Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Blamage beim Bayernligisten

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"Zieht's eure Trikots aus": 1860 München verzockt sich beim 0:1 im Toto-Pokal-Viertelfinale in Pipinsried. Die Stimmung ist gleich wieder im Keller - der Trainer entschuldigt sich.

Von Christoph Leischwitz

Das Besondere an diesen Pokalspielen auf dem Land ist ja, dass alles so nah ist. Die zusätzliche Tribüne, die sie beim FC Pipinsried am Mittwoch noch aufgebaut hatten, stand keine fünf Meter hinter dem Tor, in das auch der einzige Treffer des Tages fallen sollte. Und als ein denkwürdiges Pokalspiel zu Ende ging, da konnten die Spieler des TSV 1860 München sehr genau hören, was ihre Anhänger davon hielten.

"Zieht's eure Trikots aus", schrie einer, der dabei an seinem eigenen Trikot zupfte, als ob er sagen wollte: Ich bin ein echter Löwe. Gut zu sehen war dann in den Gesichtern der Spieler auch, was solche Aussagen mit ihnen machen. Und das an jenem Ort, an den man eigentlich gerne zurückgekehrt war. Vor gut fünf Jahren hatte Sechzig in Pipinsried die Regionalliga-Meisterschaft fix gemacht.

Der Drittligist hatte doch tatsächlich das Viertelfinale des Bayerischen Toto-Pokals beim Bayernligisten verloren, der 20-jährige Daniel Gerstmayer wurde mit seinem Kopfballtreffer aus Minute fünf zum Matchwinner. Weder eine rote Karte für Pipinsried (66.) noch ein Elfmeter (83.) halfen den Sechzigern, die Schmach noch abzuwenden, letztlich ließen diese Umstände sie nur noch wachsen.

"Es war keine B-Mannschaft", sagt 1860-Trainer Jacobacci. Er habe den FC Pipinsried nicht unterschätzt

Da saß also Löwen-Coach Jacobacci, 60, vor einem Vereinsheim-Publikum, das den heimischen Trainer Martin Weng frenetisch feierte, und sagte: "Ich kann mich nur entschuldigen für die Leistung, die mein Team abgerufen hat." Pipinsrieds Coach Weng erzählte wenig später, dass er seinen Spielern vor der Partie noch einmal die Toto-Pokal-Ergebnisse der Sechziger aus den vergangenen Jahren an die Wand geworfen hatte, vergangenes Jahr zum Beispiel waren sie gegen den FV Illertissen ausgeschieden. "Von Anfang an", antwortete Torschütze Gerstmayer auf die Frage, ab wann er denn an den Sieg geglaubt habe. Vielleicht waren die Sechziger also per se gar nicht der Favorit, für den sie sich selbst hielten. Mit anderen Worten: Sie hatten Pipinsried unterschätzt. Was hernach aber freilich niemand zugab.

Den Foulelfmeter, den Sechzigs Albion Vrenezi an die Latte zimmerte, bezeichnete Weng als "letzten Push. Da merkt man einfach, wie viel der Kopf ausmacht. Was die Jungs noch laufen konnten, das hätte ich selber nicht gedacht, dass sie das können".

Wo also waren die Köpfe der Löwen? Insbesondere in den 24 Minuten Überzahl, nach dem etwas zweifelhaften Platzverweis für Ludwig Räuber wegen einer Notbremse? Sechzig spielte auch dann noch so, als sei ihnen zwischen den 2500 Zuschauern alles irgendwie zu eng. Pässe wirkten, als sei der Mitspieler zehn Meter weiter entfernt, als er tatsächlich war, Torschüsse landeten im Maschendrahtzaun oder auf dem Parkplatz dahinter. "Wir haben es einfach nicht geschafft, sie vor Probleme zu stellen. Eher haben die uns vor Probleme gestellt", musste 1860-Verteidiger Leroy Kwadwo einräumen.

