Süddeutsche Zeitung

Tennis:Sogar McEnroe schwärmt vom Südtiroler

Lesezeit: 3 min

Fast jedes Turnier will sich neuerdings mit dem größten Talent der Branche schmücken: Jannik Sinner aus dem Pustertal erlebt einen rasanten Aufstieg.

Von Gerald Kleffmann, Rotterdam/München

Die Geschichte von Jannik Sinner, 18, ist eine dieser Geschichten, in der eine Weggabelung eine große Rolle spielt. Ski oder Tennis? Vor dieser Frage stand der junge Mann aus Südtirol einst. Im Pustertal ist Sinner aufgewachsen, Skifahren ist dort der Sport Nummer eins, wie er einmal sagte. Vormittags zur Schule, dann auf den Hang. Italienischer Meister war er mit acht Jahren, mit zwölf immer noch Zweiter bei den nationalen Wettkämpfen. Nicht nur er wusste: Wenn man in Südtirol spitze ist im alpinen Skirennsport, ist die Chance hoch, dass man es auch international ist. Im Tennis? Ist es eher umgekehrt, zumindest aber heißt es erst mal wenig, wenn man in der Alpenregion gut den Schläger schwingt. "Die italienische Sensation", so präsentiert die Männertour ATP heute Sinner der Tenniswelt, und auch wenn das natürlich ein Marketing-Spruch ist: Da ist was dran. Sinner ist ein Sportler, den es in so jungen Jahren lange nicht gab. Lange ist keiner binnen zwei Jahren so nach oben durchmarschiert. Was wohl passiert wäre, hätte er sich mit 13 für Ski und nicht für Tennis entschieden?

Sinner fragt sich das nicht mehr wirklich, er weiß: Er hat keinen Tag bereut, sich für den Ballsport entschieden zu haben. Etwas anderes würde man auch nicht vermuten bei einem Profi, der vor zwei Jahren nicht in der Weltrangliste geführt wurde. Sein erstes Ranking datiert auf den 12. Februar 2018 - 1592. war er damals. An diesem Dienstag bestreitet Sinner beim ATP-Turnier in Rotterdam als 79. der Weltrangliste die erste Runde (gegen Radu Albot aus Moldawien), er erhielt eine Wildcard. Ihn will quasi jedes Turnier haben. Die italienische Sensation. Auch München warb gerade mit seiner Verpflichtung für das Turnier Ende April, mit euphorisiertem Tonfall, klar. Dabei ist Sinner übrigens, so ist das oft mit Überhöhungen, ein äußerst höflicher, bodenständiger, gelassener Mann. Er habe einen alten Kopf auf jungen Schultern, heißt es in der Branche.

Auch Federer findet Sinner "einen aufregenden Spieler"

Für einen wie den ehrgeizigen Fußballtrainer Julian Nagelsmann wäre Sinner ein Traum. Denn er bleibt nicht vor dem Erreichen des letzten Ziels stehen und dreht um, sondern marschiert weiter und weiter, in sich ruhend. Jahrgang 2001 ist Sinner, keiner ist jünger in den Top 100, aber er hat schon diverse Gipfelkreuze eingesammelt, im Eiltempo. Zwischen Ende 2018 und Ende 2019 gewann er Matches bei ITF-Turnieren der 15 000-Dollar- und 25 000-Dollar-Kategorie. Dann auf der Challenger Tour. Dann bei ATP-Turnieren der 250er-, 500er-, 1000er-Kategorie. Dann in der Qualifikation eines Grand Slams. Und in der ersten Runde eines Grand Slams, jüngst bei den Australian Open. Überdies erhielt er im November 2019 eine Wildcard für das Next-Gen-Finale der besten Talente in Mailand - und holte sich den Titel, im Finale besiegte er den Australier Alex de Minaur. Dabei ist er noch einer aus der Next-next-Gen-Reihe. "Jannik ist einer der talentiertesten Spieler, die ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe", ordnete ihn John McEnroe ein, der sonst gern Dinge kritisiert: "Er ist körperlich sehr begabt und hat ein seltenes Talent." Allein die schlangenhaft verschnörkelte, harte Vorhand ist eine Attraktion.

Sinner besitzt die Fähigkeit, "den Punkt machen zu wollen", er warte nicht "auf Fehler des Gegners", hebt Riccardo Piatti hervor. Der 61-Jährige aus Como, eine Trainerlegende, kann das beurteilen. Der knurrig aussehende, aber hochempathische Mensch betreut Sinner, seitdem der als 13-Jähriger zu ihm in die Akademie in Bordighera bei San Remo kam. Der gestandene Profi Andreas Seppi, ein Bozener, hatte die zwei zusammengebracht. Piatti, der schon Novak Djokovic coachte und sich nun auch um die Russin Maria Scharapowa und den Kroaten Borna Coric kümmert, brachte Sinner in der Familie eines seiner Trainer unter. Sinner schätzte dort das Heimelige, er hatte in der Fremde zwei neue Geschwister und einen Hund, unaufgeregt konnte er sich entwickeln, fern von Hypes, die ihn nun aber immer öfter umgeben. Als Sinner im Mai 2019 erstmals ein Match der Masters-Serie in Rom gewann und sie ihn fast auf Schultern aus der Arena trugen, analysierte er nüchtern sein nächstes Duell mit Stefanos Tsitsipas. Er wolle in dieser Partie gegen den sportlich reiferen Griechen "verstehen lernen, wie hoch dessen Level ist und wo ich stehe". Die Aufregung überlässt Sinner lieber anderen.

Seine Qualitäten sind einer der Gründe, warum Größen wie Roger Federer und Djokovic häufig mit ihm trainieren. Die Fehlerquote, bei Jüngeren ja tendenziell höher, ist bei ihm niedrig. Natürlich ist Sinner längst bei einer renommierten Agentur unter Vertrag, Starwing betreut auch Stan Wawrinka, den dreimaligen Grand-Slam-Sieger. "Für Italien ist es ein großer Moment im Tennis", sagte Sinner 2019, er bezog sich auf Fabio Fognini, Matteo Berrettini, Lorenzo Sonego. Sich selbst schloss er nicht explizit ein in diesen Kreis, aber andere tun es. "Wir werden noch so viel mehr von ihm sehen", ist Federer sicher. "Er ist ein aufregender Spieler und ein super Junge."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4792357
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.