Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Attacken und Konterattacken

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Die erste Pyrenäen-Etappe hat es in sich: Adam Yates verteidigt mit Mühe das Gelbe Trikot, Emanuel Buchmann verliert eine Minute und Frankreich juchzt und leidet zugleich. Es deutet sich an, dass die Tour sehr offen verlaufen könnte.

Von Johannes Aumüller

Emanuel Buchmann war sichtlich geknickt. Viel hatte sich der Kapitän der Bora-Mannschaft vorgenommen für diese 107. Tour de France, ein Platz auf dem Podium war das erklärte Ziel. Doch als die Rundfahrt an diesem Samstag mit der ersten schweren Pyrenäen-Etappe so richtig begann, konnte Buchmann mit den besten Klassementfahrern des Feldes nicht ganz mithalten. Ein paar Kilometer vor dem Gipfel des Col de Peyresourde verlor er den Anschluss an die Favoritengruppe, im Tal in Loudenvielle betrug der Abstand etwas mehr als eine Minute.

"Als es richtig abging am Berg, habe ich mich nicht gut gefühlt und musste abreißen lassen. Das ist natürlich nicht das, was ich wollte", sagte Buchmann. Er war bei einem Vorbereitungsrennen für die Tour gestürzt, daran laboriert er ganz offenkundig noch.

Vor dem Start dieser achten Tour-Etappe war es noch die große Frage gewesen, ob die Favoriten die ersten heftigen Anstiege der diesjährigen Auflage schon zur Attacke nutzen würden - oder ob sie es mit Blick auf die schweren Alpen-Tage in der Schlusswoche nicht abwartend angehen würden. Aber spätestens als es wenige Kilometer vor dem Ziel den Col de Peyresourde erst hoch- und dann runterging, hatte sich diese Frage erledigt. Und während vorne der Franzose Nans Peters als letzter Verbliebener einer ursprünglich 13-köpfigen Ausreißergruppe den Etappensieg holte, tat sich im Kreis der Klassementanwärter durchaus erstaunliches.

Ständig kam es zu Attacken und Konterattacken aufs Gelbe Trikot, teilte sich die Favoritengruppe und musste der Gesamtführende Adam Yates ein Loch zufahren - bis eine zehnköpfige Favoritengruppe geschlossen im Ziel war und Yates seinen knappen Drei-Sekunden-Vorsprung verteidigen konnte. "Das war ein harter Tag. Wir sind Vollgas bis ins Ziel gefahren, aber ich bin noch in Gelb", sagte Yates im Ziel.

Ein 21-jähriger Slowene überzeugt

Dabei war es durchaus bemerkenswert, dass es überhaupt zu einer solchen Rennsituation kommen konnte. In den vergangenen Jahren war es bei der Tour de France üblich, dass in einem solchem finalen Moment einer Etappe die Ineos/Sky-Mannschaft das Geschehen kontrollierte. Doch in diesem Jahr ist die Equipe offenkundig nicht so stark, und so war Kapitän und Vorjahreschampion Egan Bernal (Kolumbien) ziemlich früh ganz alleine unterwegs.

Aber auch beim Team Jumbo-Visma, das sich wie schon in den Vortagen auch in dieser ersten schweren Pyrenäen-Etappe als stärkstes Team erwies, musste sich ihr slowenischer Anführer Primoz Roglic am Ende ganz alleine durchkämpfen. Roglic präsentierte sich insgesamt zwar stärker als Bernal, der mehrfach abgehängt war, aber im Ziel waren sie gleichauf. Den stärksten Eindruck aller Klassementfahrer machte allerdings der erste 21-jährige Slowene Tadej Pogacar, der am Vortag auf einer Wind-Etappe eineinhalb Minuten verloren hatte und es mit einer Attacke am Peyresourde schaffte, 30 Sekunden wieder aufzuholen. Es dürfte also in der Tat, wie von vielen erwartet, eine der offensten Frankreich-Rundfahrten seit Langem werden.

Eine zentrale Rolle spielten an diesem Tag aber die französischen Fahrer - und das nicht nur wegen des Tagessieges von Peters, sondern auch mit Blick aufs Gesamtklassement. Denn da hatte die Gastgeber-Nation für Staunen und Leiden gleichermaßen Anlass. Zu leiden hatte sie, weil ihre große Hoffnung Thibaut Pinot schon wieder großes Pech hatte. Bereits am Anstieg zum Port de Bales konnte er dem Hauptfeld nicht mehr folgen, weil er offenkundig an Rückenbeschwerden litt- im Ziel betrug der Rückstand stolze 20 Minuten. Schon im Vorjahr hatte Pinot krankheitsbedingt aussteigen müssen, als er sich in einer guten Position befand.

Aber auch der französische Publikumsliebling Julian Alaphilippe kann seine Ambitionen auf eine vordere Platzierung vergessen. Kurioserweise war er es gewesen, der am Peyresourde den Attackenreigen eröffnete, doch kurz danach konnte er dem Tempo nicht mehr folgen - und verlor er auch noch zwölf Minuten.

Bardet gelingt eine finale Attacke

Doch andererseits tun sich für Frankreich, das seit 1985 auf einen Tour-Sieg wartet, plötzlich zwei andere Optionen auf. Guillaume Martin aus dem Cofidis-Team fährt überraschend stabil und versuchte gleich zwei Attacken. Und Romain Bardet (Ag2r) wirkte auch überzeugend - und schaffte es mit einer finalen Attacke, zwei Sekunden herauszuholen und sich in der Gesamtwertung hinter Yates, Roglic und Martin auf Rang vier zu schieben.

An diesem Sonntag bietet sich in den Pyrenäen gleich die nächste Möglichkeit für die Klassementfahrer. Gleich zwei schwere Anstieg der ersten Kategorie geht es bergauf, das Ziel liegt aber wieder im Tal.

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