Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Hand am Deckel

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Mit einem 3:0 gegen Havelse verbessern die Löwen ihre Chance auf Rang vier im Abschlussklassement - doch auch die Aufstiegsränge bleiben in Sichtweite.

Von Christoph Leischwitz

Es wird in der schönen Welt der Fußballfloskeln wohl für immer ein Geheimnis bleiben: Warum eine Mannschaft oft lange und verzweifelt einen "Dosenöffner" sucht, dann aber, wenn sie ihn endlich gefunden hat, ewig vor der geöffneten Dose herumsteht, ohne dass "der Deckel draufgemacht" wird.

Am Samstag war (auch wenn das schmerzhaft klingt) Semi Belkahias Schulter besagter Dosenöffner beim Drittliga-Spiel des TSV 1860 München gegen den bereits feststehenden Absteiger TSV Havelse, zumindest hat Belkahia selbst seine Schulter so benannt, als er in der 51. Minute den Führungstreffer nach einem Eckball erzielte. Der Deckel, das war laut Trainer Michael Köllner das 2:0 durch Marcel Bär, mehr als eine halbe Stunde später (82.). Am Ende hieß es sogar 3:0. Doch zwischen den Toren eins und zwei war ordentlich Nervosität aufgekommen, die Sorge, dass man wegen eines ungerechten 1:1 "so eine Fresse ziehen muss", wie der Trainer sagte.

"Ich habe dem Linienrichter mehrmals gesagt: Das ist kein Freundschaftsspiel!"

Für diese Hängepartie machte Köllner auch die Schiedsrichter mitverantwortlich. Und zwar wegen ihrer Einstellung. "Ich habe dem Linienrichter mehrmals gesagt: Das ist kein Freundschaftsspiel", erklärte der 52-Jährige. Hier und da einfach mal ein Foul nicht pfeifen, weil es in dem Spiel vermeintlich um nichts mehr gehe, nein: "Das ist knallharter Profifußball!" Weil er die Unparteiischen mit dieser Ansicht vertraut machte, sah Köllner die gelbe Karte - die einzige des Spiels.

Das vor Kurzem zurechtgerückte Saisonziel vierter Platz, der zur Teilnahme am nächsten DFB-Pokalwettbewerb berechtigt, ist dank des Sieges gefestigt, ja: Theoretisch ist sogar noch der dritte Platz möglich, weil Kaiserslautern überraschend zu Hause vor 48 000 Zuschauern gegen Dortmund II verlor (1:3) - was Köllner prophezeit hatte. Allerdings müssten die Pfälzer nun auch ihr letztes Saisonspiel verlieren. Etwas wahrscheinlicher ist es, dass Marcel Bär nach seinen zwei Treffern - er erzielte auch das 3:0 (89.) - Torschützenkönig der dritten Liga wird, denn er führt die Liste nun mit 19 Toren alleine an. Verfolger Baris Atik vom nächsten Gegner 1. FC Magdeburg fehlt zurzeit verletzt. "Wenn du mal da oben bist, willst du auch da oben bleiben", sagte der Angreifer dazu.

Bärs Erfolg weist mehrere Besonderheiten auf: Sechzig würde zum zweiten Mal in Serie den besten Angreifer der Liga stellen - mit zwei verschiedenen Spielern. Bär kam im vergangenen Sommer, als Sascha Mölders', ja, was genau? Ergänzung? Nachfolger? Seit Mölders Anfang Dezember gehen musste und Köllner das Spiel auf den Neuen zugeschnitten hat, ist Sechzig wieder eine Spitzenmannschaft. Schon jetzt holte das Team in der Rückrunde neun Punkte mehr als in der Hinrunde. Der Trainer ordnete Bärs Erfolg so ein: "Dass wir als Team funktionieren und dass unser Spiel funktioniert."

Die offene Trainerfrage verzwergte Köllner selbst auf spektakuläre Art

Köllner hatte auch für den Abstiegstrainer des Gegners, Rüdiger Ziehl, viel Lob übrig. Der habe mit bescheidenen Mitteln Spieler weiterentwickelt. Die bescheidenen Mittel sind ja auch bei Sechzig das Problem, wo die Trainerfrage für die kommende Saison noch immer ungeklärt ist. Köllner wünscht sich offenbar etwas weniger Bescheidenheit, sprich: mehr Kadertiefe und etwas mehr Qualität. "Am Ende müssen die Vorstellungen matchen - denn sonst ist es ein Mismatch." Fehlende Übereinstimmung.

Nach dem 3:0 gegen Havelse verzwergte Köllner die Trainer-Personalie spektakulär. Vieles andere sei wichtiger, womit er ja im Prinzip auch Recht hat: dass der langjährige Sechzig-Allesfahrer Svend Friderici nach einem Herzinfarkt in Lebensgefahr schwebt, dass Boris Becker verurteilt wurde (was Köllner für eine Schweinerei hält), dass die Bundesregierung Waffen in die Ukraine liefert, obwohl sich in den vergangenen Jahrzehnten "kein Arsch in der Bundesregierung" um Kriegsländer in Asien oder Afrika gekümmert habe, das alles habe er auch in der Kabine angesprochen - wie unwichtig sei denn da bitteschön die Zukunft des Trainers?

Das Spiel sowie Köllners verbaler Rundumschlag zeigten aber auch, was das eigentliche Problem der Sechziger ist: Sie können sehr gut Fässer aufmachen. Den Deckel draufmachen, da hapert es oft. In einem einzelnen Spiel, aber auch ganz generell. So hat etwa die Erkenntnis, dass es mit Torschützenkönig Mölders nicht mehr funktionierte, wohl zu spät zu Konsequenzen geführt. Gegen Havelse tat das Team sich deshalb lange schwer, weil es "ungenau" (Bär) gespielt habe. Vor allem galt dies beim jeweils letzten Pass und den Torabschlüssen. Oft ist schlicht technische Unzulänglichkeit der Grund. Weil auch dadurch womöglich ein paar Punkte fehlen, kann Köllner jetzt auch noch keinen Deckel auf seine Vertragserfüllung bis Sommer 2023 machen.

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