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Tennis:Die Kevin-Costner-Methode

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Nach dem Sieg über Serena Williams besteht Ajla Tomljanovic die nächste Nervenprobe: Sie wehrt gegen Ljudmila Samsonowa acht Satzbälle ab und steht nun im Viertelfinale der US Open.

Von Jürgen Schmieder, New York

Kevin Costner hat ein paar tolle Baseball-Filme gedreht, über diese Sportart, die so wunderbar als Metapher fürs Leben taugt. In For the Love of the Game liefert er eine Erklärung dafür, warum es bei großartigen Athleten oft simpel, ja fast naiv wirkt, wenn sie Floskeln wie "nur an den nächsten Punkt denken", "nur mein Spiel spielen" oder "alles geben" bedienen. Der von ihm gespielte Werfer ist dabei, ein perfektes Spiel zu liefern, doch plötzlich denkt er an alles andere: die Größe des Augenblicks, sein komplettes Leben. Was er tut: Er konzentriert sich nur noch auf den Handschuh des Fängers - dorthin, wo der Ball fliegen muss.

"Du musst heute Kevin Costner sein": Das hatte Ratko Tomljanovic seiner Tochter Ajla vor der Partie gegen Serena Williams gesagt. Ratko Tomljanovic war Handballspieler, Kapitän der kroatischen Nationalmannschaft. Er weiß also, dass diese oft hohl klingenden Aussagen keineswegs nichtssagend sind, sondern eine treffende Beschreibung dessen, was Sportler bisweilen tun müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen: im Moment sein, alles aufs Wesentliche reduzieren.

Schon in Wimbledon stand sie im Halbfinale

Das half Ajla Tomljanovic gegen Williams; es half ihr auch am Sonntagabend gegen die Russin Ljudmila Samsonowa, als sie acht Satzbälle der Gegnerin im ersten Durchgang abwehrte, im Tie-Break gewann und danach nur noch der nervlichen Anspannung Samsonowa beiwohnte. Tomljanovic ist eine richtig gute Tennisspielerin, das weiß sie, das wissen alle; aber es gibt da eben, wie die Australierin über sich selbst sagt, die "böse Ajla": eine, die über alles nachdenkt, alles hinterfragt, die sich über gestern ärgert und über morgen Sorgen macht. Eine, die aufgrund all der Ablenkungen oft vergisst, wohin der Ball fliegen muss.

Ihre Karriere hat sie auf Platz 38 der Weltrangliste geführt, was eine fantastische Leistung ist; aber eine, mit der Tomljanovic selbst nicht zufrieden ist. Sie sah sich als eine der besten zwanzig Spielerinnen der Welt, vielleicht sogar Top Ten, und nun, im Alter von 29 Jahren und mit der Kevin-Costner-Methode, da funktioniert es: Viertelfinale in Wimbledon, nach dem 7:6 (8), 6:0 gegen Samsonowa nun Viertelfinale auch in New York.

"Die letzten 48 Stunden haben viel Energie gekostet, weil viele Leute gratuliert haben und so weiter", sagte Tomljanovic nach der Partie: "Ich musste darauf achten, nicht den Fokus zu verlieren, und der ist: bei Grand-Slam-Turnieren weit kommen." Im Viertelfinale trifft sie auf die Tunesierin Ons Jabeur, die in Wimbledon das Finale erreicht hatte - und es hätte gewinnen müssen. Die davor bei den French Open eine der Favoritinnen war und in der ersten Runde scheiterte. Auch sie gilt als Hochtalentierte, der die Nerven bisweilen Streiche spielen. Es wird also auch ein Duell, bei dem es darum geht, wer was ausblenden und sich aufs Wesentliche konzentrieren kann. Tomljanovic weiß jetzt, das kann seit ihrem Kevin-Costner-Aufritt gegen Williams niemand mehr leugnen, wie man das tut.

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