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Tennisspieler Andy und Jamie Murray:Einer ist Nationalheld, einer fährt U-Bahn

Lesezeit: 2 min

Von Lisa Sonnabend

Die Rückenmuskulatur spannt, Andy Murray schnauft heftig, stöhnt fast. Doch der Tennisspieler macht keine Pause. Er tritt weiter auf dem Stepper, ja, er rennt fast. Andy Murray hat das Video, wie er im Kraftraum schuftet, selbst ins Internet gestellt - die Botschaft ist eindeutig: Seht her, wie wichtig mir dieser Wettbewerb ist! Von Freitag an tritt Andy Murray mit Großbritannien im Davis-Cup-Finale gegen Belgien an, erstmals seit 1936 könnte die Nation den Mannschaftswettbewerb gewinnen. Doch für Andy Murray steht noch aus einem weiteren Grund ein ganz besonderes Wochenende an. Der 28-Jährige könnte nicht nur Sportgeschichte schreiben, sondern auch eine ganz persönliche Familiengeschichte.

Der Weltranglistenzweite wird aller Voraussicht nach neben den zwei Einzelpartien auch im Doppel spielen - und zwar an der Seite seines 15 Monate älteren Bruders Jamie. Es könnte also ein Geschwisterpaar aus Schottland sein, das nach 79 Jahren den Davis-Cup-Pokal ins Königreich holt. Andy Murray hat in seiner Karriere das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon gewonnen und bei Olympia 2012 in London Gold geholt. Der Triumph im Davis Cup wäre für ihn der dritte lebensprägende Titel.

Andy Murrays unglaubliche Bilanz

In der vergangenen Woche hatte Andy Murray noch am ATP-Finale in London teilgenommen, bei dem die besten acht Spieler des Jahres um Weltranglistenpunkte und viele Millionen kämpfen. Doch der Brite war in Gedanken längst beim Davis-Cup-Showdown in Gent. Er hatte sich auf Sand auf das Hallenturnier vorbereitet, da die Belgier diesen Belag für das Finale gewählt haben. Wenig überraschend schied Andy Murray in London dann früh aus - er hat zum Jahresabschluss andere Prioritäten gesetzt.

Der Druck, der an diesem Wochenende auf ihm lastet, ist nun enorm. 25 Siege, nur zwei Niederlagen - so lautet Andy Murrays unglaubliche Bilanz im Davis Cup. Nur wegen seiner starken Leistungen schlug Großbritannien im Wettbewerb erst die USA, dann auch noch Australien und Frankreich und erreichte das Finale. "Ich denke, wir sind die Favoriten", sagte Bruder Jamie am Montag bei einer Pressekonferenz und schob hinterher. "Der Grund ... well ..., wir haben ihn im Team." Er zeigte auf ein Bild von Bruder Andy.

Vom Aussehen ähneln sich die Brüder sehr. Beide sind 1,90 Meter groß, haben gekräuselte dunkle Haare, die langsam weniger werden. Sie haben den gleichen, leicht schlurfenden Gang. Doch Jamie ist kein Nationalheld wie sein Bruder, sondern Doppelspezialist. Er hat keine 3,5 Millionen Fans auf Facebook, sondern kann in London unerkannt Tube fahren. Im Tennismuseum in Wimbledon sind die Socken ausgestellt, die Andy Murray bei seinem Triumph 2013 trug - sein Bruder wird in den Räumen nirgendwo erwähnt.

"Andy beruhigt mich auf dem Platz"

Als Junior galt Jamie Murray als eines der großen Talente im britischen Tennis. Da er den Durchbruch allerdings nicht schaffte, konzentrierte er sich aufs weniger prestigeträchtige Doppel. Damit hat er zunehmend Erfolg. In Wimbledon und bei den US Open erreichte er in diesem Jahr mit seinem australischen Partner John Peers jeweils das Finale, bis auf Platz sieben in der Doppel-Weltrangliste hat er sich vorgearbeitet.

Und Jamie Murray hat seine Rolle im Davis-Cup-Team gefunden. Zwei Mal trat er in diesem Jahr mit seinem berühmten Bruder an, sie gewannen beide Matches. Für die Murrays sind das besondere Partien. "Andy beruhigt mich auf dem Platz", sagt Jamie Murray. Der berühmte Bruder meint, es sei ein großer Vorteil, zusammen zu spielen, weil sie ihre Stärken und Schwächen so gut kennen. Andy Murray sagt aber auch: "Von der psychologischen Seite her ist es vertrackt, weil es furchtbar anzusehen ist, wenn dein Bruder mit sich hadert. Du versuchst dann alles, um ihm zu helfen." Das lenke manchmal ab.

Doch Andy Murray weiß auch: Sollte Großbritannien tatsächlich den Davis Cup gewinnen, wird es wohl ein unbeschreibliches Gefühl sein, dies gemeinsam mit dem Bruder im Team erreicht zu haben, Arm in Arm jubeln zu können. Womöglich schöner als ein Wimbledon-Triumph.

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