fliehen. Ein anderes Mal wurden die Ein- und Ausgänge von russischen Schlägern versperrt, die Dortmunder wurden zusammengeschlagen und beraubt. Am Spieltag geht es in der Innenstadt weiter. Friedliche Besucher aus Deutschland werden von heimischen Hooligans verprügelt - selbst wenn sie ohne Schal oder andere Fanutensilien in der Stadt unterwegs sind. Die Schläger sprechen sie auf Russisch an; weil sie nicht antworten können, setzt es Schläge ins Gesicht und Tritte an den Kopf.

Am Platz der Künste, von wo aus die Busse ins Stadion starten, sind die Folgen der Angriffe sichtbar. Ein Fan hat sich zwei Tampons in seine Nase gesteckt, ein anderer hält sich eine Bierflasche zur Kühlung aufs Auge, ein Junge drückt sich ein rotgefärbtes Taschentuch auf seine Unterlippe. Einige erzählen von Fans, die im Hotel bleiben, weil sie nach Attacken "zu fertig sind", um sich das Spiel anzusehen, für das sie von Dortmund bis nach Russland gereist sind.

Borussia Dortmund teilt mit, dass seine Anhänger Opfer von gezielten und koordinierten Übergriffen geworden sind. Die russischen Hooligan-Gruppe schickten bisweilen Späher vor, um die Lage zu analysieren. Erblickten diese Dortmunder Fan-Gruppen ohne Polizeischutz, folgte das Kommando an die wartenden Hooligans.

Borussia Dortmund hat dem Europäischen Fußball-Verband Uefa nach dem Spiel schriftlich von den gezielten Übergriffen berichtet. Eine Antwort steht noch aus.

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