Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Die Leise aus Henan

Lesezeit: 4 min

Wie die in Australien lebende Chinesin Liu Yangzi zum TSV Schwabhausen kam - und was die 19-Jährige für die Ambitionen des Erstligisten bedeutet.

Von Andreas Liebmann

Ursel quietschte. Es sprach auch nichts dagegen, dass sie das tat, im Gegenteil: Meistens ist das ein gutes Zeichen. Vielleicht sollte man erwähnen, dass Ursel nicht ihr echter Name ist, nur Alexander Yahmed hatte anfangs mal im Scherz gesagt: "Ich werde sie Ursel nennen." Damals, als der Trainer des TSV Schwabhausen nach dem Namen der Neuen gefragt wurde und nicht sicher war, wie man Orsolya Feher ausspricht. Inzwischen wissen das alle beim Tischtennis-Erstligisten, weshalb sie nun doch niemand Ursel ruft, und sie wissen auch, was sie an ihr und ihrer ungarischen Teamkollegin Mercedesz Nagyvaradi haben, die beide vor eineinhalb Jahren kamen.

Orsolya Feher jedenfalls feuert sich gerne mit Jubellauten an, die knapp an der Ultraschallfrequenz vorbeischrammen, und so intonierte sie am vergangenen Samstag gegen Böblingen mit oft geballter Faust gleich zwei glatte Einzelsiege, gegen Mitsuki Yoshida und Alexandra Kaufmann, womit sie nicht unwesentlich dazu beitrug, dass ihr Klub gegen das Tabellenschlusslicht aus einem 0:3-Rückstand einen 6:4-Sieg machte.

Liu Yangzi quietscht nicht. Das hat weniger damit zu tun, dass die 19-Jährige am Samstag beide Spiele verlor, sondern eher damit, dass die junge Chinesin introvertierter ist, an der Platte noch mehr als im echten Leben. Sie hatte es schwer gegen Böblingen. Da war zunächst das Duell mit Annett Kaufmann (quietscht), dem 15-jährigen Top-Talent, das in seiner Altersklasse an Position zwei der Weltrangliste steht und kürzlich die jüngste U21-Europameisterin der Geschichte wurde. Und dann die Partie gegen die unverwüstliche Abwehrspielerin Qianhong Gotsch, 53.

"Sie hat einiges auf sich genommen für ihren Sport", weiß Teamkollegin Winter

Kaufmann habe einfach besser gespielt, gab Liu später zu und zeigte ein Zahnspangenlächeln. Tatsächlich hatte die zierliche Chinesin all ihre Stärken eingebracht, viele wuchtige Attacken platziert und druckvoll gekontert, am Ende aber traf und jubelte die Jüngere ein paarmal zu oft. Und gegen Gotsch, da habe sie oft nicht gewusst, welcher Effet auf sie zukam. Zum Trost müsste man ihr sagen: Das ist schon ganz vielen vor ihr passiert. Gotsch, soweit war das auch Liu bekannt, war schließlich mal chinesische Nationalspielerin. Also ziemlich genau das, was Liu niemals hätte schaffen können, aber so gerne gewollt hätte - weshalb sie nun also in Australien lebt.

Inzwischen haben sie so einiges in Erfahrung gebracht über Liu, die ja doch sehr unverhofft und spontan zum Team gestoßen war; von der Coach Yahmed zu Saisonbeginn nicht wusste, ob sie überhaupt je zum Einsatz käme; die sie auf Position eins in ihrer Rangliste führen und die nun doch gleich vier Vorrundenspiele mitgemacht hat. Von Deutschland aus hat Liu zuletzt gemeinsam mit drei männlichen Nachwuchsspielern internationale Turniere gespielt, sie hat in dieser Zeit mal in Bad Aibling, mal in Düsseldorf, mal in Schwabhausen trainiert und eben vier Ligaspiele bestritten.

Mit sieben kam sie aus der Provinz Henan nach Shanghai, ging in eine Schule, der üblicherweise keine Nationalspielerinnen entspringen, sondern eher Spielerinnen, die den Besten zuarbeiten sollen, etwa durch Spielanalysen. So hat sie es Sabine Winter erklärt. Jedenfalls verließ der Teenager seine Heimat, startete anfangs bei Turnieren für Portugal, wo es aber kompliziert war, an den erhofften Pass zu kommen. Zog dann nach Australien, wo zwei ihrer Cousins leben. "Sie hat einiges auf sich genommen für ihren Sport", sagt Winter, "ihre Eltern hat sie seit zweieinhalb Jahren nicht gesehen."

Liu hofft auf die Olympischen Spiele 2032 im australischen Brisbane

Vorerst geht es nun zurück nach Down Under. Sie hoffe, ihre Mutter bald treffen zu können, erzählt Liu, und mit dem australischen Pass sehe es jetzt gut aus: Vor den nächsten Commonwealth Games Ende Juli will sie ihn haben. 2032 finden die Olympischen Spiele im australischen Brisbane statt, die seien ihr Ziel. Dafür baut ihr künftiger Verband gerade ein professionelles Tischtennisteam auf. Dass es noch viel zu tun gibt für Liu, die bis dahin möglichst viel in Europa spielen will, hat man gegen Böblingen gesehen. Zuvor war sie in vier Einzeln ungeschlagen.

Die wahre Nummer eins wäre eigentlich immer noch Sabine Winter, Rangliste hin oder her. Auf 12:1 hat die 29-Jährige ihre Siegbilanz am vergangenen Wochenende ausgebaut. Gegen ihre langjährige Angstgegnerin Gotsch gab sie nur einen, tags darauf gegen Kolbermoors Spitzenspielerin Kristin Lang gar keinen Satz ab. Nur gegen die beeindruckend aufspielende Yuan Wan hatte sie beim überraschenden 6:3-Derbysieg in fünf Sätzen hart zu kämpfen.

Liu Yangzi verlor am Sonntag gegen Wan auch noch ihr drittes Einzel in Serie - bewies dann aber beim Erfolg gegen Lang in vier äußerst umkämpften Sätzen Nervenstärke. "Ein Wahnsinnsspiel", schwärmte Yahmed.

Was das alles für Schwabhausens Ambitionen bedeutet? Mit 11:3 Punkten hat der TSV die Vorrunde als Dritter abgeschlossen, trotzdem, sagt Yahmed, sei er erst einmal froh, mit viel Vorsprung vor einem Abstiegsplatz zu überwintern. Lius Einsätze waren doppelt wertvoll, wie eine Art Booster fürs ganze Team, weil sie selbst im vorderen Paarkreuz punktete, Mateja Jeger damit aber ins hintere Paarkreuz rutschte. "Dort ist sie eine Bank", sagte Winter am Samstag, noch nicht ahnend, dass die Kroatin ihr perfektes Wochenende tags darauf mit einem 3:0 gegen Kolbermoors Svetlana Ganina krönen würde, die dort hinten noch ungeschlagen war. "Das war für mich die stärkste Leistung", bilanzierte Yahmed. Und für die Position vier hatte der Coach zuletzt reiche Auswahl: Nagyvaradi (wie gegen Kolbermoor), Feher oder Alina Nikitchanka standen bereit.

Ob oder wann Liu zurückkehrt, ist nun unklar. Sie versuche auch in der Rückrunde zu kommen, sagte sie lächelnd. Sicher sei es nicht. Das Team wäre damit wieder stärker - sollte es nicht klappen, muss es sich aber auch mit Feher und den anderen nicht fürchten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5492931
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.