Süddeutsche Zeitung

Tennis:Puzzeln im Regen

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Nach einem Auswärtssieg zwei Tage zuvor geht der mehr als neunstündige Heimauftakt des TC Großhesselohe am Sonntag daneben - und die knifflige Mannschaftsaufstellung weiter.

Von Thomas Becker

Natürlich schaute Emil Ruusuvuori nicht auf die Uhr. Er wusste auch so: Das wird knapp. Um 15.45 Uhr musste er im Flieger sitzen, nach Schweden, zum ATP-Turnier in Bastad. Doch der Sonntag begann mit herzhaften Regengüssen, so dass der Bundesliga-Heimauftakt des TC Großhesselohe (TCG) gegen TC Blau-Weiß Neuss statt um elf erst um kurz vor zwölf Uhr beginnen konnte. Und dann machte dem jungen Finnen beim Heimdebüt dieser Holländer auf der anderen Seite des Netzes ganz schön viel Ärger. 4:1 führte Ruusuvuori im ersten Satz gegen Botic van de Zandschulp (139 der Weltrangliste), verlor den Faden und den Satz: 4:6. Als er um halb zwei einen letzten Doppelfehler fabrizierte, war auch der zweite Satz weg (6:7) - und ein paar Minuten später auch der Finne. Express-Dusche, Kurz-Interview, Taxi und ab ins Erdinger Moos. Keine 24 Stunden später wird er wieder auf dem Platz stehen. Dabei hatte er einen Turnierstart am Dienstag ausgehandelt, doch da ihm Mikael Ymer zugelost wurde, wird daraus nichts. Denn: Mit Wildcard versehene Schweden müssen in Bastad zwingend montags spielen, warum auch immer. Willkommen in der herrlich unkomplizierten Welt der Tennis-Bundesliga!

Aufsteiger Rosenheim führt sich mit einem 6:0 und einem 3:3 in die erste Liga ein

Nach einjähriger Zwangspause ist sie also wieder da, die deutsche Mannschaftsmeisterschaft. Der TCG ist am Freitag mit einem 5:1 bei Rot-Weiss Köln perfekt gestartet, erlitt aber am Sonntag gegen den zehnfachen deutschen Meister mit dem schönen Namen "Ewige Liebe BW Neuss" einen Dämpfer: 2:4 hieß es nach mehr als neun Stunden und mehreren Regenunterbrechungen. Die Doppel-Spezialisten Andre Begemann und Philipp Oswald hatten abends um acht noch das 3:3 auf dem Schläger, verloren aber im Champions-Tiebreak. Liga-Konkurrent Rosenheim steht nach dem 6:0-Heimsieg gegen Düsseldorf und einem 3:3 in Aachen etwas besser da. Dass die Saison überhaupt gespielt werden würde, sei nicht selbstverständlich gewesen, sagte TCG-Präsident Roland Benedikt: "Das war ein langes Hin und Her. Acht von zehn Klubs waren zunächst dagegen." Wegen Corona, was sonst. Bei vielen Klubs seien Sponsoren abgesprungen, und da auch lange nicht klar war, wie viele Zuschauer zugelassen sein würden, hatten viele wohl Angst um die Klubkasse. Benedikt sagt: "Dank unserer Sponsoren sind wir in der komfortablen Lage, nicht auf Zuschauereinnahmen angewiesen zu sein." 1500 Fans dürften laut Corona-Regeln rein, doch so viele sind es selbst bei Kaiserwetter selten. Gegen Neuss kamen 420 (darunter Großhesselohes Herren-30-Topspieler Tommy Haas), und die bekamen ein paar neue und ein paar alte Gesichter zu sehen.

Der 22-jährige Emil Ruusuvuori, Nummer 76 der Welt, zählt zu den Aufsteigern der Branche. Vor zwei Jahren noch jenseits von Position 400 gelistet und bei Neuss in der zweiten Liga aktiv, hat er sich stetig vorgearbeitet, in Miami Alexander Zverev und im Davis Cup Dominic Thiem geschlagen. Der Finne hat Verwandte in München und freut sich, mit "so viel erfahrenen Spielern hier" ins Rennen zu gehen. Klar steht so einer den Großhesselohern gut zu Gesicht. Klar aber auch, dass für so einen die Weltrangliste im Vordergrund steht. Die Turnierserie demnächst in den USA hat er selbstredend auf dem Plan: "Da hab ich relativ viele Punkte zu verteidigen", sagte der Eilige mit noch nassen Haaren.

"Deutscher Meister wird nicht zwingend der mit dem besten Kader."

Das wöchentliche Aufstellungspuzzle ist Bernard Eßmann gewohnt. Der ehemalige Klubpräsident kümmert sich um die Bundesligamannschaft und weiß jeden Montag, dass er nichts weiß. Vom TCG-Team treten Struff, Philipp Kohlschreiber (verlor in Köln gegen Dustin Brown) und Rudi Molleker beim Turnier in Hamburg an - und Eßmann kann aus TCG-Sicht nur hoffen, dass sie das nicht allzu lange tun. Jedem seiner Spieler gönnt und wünscht er natürlich Erfolg, aber wenn er sich die Auslosung von Struff so ansieht: "Da besteht die Gefahr, dass er weit kommt." So weit, dass Struff beim nächsten Bundesliga-Match am Freitag womöglich unabkömmlich ist. So wie am Sonntag Federico Coria. Der junge Argentinier war gegen Neuss fest eingeplant, schaffte es aber beim Challenger-Turnier in Salzburg ins Finale. Und da Peter Gojowczyk und der Österreicher Jurij Rodionov schon in den USA spielen, rutschten die Oldies Matthias Bachinger, 34, und der gerade erst aus einer Fußverletzung kommende Florian Mayer, 38, von Meldelistenplatz 15 nach. Beide verloren jeweils in zwei Sätzen. Eßmann fasste das Aufstellungsdilemma so zusammen: "Deutscher Meister wird nicht zwingend der mit dem besten Kader, sondern wer in den entscheidenden Momenten Fortune hat. Teilweise ist das Glückssache."

Dass Olympia die Aufgabe nicht einfacher macht, versteht sich von selbst. Großhesselohes neue Nummer eins Jan-Lennard Struff, der freitags gegen Benoît Paire und sonntags gegen Nikola Milojevic gewann, wird kommenden Montag nach Tokio fliegen, wie Kohlschreiber und ein paar andere Großhesseloher. Immerhin ist Emil Ruusuvuori nicht bei Olympia dabei. Nach den vielen Absagen von Top-Spielern hätte er nachrücken können, verzichtet aber lieber auf die Corona-Games: "Die nächsten Olympischen Spiele sind ja schon in drei Jahren." So entspannt kann man das wohl nur mit 22 sehen.

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