Süddeutsche Zeitung

Tennisprofi Lee Duck-hee:Der erste gehörlose Sieger

Lesezeit: 2 min

Von Philipp Schneider

Licht und Schall vermitteln unseren Sinnen Eindrücke von der Welt. In einem Spektrum aus Formen und Farben, beziehungsweise Tönen und Klängen. Beiden gemeinsam ist, dass sie sich ausbreiten über große Strecken. Nur ist der Schall sehr viel langsamer als das Licht. Schall überwindet in einer Sekunde die Distanz von 343 Metern, Licht schafft in dieser Zeit 300 000 000 Meter. Die Grundlinien auf einem handelsüblichen Tennisplatz sind 23,77 Meter voneinander entfernt.

In der Theorie bedeutet dies, dass ein Spieler den Schlag seines Gegners schon nach 0,000000079 Sekunden sieht, ihn aber erst nach 0,023 Sekunden hört. In einem Sport, in dem es stark auf Reaktionszeiten ankommt und darauf, den Schlag des Gegenübers zu antizipieren, könnte man nun meinen, es sei nicht essenziell, das Geräusch zu vernehmen, das entsteht, wenn die Saiten eines Schlägers einen Tennisball deformieren, ihn übers Netz schicken.

Die Geschichte von Lee Duck-hee, geboren in Jecheon in Südkorea, beweist, dass dies nicht stimmt. Akustische Signale werden vom Gehirn schneller verarbeitet als visuelle. Und wäre das Hörvermögen unwichtig beim Tennis, dann gäbe es mehr Spieler seiner Art. Lee besiegte am Montag den Schweizer Henri Laaksonen in Winston-Salem 7:6, 6:1. Seither ist er der erste gehörlose Tennisprofi, der ein Match im Hauptfeld eines ATP-Turniers gewonnen hat. "Ich hätte nie gedacht, dass ich in diesem Spiel durchkomme", sagte er. Lee, 21, ist taub seit seiner Geburt. Er hat sehr lang auf diesen Moment am Montag hingearbeitet. Seit sechs Jahren spielt er auf der Profitour, 2013 war er mit 14 Jahren und zehn Monaten der jüngste Spieler, der Punkte für die ATP-Weltrangliste sammelte. Seine bemerkenswerte Reise führte ihn schon auf Weltranglistenplatz 130.

Deutlichere Handzeichen der Linienrichter wären hilfreich

Vor drei Jahren erschien in der New York Times ein Portrait über Lee, das eine relativierende Sicht auf seine Beeinträchtigung wirft: Gehörlose seien visueller veranlagt als Hörende. Wenn der eine Sinn beeinträchtigt sei, werde ein anderer verstärkt, um die Schwäche zu kompensieren. Lee habe seine Augen geschult, die Ausholbewegung des Gegners tiefenschärfer zu interpretieren. Der Profi Christopher Rungkat sagte nach einer Niederlage gegen Lee, dieser scheine immer zu wissen, wohin er den Ball schlage. "Als würde er meine Gedanken lesen."

Der ehemalige Weltranglistenerste Andy Murray hingegen hat die Bedeutung der Geräusche für sein Spiel hervorgehoben, als er sich mal vom Regen gestört fühlte, der auf das Dach des Arthur Ashe Stadions prasselte. "Wir benutzen unsere Ohren, wenn wir spielen. Sie helfen uns, die Geschwindigkeit des Balls zu ermitteln. Und den Spin, der den Ball bewegt." Martina Navratilova beklagte einst den Lärm der Flugzeuge, die über den Platz flogen. Sie gehörte auch zu den ersten Spielerinnen, die sich über das Grunzen und Ächzen ereiferte, jene akustische Landplage, die den Tennissport öfters heimsucht. Boris Becker lehnte das Stöhnen ab, weil er es als zu sexuell und ungesund empfand. Navratilova fühlte sich in ihrer Interpretation des gegnerischen Schlages gestört und klagte, sie nutze die Information des Geräuschs, um sich korrekt zu positionieren.

Lee hat der L'Equipe erzählt, sein einziges Problem sei, dass er die Rufe der Linienrichter nicht hört, deutlichere Handzeichen wären hilfreich. Ansonsten habe er als gehörloser Tennisprofi einen Vorteil: "Ich konzentriere mich jederzeit auf mein Spiel. Weil es keinen Lärm gibt, der mich stört."

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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