Süddeutsche Zeitung

Quarterbacks im Super Bowl:Zwei Männer mit grandiosen Fähigkeiten

Lesezeit: 5 min

Der Super Bowl zwischen den Kansas City Chiefs und den Tampa Bay Buccaneers wird zum Duell der Spielmacher: Patrick Mahomes und Tom Brady. Beide sind sich ähnlicher, als man annehmen könnte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Kansas City Chiefs können diesen Super Bowl nicht verlieren. Wer sich alle 18 Partien der Football-Franchise in dieser Saison genauer angesehen hat, der dürfte festgestellt haben: Sie überrollen schwächere Gegner einfach, filetieren stärkere wie die Baltimore Ravens, und sie haben dieses unfassbare Selbstbewusstsein, selbst in prekären Momenten wie in den Playoffs gegen die Cleveland Browns völlig gelassen zu bleiben. Sie haben viel zu viele Waffen, und sie haben in Patrick Mahomes, den besten Quarterback der Gegenwart. Noch einmal: Die Chiefs können diesen Super Bowl nicht verlieren!

Warum in aller Welt prognostizieren die Buchmacher in Las Vegas dann ein spannendes Finale in der Nacht zum Montag (0.30 Uhr MEZ, live ProSieben und DAZN), warum ist Kansas City nur leichter Favorit? Ganz einfach: Bei den Tampa Bay Buccaneers spielt der beste Quarterback der Geschichte, und niemand, wirklich niemand würde es wagen, Tom Brady für chancenlos zu erklären.

Es ranken sich Heldensagen um ihn; auch deshalb, weil er immer dann gewinnt, wenn es keiner für möglich hält. Bei seinem ersten Super-Bowl-Sieg im Jahr 2002 mit den New England Patriots (20:17 gegen die St. Louis Rams) erklärten die Kommentatoren auf der Tribüne den Versuch, beim Stand von 17:17 noch vor der anstehenden Verlängerung gewinnen zu wollen, für töricht. Längst gilt es als großer Schlüsselmoment dieses Sports, wie Trainer-Legende John Madden, 84, damals live am Mikrofon seine Meinung binnen einer Minute änderte. "Der Typ ist wirklich cool", sagte er über Brady, und gleich darauf, nach zwei weiteren Pässen: "Das ist unglaublich, ich hätte das als Trainer nie gewagt." Als Brady vom Feld joggte, um seinen Teamkollegen Adam Vinatieri das siegbringende Field Goal kicken zu lassen, sagte Madden: "Was Tom Brady da gerade getan hat: Gänsehaut."

Mahomes und Brady sind sich kurz beim Videochat begegnet

Hätte ein Autor ein Drehbuch zu dieser Saison der US-Footballliga NFL so vorgeschlagen, wie es nun Realität wurde, es wäre als weltfremd abgelehnt worden. Die Kurzfassung: Tom Brady, der 43 Jahre alte Spielmacher, verlässt die New England Patriots, mit denen er all seine sechs Titel gewann, um zu beweisen, dass er auch ohne seinen Trainer und Mentor Bill Belichick, 68, etwas bewegen und erfolgreich sein kann. Er wechselt zum Klub mit der historisch schlechtesten Siegquote (39,3 Prozent) aller 123 Franchises in den bedeutsamen vier US-Ligen. Er führt diesen Klub direkt ins Endspiel, das erstmals in der NFL-Geschichte in einer Arena ausgetragen wird, die einen der Finalteilnehmer beheimatet: die Buccaneers. Und er spielt gegen denjenigen, der als sein legitimer Thronfolger gilt, der im Vorjahr gewann, und der nun erstmals seit Brady (2004, 2005) den Titel erfolgreich verteidigen könnte.

Die Partie wird auf das Duell der beiden Spielmacher reduziert. Diese werden sich allerdings kein einziges Mal auf dem Spielfeld treffen: Mahomes wird von der Defensive der Buccaneers geblockt; Brady von der Verteidigung der Chiefs auf Distanz gehalten. Begegnet sind sich beide vor dem Finale kurz im Videochat, und dabei haben sie, ganz anders als zwei zähnefletschende Boxer vor einem Kampf, vor allem ihre gegenseitige Wertschätzung ausgedrückt. Mahomes über Brady: "Er ist ziemlich gut in allem, was immer er tut." Brady über Mahomes: "Was ich an ihm mag: Wie er sich bewegt und das Spielfeld überblickt; wie er dann diesen Arm einsetzt, den ich auch mal hatte, als ich noch jünger war. Ich wünschte auch, dass ich diesen No-Look-Pass beherrschen würde, aber das ist nun mal eine Sache für die jüngere Generation."

