Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Höhnischer Geisterjubel

Lesezeit: 3 min

Vorne Schrecken, hinten Schrecken: Glück- und führungslose Löwen verlieren 2:5 gegen Tabellenführer Magdeburg - und müssen sich von ihren Aufstiegsträumen verabschieden.

Von Christoph Leischwitz

Es ist schon sehr ungewöhnlich, dass beim TSV 1860 München ein Vereins- und ein Investorenvertreter so lange so nahe beisammensitzen, wie es am Samstagnachmittag auf der Haupttribüne des Grünwalder Stadions der Fall war. Die gesamte zweite Spielhälfte unterhielten sich Präsident Robert Reisinger und Investorenvertreter Anthony Power angeregt, auch Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer saß dabei. Es war allerdings auch etwas sehr Ungewöhnliches passiert, in der ersten Hälfte: Diese hatten die Sechziger gegen den Drittliga-Spitzenreiter 1. FC Magdeburg 0:5 verloren. So einen Pausenstand gab es in der Geschichte von 1860 München, nach allem, was die Datenbanken dazu ausspucken, noch nie - und weil der Verein eine lange, bewegte Geschichte hat, wog diese Tatsache schwer.

Es war das erste Münchner Geisterspiel der laufenden Saison. Doch irgendwie war es nicht einmal das: Die Sechziger schienen von allen guten Geistern verlassen zu sein, zeigten in der Defensive kaum Gegenwehr und legten dem Gegner die meisten Treffer selbst auf. So etwa Quirin Moll, dem ein weiter Ball auf die Wade sprang und von dort in den Lauf des Gegners - Connor Krempicki hatte keine Mühe, zum 0:1 einzuschieben. "Wehrt euch", schrie Torwart Marco Hiller dann nach dem 0:3 seine Vorderleute verzweifelt an, da waren gerade 17 Minuten gespielt. Das bisschen Gegenwehr führte lediglich gegen Ende der Partie zu zwei Ehrentreffern von Fabian Greilinger (71.) und Merveille Biankadi (87.). Dass zu den Toren eine Art Geisterjubel über Lautsprecher eingespielt wurde, wirkte dabei fast schon höhnisch. Sechzig muss sich von seinen Aufstiegsträumen verabschieden - nicht nur wegen des Tabellenbilds, sondern viel mehr noch wegen der zuletzt gezeigten Leistungen gegen Spitzenmannschaften der dritten Liga.

Das Gespräch auf der Haupttribüne zeigte, dass vorübergehend die seit Langem bestehenden Vereinsgräben überwunden wurden, weil eine sportliche Notlage dies nötig machte. Auf Nachfrage gab Reisinger rund zehn Minuten nach dem Spiel zu Protokoll, dass man einen Satz von ihm zitieren dürfe: "Der Trainer steht nicht zur Disposition", sagte er. Beim langen Gespräch hatte man offensichtlich einen gemeinsamen Nenner gefunden, denn kurze Zeit später ließ Investor Ismaik über die sozialen Medien verlauten, er wolle trotz der schlechten Leistung "betonen, dass Michael Köllner und auch die Mannschaft bei mir nicht zur Diskussion stehen".

"Der Trainer steht nicht zur Disposition", sagt Präsident Reisinger - Investor Ismaik stimmt auf Facebook zu

Der Trainer sprach freilich von einem "rabenschwarzen Tag". "Hinten Schrecken" sowieso, aber auch "vorne Schrecken". Kläglich hatte man die ersten Chancen vergeben, darunter wie schon vor vier Tagen gegen Waldhof Mannheim (1:3) einen Elfmeter - dasselbe Tor, dasselbe Eck, das nicht genau genug angepeilt wurde, allerdings diesmal von einem anderen Schützen. Jetzt war Dennis Dressel vorab klar benannt worden, nachdem die besten Schützen zuletzt allesamt Nerven gezeigt hatten. Jetzt also auch Dressel, der an Magdeburgs Keeper Dominik Reimann scheiterte. Selten steht der fahrlässige Umgang mit Elfmetern so sinnbildlich für den Gesamteindruck: Glücklosigkeit paart sich bei den Löwen mit Führungslosigkeit. Sascha Mölders zum Beispiel war tags zuvor in der Pressekonferenz noch dafür kritisiert worden, dass er am Dienstag den Ball vor dem Elfmeter weitergegeben hatte, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen.

Köllner meinte, dass man in den kommenden Tagen dringend Wege finden müsse, um die Mannschaft aus der aktuellen Verunsicherung zu führen. Diese Verunsicherung habe auch das Trainerteam mitzuverantworten, "da sitzen wir alle in einem Boot". Und es sei doch klar, dass sich die Entscheider nach so einer Halbzeit auf der Tribüne austauschen müssten. Doch er schien zum Zeitpunkt der Pressekonferenz bereits zu wissen, dass sein Traineramt nicht zur Disposition steht. "Da gehe ich schon davon aus", sagte er auf die Frage, ob er glaube, nächste Woche noch Trainer zu sein. Dabei waren gegen Magdeburg auch taktische Fehler gemacht worden. Dass Köllner bleiben wird, mag auch mit der finanziellen Situation zu tun haben: Bekanntlich ist der Etat der Sechziger ausgereizt. So wenig man sich, wie oft kommuniziert, neue Spieler leisten kann, so wenig wird man sich einen weiteren Trainer bei Lohnfortzahlung des Vorgängers leisten können.

Der zweite Geschäftsführer, für die sportlichen Belange zuständig, erklärte nach dem Spiel vor den TV-Kameras: "Bitte verstehen Sie, dass ich jetzt nicht über, sondern mit Michael Köllner spreche", sagte Günther Gorenzel. Wenn allerdings die Verantwortlichen in ihrem langen Gespräch auf der Tribüne zu dem Schluss gekommen sein sollten, dass personelle Konsequenzen nötig sind, wäre Gorenzel als Verantwortlicher für die Kaderzusammenstellung ein durchaus wahrscheinliches Opfer.

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