Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Urschrei im Nebel

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Mit einer starken Aufholjagd verhindert der Tischtennis-Erstligist Bad Königshofen einen katastrophalen Saisonstart. Zu verdanken hat er das der Nervenstärke von Filip Zeljko.

Von Andreas Liebmann, Bad Königshofen/München

Es war noch kein dunkler Abgrund, in den der TSV Bad Königshofen am vergangenen Samstag blickte, dafür war die Saison einfach noch zu jung. Aber gewaltig zu verdüstern schienen sich die Aussichten für den Tischtennis-Erstligisten in diesem Moment schon. Filip Zeljko war bereits die letzte Hoffnung für das Heimpublikum in der Partie gegen den ASV Grünwettersbach, nachdem zunächst der sehnlichst erwartete Japaner Yukiya Uda seine Premiere im TSV-Trikot gegen den Abwehrroutinier Wang Xi mit 0:3 vermasselt hatte und dann auch noch Kilian Ort dem coolen Tiago Apolonia unterlegen war, ebenfalls in 0:3 Sätzen, trotz eines guten Starts mit 10:7-Führung. Und dann begann sich auch noch Zeljko in die unerfreuliche Dramaturgie dieses Abends einzufügen.

Immerhin hatte der Kroate den ersten Satz des Abends für seinen Verein überhaupt gewonnen zum 1:1 gegen den formstarken Ricardo Walther (den der Deutsche Tischtennis-Bund gerade für die am 30. September beginnende Team-WM in China nominiert hat); und bei einem Vorsprung von 9:6 im dritten Durchgang hatte Zeljko sogar die allererste kleine Führung vor Augen. Dann aber schoss er einen einfachen Ball, der lange in der Luft war, weil sein Kontrahent in die Ballonabwehr zurückgewichen war, deutlich neben den Tisch - und drosch gleich hinterher noch einen Topspin auf einen einladend hohen Return ins Aus. 9:8, der Satz war plötzlich wieder offen - und ging letztlich an Grünwettersbach.

Für die Gastgeber ergab sich daraus folgende Situation: Nach einer unglücklichen 2:3-Niederlage zum Saisonauftakt gegen Werder Bremen und einem 1:3 in Ochsenhausen steuerte der TSV schnurstracks auf die dritte und bislang deutlichste Niederlage im dritten Spiel zu, wozu den Gästen ja nur noch ein einziger Satzgewinn fehlte. Und mit dieser Pleite im Gepäck müsste er dann am kommenden Montag (19 Uhr) zum bayerischen Derby beim TTC Neu-Ulm antreten, der aus vier talentierten jungen Russen auswählen, aber ganz nach Lust und Laune auch Truls Moregardh, Lin Yun-ju oder Dimitrij Ovtcharov aufbieten kann, obgleich er sich diese Stars vor allem für Pokal und Champions League geleistet hat. Dort hätte sich die Lage dann also durchaus zu einem Katastrophensaisonstart von 0:8 Punkten für die Unterfranken auswachsen können. Dabei hatte der TSV Bad Königshofen gleich nach Udas Verpflichtung eher von einem Playoff-Platz für die neue Saison geträumt.

In seinem zweiten Einzel für den TSV zeigt der Japaner Uda sehr deutlich, worauf sich die Fans künftig freuen können

Ein klitzekleiner Abgrund war es also vielleicht doch, an dem sie da entlangwanderten, auch wenn es erst der dritte Spieltag war. Aber nach gut 57 Minuten Spieldauer war es eben nicht Walther, sondern Zeljko, 25, der mit einem Urschrei seinen 3:2-Sieg bejubelte; der das Publikum noch einmal mitnahm zu einer spannenden Aufholjagd, die dem TSV am Ende doch noch den ersten Heimsieg und große Erleichterung brachte. Den Gästen blieb "Fassungslosigkeit", wie sie später auf Facebook schrieben, und der Ärger über eine chaotische Spielunterbrechung nach einem vermeintlichen Fehlaufschlag Apolonias im vierten Einzel gegen Uda, nach dem die Schiedsrichter lange keine nachvollziehbare Entscheidung zuwege brachten.

