Süddeutsche Zeitung

Tischtennis-WM 1979 in Nordkorea:Pingpong in Pjöngjang

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Von Lisa Sonnabend

Auch nach 35 Jahren hat Peter Stellwag die traurigen Gesichter nicht vergessen. Verbitterung habe in ihnen gelegen. "Niemand lächelte", erinnert sich der 60-Jährige, "es hat uns gefröstelt". Stellwag ist Zahnarzt in Echterdingen in Baden-Württemberg. In den siebziger Jahren war er einer der besten Tischtennisspieler Deutschlands - und so kam es, dass er 1979 nach Nordkorea reiste.

Der Weltverband ITTF hatte die Weltmeisterschaft nach Pjöngjang vergeben. Es war ein historisches Ereignis. Denn niemals zuvor und niemals danach fand eine große Sportveranstaltung in Nordkorea statt. Es war aber auch eine umstrittene Entscheidung - die wohl nur zustande kam wegen eines sehr mächtigen Mannes im Tischtennissport.

Ivor Montagu führte 40 Jahre lang den ITTF, der Engländer war überzeugter Kommunist und soll sogar, wie später herauskam, für die Sowjetunion spioniert haben. Bei der Vergabe der WM 1979 war Montagu nicht mehr im Amt. Die von ihm geschaffenen Strukturen wirkten jedoch nach. Viele Funktionäre aus kommunistischen Ländern hatten etwas zu sagen.

Doch auch manch westlicher Vertreter begrüßte die Wahl des Veranstaltungslandes, die Erwartungen waren hoch. Denn schon einmal hatte eine Tischtennispartie die Weltpolitik verändert. 1971 trugen Spieler aus China und den USA ein Freundschaftsspiel aus, danach verbesserten sich die Beziehungen der beiden Staaten deutlich. Doch in Nordkorea versagte die Pingpong-Diplomatie, die Politik gewann gegen den Sport.

Als das amerikanische Team am Flughafen ankam, schaute die ganze Welt zu. Es war die erste US-Delegation seit dem Ende des Koreakrieges 1953, die hier landete. Doch das Verhältnis der beiden Staaten entspannte sich durch die WM nicht. Stattdessen provozierte der damalige Präsident Kim Il Sung. Wenige Tage vor Turnierbeginn erfuhren die Sportler aus Israel und Südkorea, dass sie anders als zuvor zugesichert keine Einreise-Visa erhielten. Zahlreiche Nationen diskutierten über einen Boykott, doch keiner entschloss sich dazu. Weltverbandspräsident Roy Evans vertrat die Meinung: So kurz vor Beginn könne er die WM nicht mehr platzen lassen. Nicht einmal der Vorschlag, die WM zu einem Weltturnier zu degradieren, fand bei der ITTF eine Mehrheit.

600 Sportler aus 70 Ländern spielten in jenen elf Tagen im Frühling 1979 um den Titel. Peter Stellwag scheiterte in der dritten Runde. "Im entscheidenden Satz hatte ich deutlich geführt", ärgert er sich auch 35 Jahre danach noch. 7:2 oder 9:3, das weiß er nicht mehr. An anderes erinnert er sich jedoch genau. "Es war eine völlig andere Welt", erzählt er, "über dem Hotelbett hing ein Bild vom Diktator." Frei bewegen durften sich die Sportler nicht. Verließen Stellwag und seine Teamkollegen das Hotel oder die Trainingshalle, folgte ihnen stets ein Begleiter.

Auch andere Athleten klagten über Einschränkungen. Zeitungsberichte schildern, wie ein Besucher daran gehindert wurde, in einer Buchhandlung ein USA-kritisches Buch zu kaufen. Amerikaner durften zudem bestimmte Räume des Revolutionsmuseums nicht betreten, die dort dargestellte Version der Geschichte wäre ihnen sicherlich seltsam vorgekommen.

Auch sportlich lief das Turnier nicht reibungslos. Die Hallen waren zwar voll, die nordkoreanischen Spielerinnen erreichten im Mannschaftswettbewerb sogar das Finale, doch die Schiedsrichter gaben umstrittene Punkte verdächtig oft zugunsten der Gastgeber. Der Weltverband ITTF verhielt sich jedoch so, als bekomme er davon nichts mit. Präsident Evans zeigte sich lediglich "ein bisschen enttäuscht", dass Diktator Kim Il Sung nicht zur Eröffnungsfeier erschienen war.

Stellwag fand dagegen schon damals kritische Worte: "Die Spieler und Zuschauer des Gastgeberlandes stellen alle ihre Leistungen in den Dienst des Personenkultes", sagte er damals dem Tischtennis Magazin. Heute findet er: "Politisch war diese WM sicherlich ein Fehler, sportlich dagegen keine falsche Entscheidung."

Denn für viel fataler hält Stellwag die Entscheidung der Fifa, die Fußball-WM 2022 in Katar zu spielen. In einem Land ohne Fußballtradition, in dem Arbeiter ausgebeutet werden und es viel zu heiß zum Sporttreiben ist. Der Tischtennisspieler, der in Nordkorea antrat, hält Katar 2022 für "die hirnrissigste Entscheidung der Sportgeschichte".

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SZ vom 30.7.2015
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