So richtig fand auch Trainer Maurizio Jacobacci keine Antwort. Er zählte Spielernamen auf, wie Torwart Marco Hiller, der nach drei Wochen Verletzungspause erstmals wieder im Tor stand, um damit zu unterstreichen: "Es war keine B-Mannschaft." Mit anderen Worten: Er habe den FC Pipinsried nicht unterschätzt. Tags zuvor hatte Jacobacci noch gesagt, man wolle tunlichst das Schicksal vermeiden, dass dem Stadtrivalen FC Bayern beim 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal widerfuhr. Er schonte jedoch seinen Kapitän Jesper Verlaat und setzte Angreifer Fynn Lakenmacher auf die Bank. Wobei man Lakenmacher schwerlich mit Harry Kane vergleichen kann, schon allein deshalb, weil Lakenmacher dann noch eingewechselt wurde, und seine Chancen vergab.

Die Sechziger haben durch die Pleite auch ihre beste Chance verspielt, am kommenden DFB-Pokal teilzunehmen

"Im Prinzip", sagte Jacobacci über seine Spieler, "sind sie so eingestellt, dass sie Leistung bringen sollten", und einige Nicht-Stammspieler hätten zudem hier ja die Möglichkeit, "sich für höhere Aufgaben zu präsentieren". Doch der Schweizer Trainer hatte in dem völlig überfüllten Vereinsheim auch seine dünnhäutigen Momente. Zum Beispiel, als er gefragt wurde, warum er nur einen Spieler von der Startelf aufbot, die vor einer Woche 3:2 in Saarbrücken siegte. "Ist Hiller eine B-Mannschaft? Ist Glück eine B-Mannschaft? Ist Vrenezi eine B-Mannschaft? Haben diese Spieler keine Chance, gegen Pipinsried zu bestehen?", fragte er giftig zurück. Und legte sarkastisch nach: "Dann ist es mein Fehler, dass ich eine solche Mannschaft aufgestellt habe." Weil im Sommer ein Sportdirektor fehlte, war Jacobacci maßgeblich an der Kaderzusammenstellung beteiligt gewesen. In diesen Tagen fordert er übrigens immer deutlicher einen Sportchef.

Das Ausscheiden bei jener Mannschaft, die im Sommer 0:0 gegen den TSV 1860 München II gespielt hatte, war nicht nur einfach peinlich. Die Sechziger haben, angesichts des Abstands zur Drittliga-Tabellenspitze, ihre beste Chance verspielt, in der kommenden Saison am DFB-Pokal teilnehmen zu können. Der neue Schwung nach einem wichtigen Auswärtssieg in der Liga ist auch dahin, das Derby gegen die SpVgg Unterhaching am kommenden Samstag ist demnach, mal wieder, richtungsweisend.

Nach dem Spiel wurde dann zwischen Funktionären noch einmal der Streit hochgekocht, den der Ticketverkauf ausgelöst hatte. Der war in Pipinsried nicht so abgelaufen, wie sich die Löwen das gewünscht hätten, in der Tat war es atmosphärisch auch kein Heimspiel für Sechzig gewesen. Noch ein Sieg, und Pipinsried würde als das unterklassigste noch verbliebene Team im Wettbewerb auf jeden Fall das Finale austragen. Die Auslosung erfolgt schon nächste Woche, doch der Gegner ist den Pipinsriedern eigentlich egal. "Wir haben überhaupt nichts zu verlieren", sagte ein überglücklicher Torschütze Gerstmayer.

Im Wettbewerb sind noch die Würzburger Kickers und Titelverteidiger FV Illertissen - der vierte Teilnehmer fehlt noch, nachdem Türkgücü München sein Spiel gegen den FC Ingolstadt absagen musste: Im Ausweichstadion in Rosenheim stand der Rasen unter Wasser. Noch am Freitag reichte Türkgücü nach SZ-Informationen einen Antrag beim BFV ein, das Spiel am Sonntag in Ingolstadt auszutragen. Doch das war offensichtlich zu kurzfristig. Am Samstag teilten die Schanzer mit, das Spiel werde voraussichtlich erst im Februar ausgetragen. Wo, steht weiterhin nicht fest.

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