Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Tischtennis-Männer: Schlecht wie vor 31 Jahren

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Von Ulrich Hartmann, Kuala Lumpur/Düsseldorf

Als die deutschen Tischtennis-Männer noch dachten, sie könnten es bei der Mannschafts-WM in Kuala Lumpur erneut mit den Chinesen aufnehmen, da hat der Bundestrainer Jörg Roßkopf von früher erzählt. Aus gegebenem Anlass. Im Jahr 2000 haben die Chinesen zum bislang letzten Mal ein WM-Finale verloren. Gegen Schweden - in Kuala Lumpur. Das könnte ein gutes Omen sein, dachten die Deutschen. Chinesen gelten als abergläubisch. Vielleicht würden sie mit der Erinnerung an die Schmach von einst ja Beklemmungen verspüren . . . ?

Doch dann entwickelten sich die Dinge anders. Dabei spielte China keine Rolle mehr, Schweden aber gleich in doppelter Hinsicht. Weil Deutschlands Bester, Dimitrij Ovtcharov, wegen eines gereizten Rückennervs gar nicht erst mit zur WM reisen konnte, weil Deutschlands Zweitbester, Timo Boll, ein angeschlagenes Knie und überdies eine schwere Erkältung hatte, und weil die anderen vier deutschen Nationalspieler nicht am Limit spielten, haben die deutschen Männer trotz eines 3:2-Sieges gegen Schweden im letzten von fünf Gruppenspielen das Achtelfinale verpasst.

Jetzt spielen sie statt um den Final-Einzug und die China-Herausforderung nur noch um die Plätze 13 bis 20. So schlecht schnitten deutsche Tischtennis-Männer bei einer Mannschafts-WM zuletzt vor 31 Jahren ab. 1985 wurden sie 17. in Göteborg.

Frauen machen es besser

Trost kam am Mittwoch unerwartet durch das deutsche Frauen-Team, das das letzte Gruppenspiel gegen den Mitfavoriten Japan mit 3:2 gewann. Die stark auftrumpfende Weltcup-Dritte Petrissa Solja (Berlin) holte zwei Punkte, und Kristin Silbereisen (Kolbermoor) bezwang im letzten Einzel Japans Star-Spielerin Ai Fukuhara. Als Gruppendritte hinter den punktgleichen Teams aus Japan und Nordkorea qualifizierte sich die Auswahl von Bundestrainerin Jie Schöpp fürs Achtelfinale.

Tristesse hingegen bei den Männern. Dreimal nacheinander hatten die Deutschen zuletzt bei der Mannschafts-WM den Einzug ins Endspiel (2010, 2012, 2014) geschafft und erst dort gegen die Chinesen verloren. Deutschland behauptete lange eine feste Position im globalen Tischtennis: zu schwach für die Chinesen, aber stärker als der Rest. Das sicherte der Mannschaft dauerhaft den zweiten Platz im globalen Ranking und damit die Gewissheit, bei den großen Turnieren aufgrund der Setzliste erst im Endspiel auf die übermächtigen Chinesen zu treffen.

Eine niedrigere Platzierung aufgrund der jüngsten Ergebnisse könnte das deutsche Ziel gefährden, im Sommer in Rio wie schon 2008 in Peking (Silber) und 2012 in London (Bronze) eine olympische Medaille zu gewinnen. Doch Roßkopf hat vorausgerechnet: "Wir werden unseren Setzplatz zwei wohl trotzdem behalten. Und ab Ende Mai gehen wir in eine sehr intensive Olympia-Vorbereitung."

Die WM-Enttäuschung aber konnte dieser Blick voraus nicht therapieren. "Wir sind ernüchtert", sagte Sportdirektor Richard Prause. Roßkopf erklärte: "Das Ergebnis wird unserem Anspruch nicht gerecht, auch wenn unsere beiden Spitzenleute nicht zur Verfügung standen." Er fügte an: "Die Qualität der übrigen Spieler ist eigentlich hoch genug, aber sie haben nicht ihre beste Leistung abgerufen und sind teilweise mit der Drucksituation nicht fertig geworden."

Bastian Steger und Ruwen Filus erzielten mit einer 4:2-Bilanz als einzige eine positive Quote. Patrick Franziska (1:1), Steffen Mengel (1:2) und der kranke Timo Boll (1:2) enttäuschten. Siegen gegen Dänemark, Malaysia und Schweden standen Niederlagen gegen Frankreich und England gegenüber. Am Ende reichte es in der Sechsergruppe nur zu Platz vier.

Ovtcharov lässt sich nicht irritieren

"Das ist hart, ein Schock", sagte Ovtcharov im heimischen Düsseldorf, nachdem er auf der Internetseite des Weltverbands die Live-Übertragung des Schweden-Spiels angesehen hatte. Für die kommenden großen Aufgaben, Olympia in Rio und die Einzel-WM Ende Mai 2017 in Düsseldorf, lässt sich Ovtcharov aber nicht irritieren. "Unsere Erfolge standen und fielen mit der Form von Timo und mir", sagt er unbeirrt. "Und wenn wir fit sind und unser Potenzial abrufen, sind wir hinter China das einzige Team mit zwei Top-Ten-Spielern." Fünf Monate haben er und Boll nun noch Zeit, um für Rio wieder fit zu werden.

Nach den Niederlagen in den EM-Finals 2014 gegen Portugal und 2015 gegen Österreich sowie der Enttäuschung bei der WM ist das deutsche Männer-Team allerdings zurück auf einem Boden unangenehmer Tatsachen. Denn nur wenn Ovtcharov und Boll fit sind, gehört das deutsche Tischtennis zur Weltspitze. "Nach dem WM-Ergebnis müssen wir uns brav hinten anstellen, bevor wir wieder irgendwann über eine Medaille reden dürfen", sagt Roßkopf.

Weil aber die Zeit von Boll, 35, in der Weltspitze knapp wird, und weil Ovtcharov, 27, seinen Zenit erreicht haben dürfte, sieht es auf lange Sicht nicht so aus, als könnten sich die Deutschen weiter ernsthaft mit den Chinesen messen. "Wir sind verwundbarer geworden", so Roßkopf.

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SZ vom 03.03.2016
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