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Dritte Liga:Das wahrscheinlichste Szenario bei Türkgücü ist die Insolvenz

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Allem Anschein nach muss der Verein demnächst einen entsprechenden Antrag stellen - außer Präsident und Investor Hasan Kivran überlegt sich noch einmal anders.

Von Christoph Leischwitz

Hasan Kivran war in der laufenden Saison sehr viel seltener im Stadion zu sehen gewesen als in der vorigen, und das bot sogleich wieder Anlass für Spekulationen: Ist der Präsident und Investor des Drittligisten Türkgücü München ein Erfolgsfan, der nur Aufstiegskandidaten gerne zusieht? Oder war es ein Zeichen schwindender Lust, den Verein weiter zu finanzieren? So wurde Geschäftsführer Maximilian Kothny immer mehr zum Gesicht des Vereins. Der 25-Jährige kritisierte öffentlich die Mannschaft, wenn sie schlecht spielte, er feuerte Trainer Petr Ruman, er kritisierte, er feuerte Trainer Peter Hyballa, er moderierte die sportliche Talfahrt in der Öffentlichkeit - und vertrat alle Entscheidungen nach außen. Mittlerweile stehen so viele Personen auf der Gehaltsliste des abstiegsbedrohten Drittligisten, dass sich die Lage immer mehr zuspitzte.

Vergangene Woche musste Türkgücü eine Frist zum Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verstreichen lassen. Der Grund: Die ursprünglich vorgesehenen Personalkosten wurden hoffnungslos überschritten, nach SZ-Informationen handelt es sich um eine Differenz von knapp unter zwei Millionen Euro. Schnell verdichteten sich daraufhin die Anzeichen, dass Geschäftsführer Kothny einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen würde. Doch der dafür nötige Gang zum Amtsgericht blieb vorerst aus. Kothny sagte jedenfalls auf Nachfrage, dass er am Freitag keinen Antrag gestellt habe, und verwies darauf, dass er gerade alle Hände voll zu tun habe, den Heimspieltag gegen den TSV Havelse zu organisieren. Die Münchner verloren 0:1.

Folgt Türkgücü dem Beispiel des 1. FC Kaiserslautern

Laut Insolvenzrecht hat Türkgücü nach dem Verstreichen der Frist für den Liquiditätsnachweis maximal drei Wochen Zeit, ehe ein Insolvenzantrag gestellt werden muss, der aber trotzdem so schnell wie möglich erfolgen sollte. Die Tatsache, dass man sich selbst ein paar Tage Aufschub verordnete, ist ein prima Nährboden für - wieder einmal - neue Gerüchte. Aber so ist das nun mal mit Türkgücü: Klare Ansagen gibt es selten. Das liegt auch daran, dass Hasan Kivran seine Meinung sehr schnell ändern kann. So formuliert es jemand, der längere Zeit mit Kivran zusammengearbeitet hat. Kivran war am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Das wahrscheinlichste Szenario, wie es nun weitergeht bei Türkgücü, ist nach wie vor die Insolvenz. Mit Antragstellung würden der Mannschaft noch in der laufenden Saison neun Punkte abgezogen werden - im Normalfall beschließt der zuständige Ausschuss nach einer Einspruchsfrist dies innerhalb weniger Wochen. In der vergangenen Saison, fast genau vor einem Jahr, hatte der Drittligist KFC Uerdingen einen Insolvenzantrag gestellt und nur drei Punkte abgezogen bekommen, jedoch nur wegen einer schon wieder abgeschafften Corona-Sonderregelung. Ein Insolvenzverwalter würde schon sehr bald die Geschäfte übernehmen, die Spieler würden für einige Monate von der Bundesagentur für Arbeit weiterbezahlt.

Eine zweite Variante ist die so genannte Planinsolvenz, wie sie vor anderthalb Jahren vom Liga-Konkurrenten 1. FC Kaiserslautern durchgeführt wurde. Sie hätte für Türkgücü den Vorteil, dass man weitgehend in Eigenregie den Spielbetrieb aufrechterhalten könnte. Ob diese Form allerdings genehmigt wird und ob Türkgücü genug Masse hätte, um die Gläubiger milde zu stimmen, erscheint fraglich. Es ist darüber hinaus nie auszuschließen, dass sich der Präsident am Samstag dazu entscheidet, eine Planinsolvenz anzustreben, um am Sonntag doch wieder abzusagen.

Trainer Andreas Heraf versucht, die Ruhe zu bewahren

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Liquiditätslücke doch noch geschlossen wird, müsste Türkgücü trotzdem einen Punktabzug hinnehmen, wenn auch deutlich weniger als neun Punkte, dazu wohl auch weitere Geldstrafen. Nach SZ-Informationen hatte Kivran tatsächlich schon im Herbst geplant, seine Anteile an der KgaA zu verkaufen. Es soll auch schon einen Käufer, einen internationalen Investor, gegeben haben, der aber aufgrund des Absackens in der Tabelle doch wieder ausstieg. Eine wichtige Rolle soll dabei das Auswärtsspiel Ende November in Braunschweig gespielt haben. Gleich nach der 0:2-Niederlage hatte Trainer Hyballa auf die Frage, ob er weiter Trainer bleibe, geantwortet: "Weiß ich nicht, ist mir auch egal." Drei Tage später wurde er beurlaubt.

In der Zwischenzeit versuchen die aktuell sportlich Verantwortlichen, die Ungewissheit erst einmal so gut es geht zu verdrängen. "Wenn du jeden Tag liest, was kommen könnte, dann gibt's schon ein bisschen Unruhe. Natürlich sind solche Dinge nicht förderlich", sagt Trainer Andreas Heraf. Das Transferfenster sei ja noch ein paar Tage offen, er hoffe, dass angesichts der ungewissen Lage der Kader zusammenbleibe. Es habe ja schon einige Weggänge gegeben, "weitere Abgänge können wir eigentlich nicht verkraften".

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