Süddeutsche Zeitung

Tennis:Jetzt glauben sie dran

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Die ATP Finals in London zeigen, dass die jüngere Tennisgeneration sich endlich zutraut, die Dominanz von Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic zu durchbrechen.

Von Gerald Kleffmann, London/München

Obwohl sich die üblichen Verdächtigen der Tennisbranche an den vergangenen acht Tagen in der Londoner O2-Arena eingefunden hatten, gab es doch Abläufe bei den ATP Finals, die sich vom gewohnten Prozedere absetzten. So hatte sich Chris Kermode letztmals in seiner Funktion als Chef der Männerprofivereinigung ATP geäußert und gestanden, wie sehr ihn das schmerzte, nicht mehr weitermachen zu dürfen; der Brite war den Machtkämpfen einiger Spielerfraktionen zum Opfer gefallen. Am Samstag tauchte Tomas Berdych auf, der 34-jährige Tscheche, der acht Jahre in den Top Ten war, verkündete wie erwartet sein Karriereende. Überdies wirkte das Wochenende wie eine Hommage an eine oft genug tot geschriebene Schlagvariante. In der Runde der letzten Vier waren Roger Federer, Dominic Thiem und Stefanos Tsitsipas angelangt, die alle die einhändige Rückhand elegant wie einst Errol Flynn den Säbel schwingen. Nur Alexander Zverev zählte zum Klub der beidhändigen Rückhand-Strategen. Daran lag es aber nicht, dass er im Halbfinale gegen den Österreicher Thiem, 5:7, 3:6 ausgeschieden war. Der wiederum verlor dann das Finale am Sonntagabend gegen Tsitsipas 7:6, 2:6, 6:7. Für den Griechen ist es der erste große Titel seiner Karriere.

In Erinnerung blieben aber auch Worte, die so konkret nie ausgesprochen wurden.

Es haben sich nämlich an diesem Wochenende Experten gemeldet, die sagten: 2020 wird die Dominanz der etablierten Größen gebrochen werden! Dann werden die Sieger bei den Grand Slams nicht mehr nur Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic heißen! Die beiden letztgenannten hatten allein 2019 alle vier Major-Titel hälftig unter sich aufgeteilt, der Spanier beendete zum fünften Mal die Jahresendwertung als Erster, wofür er einen Pokal erhielt. Das Besondere an dem Hohelied auf die junge Generation war, dass es diesmal nicht von den Millionen Experten intoniert wurde, die sich im Tennis tummeln. Sondern: von der jungen Generation selbst.

"Ich denke, wir werden nächstes Jahr einen neuen Grand-Slam-Champion sehen", sagte Zverev selbstbewusst. Der letzte Champion außerhalb des Trios Federer-Nadal-Djokovic war der Schweizer Stan Wawrinka, der 2016 bei den US Open triumphierte. Zverevs Zuversicht speist sich aus dem Umstand, dass er sich nach einigen Rückschlägen in dieser Saison doch noch spielerisch steigern konnte und das Jahr als Siebter der Weltrangliste beenden wird. In London hatte er in der Gruppenphase mit seinem ersten Sieg gegen Nadal gezeigt, dass er wieder die Klasse gefunden hat, um die Besten zu bezwingen.

Auch Thiem, der in London Federer und Djokovic besiegt hatte, glaubt nun mehr denn je an den Generationenwechsel. Zwar sei er für ihn noch "nicht zu hundert Prozent sicher", denn "die großen Drei werden immer noch die Favoriten sein". Aber jetzt traut sich die Gruppe der Herausforderer, ein "Aber" an solche Gedanken zu heften: "Aber ich denke", sagte Thiem, "bei ein oder zwei Events werden jüngere Spieler den Durchbruch schaffen." In den letzten zehn Jahren setzten nur Wawrinka (drei Titel), Andy Murray (drei), Juan Martin del Potro und Marin Cilic (je einer) die Dominanz von Federer, Nadal und Djokovic bei den Grand Slams außer Kraft. Es gibt lauter solcher Rekorde der großen Drei. Den Kreis der möglichen Kandidaten, die für einen Erfolg in 2020 in Frage kommen, zirkelte Zverev so ein: "Es kann Daniil (Medwedew, Anm.) sein, es kann Stefanos sein, es kann Dominic sein. Und ich hoffe auch, in der Gruppe zu sein." Auch Federer traut ihr Großes zu. "Wir werden ja nicht jünger", sagte der 38-Jährige, "so steigen ihre Chancen - aber nicht, weil wir schlechter werden, sondern weil sie besser werden."

Auch wenn die Matches bei den ATP Finals über zwei Gewinnsätze gehen und anders als Grand-Slam-Matches im Best-of-five-Format zu deuten sind, zeigte die Riege der Zwanzigjährigen, dass sie sich tatsächlich näher an die Topleister herangepirscht hat. Der Tennisfuchs Medwedew, 23, wirkte nach seinem furiosen Jahr zwar nicht mehr frisch, aber Thiem, 26, und Tsitsipas, 21, bewiesen im Finale eine Schlag- und Wettkampfhärte über drei Sätze und zwei Tie-Breaks auf höchstem Niveau. Das nächste Kräftemessen der Generationen wird es ab Mitte Januar geben, bei den Australian Open in Melbourne. Was indes nicht heißt, dass die Profis gleich zum Relaxen auf den Malediven aufbrechen können, zumindest nicht alle.

In dieser Woche findet die neu eingeführte Davis-Cup-Woche in Madrid statt, auch mit dem deutschen Team, das Jan-Lennard Struff, Philipp Kohlschreiber, die die Neulinge Dominik Koepfer und Kevin Krawietz/Andreas Mies (Doppel) bilden. Zverev verzichtete, weil er die millionenschwere Veranstaltung, hinter der der spanische Fußballer Gerard Piqué mit Investoren steckt, ablehnt. Mit Federer flog der 22-Jährige am Sonntagabend nach Südamerika, in Argentinien, Chile, Kolumbien, Mexiko und Ecuador stehen Showmatches an. Später muss sich Zverev, wie er verriet, einer Augenoperation in New York unterziehen, es gilt, eine Hornhautverkrümmung zu korrigieren. Auf dem Platz benützt er ja Kontaktlinsen. In jedem Fall verließ Zverev London in Aufbruchsstimmung: "Für die jungen Spieler", befand er, "wird das ein aufregendes Jahr werden."

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Quelle:
SZ vom 18.11.2019
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