Süddeutsche Zeitung

Angelique Kerber:Eine unfassbare Nervensäge

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Von Jürgen Schmieder, Indian Wells/Los Angeles

Im Tie Break des ersten Satzes, nach eigenem Punktgewinn durch krachenden Schmetterschlag wohlgemerkt, da präsentierte Venus Williams (USA) diesen Blick, den nur Profisportler so wunderbar sarkastisch hinbekommen. Es war ein Lächeln, jedoch kein fröhliches, sondern ein spöttisches und resigniertes; niemand, der eine Partie gewinnen wird, sieht so aus wie Williams in diesem Moment. So sehen Leute aus, die wissen, dass das nichts mehr wird an diesem Tag, und so war es dann eine halbe Stunde später auch: Williams verlor das Viertelfinale in Indian Wells 6:7 (3), 3:6 gegen Angelique Kerber.

Der Punkt, der zu diesem Lächeln führte, war ein typischer Angelique-Kerber-Punkt: krachender erster Aufschlag von Williams, zwei wuchtige und präzise Rückhandschläge, zwei sichere Vorhand-Volleys. Normalerweise, gegen wahrscheinlich 99 Prozent aller Gegnerinnen, da wäre dieser Ballwechsel nach einem dieser fünf Versuche vorbei gewesen, aber eben nicht gegen Kerber. Die spielte all diese Bälle zurück, bis ihr der Verzweiflungs-Lob ein wenig zu kurz geriet und den Schmetterschlag der Gegnerin ermöglichte. Die Botschaft dennoch, wie schon so oft: Wer nicht jeden Punkt aggressiv und dennoch ohne Fehler zu Ende spielt, der wird ihn gegen Kerber häufiger verlieren als gegen jede andere Spielerin.

Williams, die im Juni ihren 39. Geburtstag feiern wird, hatte sich mit famosen Leistungen zuletzt und einem Sieg gegen Petra Kvitova (Tschechien) durchaus Hoffnungen auf den Turniersieg in Indian Wells machen dürfen. Kerber, 31, ist auf dem Tennisplatz jedoch eine unfassbare Nervensäge, weil sie keinen Ballwechsel abschenkt, aufgrund ihrer Fitness nicht nur den einen präzisen Ball der Gegnerin erlaufen kann, sondern die fünf danach auch noch; und sie verfügt über die technischen Fähigkeiten, selbst grandiose Angriffe mit verwinkelten Passierschlägen zu kontern. Sie besiegt ihre Gegnerinnen weniger als dass sie dafür sorgt, dass die sich selbst besiegen, allein im Tie Break des ersten Satzes zum Beispiel unterliefen Williams vier leichte Fehler.

Jetzt geht es im Halbfinale gegen Belinda Bencic

Das wahrlich Faszinierende dabei, und das verriet dieser Blick von Williams im Tie Break des ersten Durchgangs: Jede Spielerin auf der Frauen-Tour weiß mittlerweile, dass Kerber so agiert, es gibt dennoch kaum ein Mittel dagegen, wenn sie das auf höchstem Niveau tut. Kerber weiß im 16. Jahr ihrer Profikarriere, dass sie ihre Gegenrinnen nicht einfach so ausspielen und die meisten Partien mal so locker für sich entscheiden kann. Sie weiß aber auch, dass sie unfassbar schwer zu besiegen ist und fast jedes Spiel noch drehen kann mit dieser Spielweise, so zum Beispiel auch das Achtelfinale gegen Aryna Sabalenka (Weißrussland), als sie im dritten Durchgang scheinbar aussichtslos zurücklag und dennoch obsiegte.

"Man kann sich auf die Bedingungen und diese Plätze nicht vorbereiten", hatte Kerber bereits vor der Partie gegen Williams gesagt. Die Sonne brennt, es ist dennoch saukalt, weshalb Kerber in langärmligen Oberteilen spielt: "Dazu ist der Belag extrem langsam, weshalb man jeden Punkt aggressiv zu Ende spielen muss." Das ist freilich eine Fähigkeit, die kaum jemand besser beherrscht als sie selbst, weshalb ihr nun durchaus der erste Turniersieg in der kalifornischen Wüste zugetraut werden darf.

Im Halbfinale trifft sie in der Nacht zum Samstag (fünf Uhr MEZ) auf Belinda Bencic (Schweiz), über die Kerber am Donnerstagabend sagte: "Sie spielt in den letzten Wochen unglaubliches Tennis und ist deshalb zurecht sehr selbstbewusst." Das andere Spiel um den Finaleinzug bestreiten Bianca Andreescu (Kanada) und Elina Switolina (Ukraine). "Ich werde mein Bestes geben", sagte Kerber: "Und ich hoffe, mein bestes Tennis zeigen zu können." Wenn ihr das gelingt, ist es gut möglich, dass Bencic irgendwann so dreinblicken wird wie Williams am Donnerstagabend.

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