Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Duell mit dem Spiegelbild

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Der stark ersatzgeschwächte TSV Bad Königshofen unterliegt Bergneustadt - aber ein spektakulärer Auftritt von Kilian Ort soll Auftrieb geben.

Von Andreas Liebmann

In einer Welt für Sportromantiker würde es wohl meistens so laufen wie bei Benedikt Duda. Mit neun Jahren begann er in jenem Verein, für den er heute noch antritt, mit dem Tischtennisspielen. Sein Vater und sein Bruder stehen dort ebenfalls an der Platte, sind Sportwart und Pressewart. Eine Tischtennisfamilie. Mit Benedikt Duda stieg der Verein 2014 in die erste Liga auf. Der 27-Jährige ist Fixpunkt und Identifikationsfigur des TTC Schwalbe Bergneustadt im Bergischen Land, nebenbei wurde er Nationalspieler, deutscher Einzelmeister, Team-Europameister und gewann Olympia-Silber. Es gibt kaum einen anderen Profi in der Tischtennis-Bundesliga (TTBL), der es mit seinem Jugendverein so weit nach oben geschafft hat.

Kilian Ort stand am Sonntag, wenn man so will, also einer Art Spiegelbild gegenüber. Ort ist 25, auch sein TSV Bad Königshofen ist gewissermaßen mit ihm und für ihn gewachsen, bis hinauf in die TTBL. Schon Orts Vater spielte hier in der Jugend. 2017 stieg der Verein aus dem unterfränkischen Örtchen dann in die erste Liga auf. Das Publikum, das ihm hier beim Großwerden zusah, kommt vor allem seinetwegen. Zwei ziemlich einmalige TTBL-Geschichten.

Kilian Ort allerdings war bisher mit der Mannschaft nur Schüler-Europameister, spielte bei den Olympischen Jugendspielen, bislang fehlt immer noch eine Kleinigkeit, um auch bei den Männern international das zu erreichen, was ihm Trainer und Fans zutrauen. Seit geraumer Zeit schon hindern ihn hartnäckige Fußprobleme, früher war es mal lange die Schlagschulter. In der Liga hat er schon allerhand Topspieler bezwungen, und im vergangenen August stand er erstmals auch in einem WTT-Weltcup-Finale. Aber durch die wiederkehrenden Handicaps steht er nach wie vor jenseits der Top 100 der Weltrangliste, wegen der Fußverletzung fehle ihm "die Grundsicherheit", sagt er, und dadurch auch Selbstvertrauen.

Trainersohn Akito Itagaki hilft aus - er kommt aus der vierten Liga und ist gerade 16 geworden

"Es ist der Kopf", sagt sein Teammanager Andreas Albert, der natürlich auch beobachtet, wie verunsichert das Eigengewächs des Vereins zuletzt daherkam nach einem eigentlich guten Saisonstart. Es waren, um es ganz kurz zu machen, nicht die idealen Bedingungen, um am Sonntag gegen Bergneustadt als Nummer eins aufgestellt zu werden, um gegen Duda einen 0:2-Satzrückstand aufholen zu müssen oder im vierten Satz vier Matchbälle gegen sich zu haben. Aber man kann Bedingungen auch trotzen. Und das gelang Ort an diesem Tag auf spektakuläre Art.

Für die ganze Mannschaft waren die Voraussetzungen bescheiden. Nur einen Sieg hatte Bad Königshofen aus den zurückliegenden vier Spielen geholt. Dann fing sich ihr Anführer Bastian Steger eine Corona-Infektion ein, Maksim Grebnev eine Knöchelverletzung. Auch Duda war zwar zuletzt positiv auf das Coronavirus getestet worden, aber rechtzeitig wieder einsetzbar, um jene Siegesserie fortzusetzen, mit der sich die lange schwächelnden Bergneustädter zuletzt in der Tabelle emporgearbeitet hatten.

Kilian Ort lag dann bereits im ersten Einzel gegen Alberto Mino 1:2 in Sätzen zurück, keine Schande als Nummer 147 der Welt gegen die 76. Aber Ort kann eben mehr - und zeigte das dann auch, bog die Partie um. Und später, als sein dezimiertes Team 1:2 zurücklag und er die ersten Sätze gegen Duda 5:11 und 7:11 verloren hatte, da gelang es ihm erneut, sich zu steigern. Ein paar unterschnittene Blockbälle streute er ein, für die man enormes Gefühl braucht, und gerade nach dem 7:10 im vierten Satz, als Duda seine Matchbälle hatte, da zeigte Ort sein Potential: riskanter Vorhandflip, brachialer Vorhand-Topspin aus der Rückhandecke, krachende Rückhand diagonal - alles kam. Im Schlussdurchgang ging es so weiter, selbst einen nahezu unerreichbaren Netzroller Dudas fischte der Jüngere irgendwie noch heraus, und er punktete danach mit einem anatomisch kaum noch möglichen Rückhandblock. 11:2 hieß es am Ende, Orts letzter Ball trudelte auch noch an die Tischkante. "Das wird mir hoffentlich Auftrieb geben", sagte er danach. Auf 6:6 hat er seine Bilanz verbessert, gar nicht so schlecht in der stärksten Liga Europas, in der ihn fast nur Top-20-Spieler bezwangen.

An diesem Mittwoch gastiert Bad Königshofen in Grenzau - es ist fraglich, ob wenigstens Steger bis dahin genesen ist

Dummerweise reichte Orts Meisterleistung nicht zum Sieg gegen Bergneustadt, sondern nur zu einem achtbaren 2:3, weil Filip Zeljko Alvaro Robles unterlag und der dritte Mann, mit dem Zeljko auch das Schlussdoppel verlor, Trainersohn Akito Itagaki, nun mal aus der vierten Liga kommt und gerade 16 geworden ist. An diesem Mittwoch gastiert Bad Königshofen beim Tabellenletzten Grenzau, und es ist fraglich, ob wenigstens Steger bis dahin genesen ist.

Akito Itagaki übrigens war zehn, als sein Vater Koji die Familie aus Japan nachholte, um in Bad Königshofen zu leben. Er hat noch zwei jüngere Geschwister, vor allem seine kleine Schwester Koharu mischt gerade bei den Mädchen alles auf. In der Nacht vor seinem Erstliga-Debüt habe er kaum geschlafen, erzählte er später. Manager Alberts Auftrag, sein Match gegen Duda "einfach zu genießen", konnte er vermutlich erst erfüllen, als von den Rängen erste "Akito"-Sprechchöre kamen. 4:11, 2:11, 5:11 - ein paar hübsche Punkte gelangen ihm. Die Zuschauer haben auch ihn hier aufwachsen sehen, und er hat ja noch Zeit. Wer weiß: Vielleicht kann es der Junge, der sich für die inzwischen seltene asiatische Penholder-Griffhaltung entschieden hat, hier eines Tages ebenfalls zu einem Erstliga-Stammspieler schaffen. Als nächster Spross aus einer Bad Königshöfer Tischtennisfamilie.

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