Womit man beim Motto des Duells wäre: Alt gegen jung! Brady, der Altmeister, wird begleitet von seinem neuen Cheftrainer Bruce Arians, 68, und dessen Assistenten Tom Moore, dieser ist 82 und hat schon 1979 mit den Pittsburghs Steelers den Super Bowl gewonnen. Gegen diese Phalanx der Senioren steht Mahomes, immer noch erst 25, der mit Chiefs-Coach Andy Reid, 62, eine hochmoderne, spektakuläre Football-Philosophie entwickelt hat. Das Spiel dürfte deshalb zum Clash der Generationen werden, weshalb sich die neutralen Zuschauer in zwei Lager aufteilen: In jenes der Ü45-Generation, die darauf pocht, wie wichtig Erfahrung und Weisheit im Leben ist. Und in jenes der Jüngeren, die sich freuen würden, wenn der coole Mahomes (der Vater ist schwarz, die Mutter weiß) es als Repräsentant des diversen Amerika dem alten weißen Mann (Brady war jahrelang bestens mit Donald Trump bekannt) einmal so richtig zeigen würde.

Brady pflegt sein Image, er brüllt die Mitspieler schon mal an

Damit sind die Unterschiede benannt, doch beide Quarterbacks, die 18 Lebensjahre trennen, sind sich ähnlicher, als viele es wahrhaben wollen. Sie sind nämlich bei allen messbaren Qualitäten vor allem herausragend in dem, was die Amerikaner Intangibles nennen: Dinge, die sich nicht statistisch erfassen lassen. Zum Beispiel in ihrer Professionalität, die bei Brady an Verbissenheit grenzt. Dessen asketischer Lebensstil samt selbstkasteiendem Fitnessprogramm (in das Brady einen etwa siebenstelligen Betrag pro Jahr aus eigener Kasse investiert) ist bekannt. Teamkollege Leonard Fournette erklärte Bradys Haltung vor dem Finale so: "Du kennst all die Geschichten, und dann erlebst du ihn: immer zu früh, immer perfekt vorbereitet, immer präsent. Welcher junge Spieler würde sich trauen, nicht permanent Vollgas zu geben, wenn es der Beste der Geschichte tut?" Brady pflegt dieses Image, er brüllt seine Mitspieler schon mal an - und wer würde wagen, ihm zu widersprechen?

Brady ist ein nervenstarker Anführer, der die New England Patriots sechs Mal zu knappen Super-Bowl-Siegen führte und 2017 gegen die Atlanta Falcons sogar einen 3:28-Rückstand aufholen konnte. So einem folgt die Crew blind, auch wenn es nicht so läuft wie zunächst in der zweiten Halbzeit im Halbfinale bei den Green Bay Packers. Brady warf drei Interceptions (Verteidigung fängt den Ball ab), doch dann führte er sein Team zum entscheidenden Field Goal und spielte bis zum 31:26-Endstand die Zeit herunter. Brady hat die Football-Franchise aus Tampa vitalisiert, er implantierte den Verlierern von einst den Glauben, im Finale wahrhaftig gewinnen zu können.

Mahomes ist ein komplett anderer Spielertyp. Das liegt tief in seinem Naturell: Vater Pat, einst Werfer in der Baseballliga MLB, ließ den jungen Patrick möglichst viele Disziplinen probieren, weil er annahm, dass ihm dies im Sport wie im Leben helfen werde. Heute sind in seinen Bewegungsabläufen als Quarterback Elemente aus anderen Ballsportarten zu entdecken (No-Look-Pässe, Würfe aus dem Unterarm, spontane eigene Läufe), wie es dies in der Häufung beim Football noch nicht gab. Mahomes ist ein Großmeister der Improvisation. Zudem erkannten die Chiefs 2017 im Vorstellungsgespräch, dass er detektivisches Talent besitzt: Niemand dechiffriert die Bewegungen, die Züge des Gegners so blitzartig wie er. Er erkennt, was andere erst viel später sehen, dann, wenn es längst vorbei ist.

Daraus hat sich bereits in relativ jungen Jahren ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickelt, das es ihm erlaubt, schon heute so nervenstark zu wirken wie sein Antipode Brady. Belegt durch die Statistik: In vier seiner letzten fünf Playoff-Partien, dazu zählt der Super Bowl der vergangenen Saison (31:20 gegen die San Francisco 49ers), lagen die Chiefs jeweils mit neun oder mehr Punkten zurück - und siegten mit elf und mehr Punkten Vorsprung. Mahomes weiß, dass er jederzeit punkten kann.

Es wird den Showdown vor 25 000 zugelassenen Zuschauern in Tampa nicht der Quarterback mit dem kräftigeren Arm (Mahomes) oder dem präziseren Arm (Brady) gewinnen. Auch nicht der flinkere (Mahomes) oder der, der nahe an der Endzone am cleversten selbst zum Touchdown läuft (Brady). Es wird der siegen, der diese grandiosen Fähigkeiten, die in keiner Statistik auftauchen und die doch jeder kennt, am besten einsetzt. Es wäre deshalb töricht zu behaupten, dass die Kansas City Chiefs den Super Bowl nicht verlieren können.

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