Süddeutsche Zeitung

Tennisprofi Sinner in Köln:Beinahe wäre er Skifahrer geworden

Lesezeit: 3 min

Noch setzen sich die Tennis-Routiniers mit ihrer Erfahrung auf der Tour durch - doch das fällt ihnen zunehmend schwerer. Der Südtiroler Jannik Sinner und andere stehen für einen Generationenwechsel.

Von Milan Pavlovic, Köln

Gilles Simon wippte leicht verlegen vom linken auf den rechten Fuß, es ist ja nicht ganz leicht, öffentlich einzugestehen, dass man eine Spaßbremse ist. Der Franzose outete sich in Köln als Fan jenes jungen Spielers, den er gerade bezwungen hatte: "Als jemand, der es liebt, Tennis zu gucken, ist Denis Shapolavov einer der Spieler, denen ich am liebsten zusehe." Noch schöner ist es nur, so einen Jungspund mit Spielintelligenz auszubremsen.

Aber das wird zunehmend schwerer. Vielleicht wird man dereinst auf die Turniere dieses Herbstes zurückblicken als Eckpfeiler des Generationenwechsels auf der Tour. Natürlich, Rafael Nadal, 34, hat Anfang Oktober sein Abo auf die French Open reklamiert. Aber schon beim Turnier in Hamburg war kein Halbfinalist älter als 24, und es gewann der 23 Jahre alte Andrej Rublew. "Sie sind die Zukunft unseres Sports", sagte der Tennis-Fan Gilles Simon mit bewunderndem Unterton.

Der Mann aus Nizza kann das besser beurteilen als die meisten Profis. Der Franzose hat viele Spieler auf der Tour kommen und gehen sehen, kurz nach Weihnachten wird er 36, er steuert auf den 500. Match-Erfolg seiner Karriere zu und hat 14 Turniere gewonnen. Dennoch gehört Simon zu jener speziellen Generation um Richard Gasquet, Gaël Monfils und - um nicht nur Franzosen zu nennen - John Isner, David Ferrer, vielleicht sogar Philipp Kohlschreiber.

In anderen Zeiten hätten sie unter sich Grand-Slam-Titel ausgemacht - so litten sie stets unter der Dominanz des Trios Federer, Nadal und Djokovic, an denen sie regelmäßig scheiterten. Dominic Thiem war bei den US Open im September der erste Spieler seit langem, der das Diktat der Big Three aushebeln konnte, aber er ist inzwischen auch schon 27 und damit der Erste aus den Jahrgängen 1989 und jünger, der einen großen Titel beschaffen konnte.

Thiem bietet sich also als Pate der neuen Generation an, zusammen vielleicht mit Alexander Zverev, seinem 23 Jahre alten Finalgegner von New York, der trotz (oder gerade wegen) jener bitteren Endspiel-Niederlage gereifter wirkt. Auf dem Weg zum Titel beim ersten Kölner Turnier vor einer Woche musste Zverev nacheinander den Ansturm von drei Gegnern meistern, die so alt oder noch jünger sind als er.

Dabei überzeugten Lloyd Harris, 23, Alejandro Davidovich Fokina, 21, und Félix Auger-Aliassime, 20, nicht bloß durch ihren unbekümmerten Auftritt, der jungen Menschen zu eigen ist, die mehr an Siege als an das Scheitern denken. In dieser Woche stemmte sich Auger-Aliassime mit Erfolg gegen den deutlich erfahreneren Egor Gerassimow, auch als es nicht nach Plan lief, und qualifizierte sich wie Harris beim Turnier in Antwerpen für das Viertelfinale. Davidovich Fokina verpasste seinerseits einen Coup in Köln (und das Halbfinale), als er nach 6:2, 5:2 noch gegen Diego Schwartzman verlor, die Nummer neun der Welt. All diese Talente bringen sich in Position, das Attribut Talent abzulegen. Noch finden die Routiniers Wege, die Youngster auszuhebeln. Simon zum Beispiel schaffte es in Köln, dass Shapovalov sich selbst schadete, indem er dem Kanadier so viele Bälle apportierte, bis der 21-Jährige zu viel versuchte und Fehler beging. Diese sahen dann zum Teil grotesk aus, waren aber vor allem jugendlicher Ungeduld geschuldet.

Wer folgt hinter Tsitsipas und Medwedew?

"Denis kann so viel", sagte Simon und dachte dabei vermutlich vor allem an die famose einhändige Rückhand des Gegners: "Da muss man akzeptieren, dass er viele spektakuläre Punkte macht - und versuchen zu erreichen, dass er auch die Fehler begeht." Shapolavov, derzeit die Nummer zwölf der Welt, war wohl auch Opfer seiner eigenen Erwartungen. Er reiste vom höher dotierten Turnier in St. Petersburg an, wo er erst im Halbfinale gescheitert war - an Andrej Rublew. Der Russe ist Teil jenes Quartetts um Zverev, Stefanos Tsitsipas, 22, sowie Daniil Medwedew, 24, das sich in der Weltrangliste auf den Plätzen fünf bis acht etabliert hat.

In Schlagdistanz findet man etliche Profis zwischen 20 und 24, aber am meisten schwärmt Simon von der Nummer 46: einem schlaksigen Teenager aus Südtirol, der beinahe Skifahrer geworden wäre. Jannik Sinner empfand es auf Dauer aber wenig herausfordernd, dass alpine Rennen nur um die 120 Sekunden dauern. Da war Tennis animierender. Im November 2019 stellte er sich als Gewinner des Next-Gen-Turniers vor, in diesem Jahr war er bei den French Open der Einzige, der Rafael Nadal in die Nähe eines Satzverlustes brachte.

Eine "markante Erfahrung" nannte der 19- Jährige das Viertelfinale, das erst gegen Mitternacht endete, bei Temperaturen, die fast an alpine Skirennen erinnerten. Eine andere Lehrstunde erlebte Sinner am Freitag in Köln: ein Duell mit seinem größten Fan auf der Tour, Gilles Simon. Es war das bisher beste Match des Turniers. Sinner spielte einen blitzsauberen ersten Satz (6:3), wurde im zweiten Satz durch Simons Spielintelligenz überwältigt (0:6), geriet im entscheidenden Satz 0:2 in Rückstand, wehrte insgesamt 16 Breakbälle ab, die letzten bei einer 5:4-Führung, ehe er sich nach fast 160 Minuten zum zweiten Mal für ein Halbfinale qualifizierte.

Dort geht es am Samstagabend (Eurosport, ab 19 Uhr) gegen Alexander Zverev, der sich trotz einer Beinverletzung 6:4, 6:7 (5), 6:4 gegen Adrian Mannarino durchsetzte. Es wird eine Revanche für das French-Open-Achtelfinale, als Sinner gegen den erkrankten Deutschen gewann.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2020
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