Süddeutsche Zeitung

Tuchel vor Zusage in Hamburg:"Thomas würde den HSV gerne machen"

Lesezeit: 3 min

Von Carsten Eberts

Wenn es schlimm steht um den Hamburger SV, hilft es meist, Trost bei den Vereinsgrößen vergangener Tage zu suchen. Uwe Seeler hätte auch dann für die HSV-Fans ein zuversichtliches Wort übrig, wenn alle Dämme brechen und das Elbwasser bis in den ersten Stock der Geschäftsstelle in der Sylvesterallee hineinläuft. Oder Felix Magath. Der spart zwar selten mit Kritik, ist grundsätzlich aber überzeugt, dass der HSV mindestens in den Europapokal gehört.

Nun hat jedoch auch Magath seine Rest-Zuversicht verloren. Am Sonntagabend zeigte er sich in einem Interview mit dem NDR-Sportclub geschockt. Die Partie gegen Wolfsburg sei "das Spiel eines Absteigers" gewesen, urteilte Magath, "von der Mannschaft kam nichts." Es falle ihm schwer, zu sehen, "wie man an das rettende Ufer kommen soll".

Damit steht Magath nicht allein. Das Boulevardblatt Hamburger Morgenpost kommentierte den Absturz am Montag mit zwei leeren Seiten, darüber die Schlagzeile: "Das macht HSV-Fans jetzt noch Hoffnung." Es waren aber auch katastrophale Nachrichten, die der Klub am Wochenende produzierte. So als befinde sich der Verein, der als einziges Bundesliga-Gründungsmitglied noch nie abgestiegen ist, bereits im Selbstzerstörungsmodus.

Beim 0:2 gegen Wolfsburg verlor der HSV auch das vierte Spiel in Serie, weshalb der Klub auf den letzten Tabellenplatz zurückgereicht wurde. Besonders fatal für die Außenwirkung: In der Halbzeitpause kam es in der Kabine zu einer Schlägerei zwischen Johan Djourou und Valon Behrami, was natürlich sofort publik wurde (wir sind hier schließlich beim HSV). Das Handgemenge lenkte immerhin kurzzeitig davon ab, dass Magaths Einschätzung wenig hinzuzufügen war: Nicht einmal schoss der HSV gefährlich aufs Tor. Stattdessen übertrafen sich die Defensivakteure im Herumstümpern.

Die Spieler hätten "einander nicht geholfen", sagte Verteidiger Heiko Westermann, was noch freundlich ausgedrückt war. Deutlicher wurde Peter Knäbel, der bislang glücklose Interimstrainer, der sich seinen Brasilianer Cléber vorknöpfte. "Wenn man den Ball so dämlich und so überflüssig verliert, dann ist es das Schlimmste, was es gibt", sagte Knäbel über Clébers Fauxpas vor dem 0:1. Die Bundesliga sei "der falsche Ort, um zu lernen und solch einen Fehler zu begehen". Wie gesagt: im Selbstzerstörungsmodus.

So gar nicht zu passen scheint es, dass sich trotzdem der begehrteste Fußballtrainer des Republik ernsthaft mit einem Engagement beim Chaosklub beschäftigt: Thomas Tuchel. "Thomas würde den HSV gerne machen, wenn gewisse Voraussetzungen stimmen", sagte sein Berater Olaf Meinking nun der SZ. Mit diesen Voraussetzungen ist nicht der Klassenerhalt gemeint, eher die inhaltlichen Kompetenzen als Trainer und natürlich entsprechende finanzielle Spielräume, um sich seinen eigenen HSV zu basteln. Schon in der kommenden Woche könnte Tuchel HSV-Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer, zu dem er beste Kontakte pflegt, seine Zusage erteilen, heißt es. So könnte der hochgelobte Coach, wenn der HSV tatsächlich absteigt, in der kommenden Saison einen Zweitligisten trainieren.

Sportlich ist dies ein nicht unwahrscheinliches Szenario. Insbesondere, weil die Konkurrenz der Hamburger diesmal offenbar nicht gewillt ist, dem HSV kampflos den Relegationsplatz zu überlassen. So wie in der Saison 2013/14, als es die Tabellenschlusslichter Nürnberg und Braunschweig fertigbrachten, aus den finalen fünf Saisonspielen nicht einen einzigen Punkt zu generieren. So kam der HSV, der ebenfalls ohne Sieg blieb, mit 27 Punkten überglücklich in die Relegation, wo er mit zwei Unentschieden gegen Greuther Fürth - ebenfalls überglücklich - den Klassenerhalt sicherte.

Das läuft in diesem Jahr anders. Schon am 28. Spieltag haben sich Paderborn (2:1 gegen Augsburg) und der VfB Stuttgart (3:2 gegen Bremen) entschlossen, wieder zu punkten. Der HSV startet vom letzten Platz in die finale Saisonphase, er hat bereits vier Punkte Rückstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz - und muss nun selbst einige Spiele gewinnen, um da wieder rauszukommen. Nur wie, mit einer Mannschaft in desolatem Zustand, mit einem Interimstrainer, der eigentlich Vereinsfunktionär ist und öffentlich über seine Spieler herfällt?

Im Mai 2014 jubelten die Hamburger Fans lauthals in Mainz, als ihre Mannschaft trotz eines 2:3 beim FSV die Relegationsspiele erreichte. "Für immer erste Liga, HSV", sangen sie im Mainzer Stadion. Es war jener Tag, an dem Thomas Tuchel den Mainzern überraschend seinen Rücktritt und den Beginn seines Sabbaticals ankündigte.

Nun könnte das Schicksal den HSV und Tuchel wieder zueinander führen - und das in schlimmsten Zeiten.

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