Für den TSV Bad Königshofen fügte sich fortan dagegen einiges. Uda, die aktuelle Nummer 22 der Welt, zeigte in seinem zweiten Einzel, dem von der Schiedsrichterdebatte etwas überschatteten Duell mit Apolonia, doch noch, dass sich das Publikum sehr zu Recht auf ihn gefreut hat. Während man gegen Wang Xi beobachten konnte, dass der 21-Jährige kaum Erfahrung gegen Abwehrspieler hat, zeigte er gegen Apolonia sein ganzes Potential, seine explosive Athletik, er verbog sich in allen erdenklichen Winkeln zu kaum für möglich gehaltenen Gewinnschlägen, die den 2:2-Ausgleich brachten. Hinterher erklärte er, dass er doch Druck verspürt habe in seinem ersten Spiel in Deutschland, dass er diese frenetische Unterstützung der Fans aus Japan so nicht kenne und dass er dringend besser Englisch lernen wolle, was eine Verständigung während des Disputs mit Apolonia erleichtert hätte. Beide zeigten später eher durch Körpersprache, dass sie einander nicht gram waren.

Das Schlussdoppel wurde dann sogar zu einer deutlichen Angelegenheit für die Königshöfer. 3:0 setzten sich Ort und Martin Allegro gegen Wang/Walther durch. Wegen einer Fußentzündung kann Ort aktuell nur eingeschränkt trainieren, ihm fehle jedes Selbstvertrauen, hatte er seinem Trainer während der Niederlage gegen Apolonia mitgeteilt. Doch im Doppel agierte er äußerst clever, und auch Allegro, der zweite Zugang, überzeugte auf dem Weg zu seinem ersten Erfolgserlebnis. Beim Auftakt gegen Bremen zwei Wochen zuvor hatte der Belgier noch sein Einzel gegen Kirill Gerassimenko unglücklich in der Verlängerung des Entscheidungssatzes verloren, sonst wäre der TSV nämlich nicht mit einer 2:3-Niederlage, sondern einem glatten 3:0-Heimsieg in die Runde gestartet - so eng ging es auch da schon zu. "Jetzt hat es sich bezahlt gemacht, dass wir mit Martin Allegro einen zweiten starken Linkshänder im Kader haben", kommentierte Manager Andreas Albert den Erfolg im Doppel. Außerdem habe man nun doch gesehen, dass der Kader in dieser Saison stärker sei als zuvor. So stark, dass der grippebedingte Ausfall des Routiniers Bastian Steger - mit einigem Glück - kompensiert werden konnte.

Den nächsten Heimspieltermin kann man sich noch nicht merken - es gibt schlicht keinen

Zu verdanken war die Wende allein Filip Zeljko, dem einstigen Nervenbündel, der in seinem siebten Jahr im Klub endgültig "in der Weltklasse angekommen" sei, wie Albert betonte, und der inzwischen auch in engen Situationen wie dieser den Glauben an sich selbst bewahrt. Schon gegen Bremen hatte er mit einem deutlichen 3:0-Erfolg gegen Mattias Falck verblüfft, den ehemaligen WM-Zweiten und EM-Halbfinalisten von München.

Nun also geht es zum TTC Neu-Ulm, der bei seinem 3:1-Heimsieg am vergangenen Montag gegen Grenzau den Weltranglistensechsten Moregardh aufbot. Danach steht noch ein Pokalspiel in Ochsenhausen an. Den nächsten Heimspieltermin können sich die Fans dagegen nicht freihalten - es gibt schlicht keinen. "Wir wissen nicht, wie es weitergeht", sagt Manager Albert. Nicht mal, wann genau die Liga ihre nächsten Termine zwischen WM und Weltcups festlegt, was durchaus ein Problem ist für die Klubs, für die Organisation der Helfer ebenso wie für die Planung der Spieler. Die Aussichten sind nun also nicht mehr gar so düster - aber irgendwie im Nebel.

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