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Sun Yang vor Gericht:Selbst Suns Verteidiger ruft: Stopp!

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Dem Schwimm-Olympiasieger droht eine lange Sperre. Vor dem Cas versucht er, eine aus dem Ruder gelaufene Dopingkontrolle zu erklären - doch gleich zu Beginn kommt es zu weitreichender Konfusion.

Von Claudio Catuogno, Montreux

Um 9.10 Uhr am Freitagmorgen nimmt Sun Yang auf dem Zeugenstuhl Platz. Bis in den Abend hinein wird es um die Zukunft seiner Karriere gehen im Konferenzzentrum eines Hotels in Montreux. Elf WM-Titel, dreimal Olympiagold, 33 Millionen Fans beim sozialen Netzwerk Weibo, in China ist der 27 Jahre alte Schwimmer ein Volksheld. Doch all das steht infrage: Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) fordert eine Sperre von zwei bis acht Jahren. Verhandelt wird über jene aus dem Ruder gelaufene Dopingkontrolle in der Nacht auf den 5. September 2018, an deren Ende eine Kontrolleurin, eine Krankenschwester und ein Assistent Suns Anwesen ergebnislos verließen.

Eine Urinprobe gab Sun damals nicht ab, weil ihm sowie den von ihm konsultierten Ärzten die Ausweispapiere des Assistenten nicht ausreichten, der ihn auf die Toilette begleiten sollte. Und das Behältnis mit dem abgenommenen Blut lag irgendwann draußen im Hof, zerschlagen mit einem Hammer. Ein verweigerter Dopingtest hat für einen Athleten normalerweise dieselben Konsequenzen wie ein positiver. Und Sun war 2014 schon einmal drei Monate gesperrt, er wäre also Wiederholungstäter. Das Doping-Panel des Weltverbandes Fina hatte ihn aber freigesprochen; es folgte der Ansicht von Sun und seiner Entourage, dass das Kontrollteam sich nicht ausreichend ausgewiesen habe. Kein ordnungsgemäßer Test sei das gewesen - insofern konnte Sun ihn gar nicht verweigern. Die Wada legte Widerspruch beim Internationalen Sportgerichtshof Cas ein, der Cas verhandelte am Freitag öffentlich, erst zum zweiten Mal in seiner Geschichte. Sun Yang hatte das beantragt, damit "alle die Wahrheit hören können".

Fast anderthalb Stunden waren angesetzt für Suns Aussage, danach waren acht weitere Zeugen geladen. Doch nun begann die öffentliche Anhörung damit, dass man sich nicht verstand. Sun und seine Verteidiger hatten die Übersetzerinnen mitgebracht - so sehen es die Cas-Regeln vor, da es ja im Interesse des Angeschuldigten ist, dass man ihn versteht. Aber was die beiden Chinesinnen übersetzten, brachte weitreichende Konfusion, auch im Sun-Yan-Lager. Einmal, als in einer englischen Frage von 200 Kontrollen die Rede war, in der chinesischen Übersetzung aber von 200 Millilitern Blut, rief selbst Suns Verteidiger: Stopp! Was die konkreten Schilderungen des Athleten angeht, müssen sich die drei Cas-Richter jetzt an die schriftlichen Stellungnahmen halten. Bis zum Nachmittag, als weitere chinesische Zeugen aussagten, hatte die Wada eine bessere Dolmetscherin herbeigeschafft.

19 000 Tests gab es allein 2018 - alle ohne Beschwerde

Die jeweiligen Gefechtslinien wurden aber trotz des Sprachgewirrs deutlich. Die Wada ließ drei Zeugen antreten: ihren zuständigen Direktor für die Testregularien sowie zwei Mitarbeiter des schwedischen Dienstleisters IDTM, der die Kontrolle im Herbst 2018 verantwortet hatte. Deren Tenor: Die Papiere des Testteams seien ausreichend gewesen. Zwar gebe es weiterreichende Handlungsempfehlungen, die seien aber nicht bindend. 19 000 Tests habe IDTM allein 2018 auf diese Weise durchgeführt, ohne Beschwerden. Alles sei also regelkonform abgelaufen - abgesehen davon, dass der Assistent zu Beginn Privatfotos von dem prominenten Klienten machte. Das sei unprofessionell, rechtfertige aber nicht das Verweigern der Probe.

Suns Mutter Ming Yang, die Ärzte Ba Zhen und Han Zhaoqi und der Leiter des Schwimmteams, Hao Cheng, die am fraglichen Abend teils persönlich, teils am Telefon gemeinsam beschlossen, dass keine Probe das Anwesen verlassen werde, betonten hingegen unisono: Es gab keine ausreichende Akkreditierung und Autorisierung! Außerdem habe man den Probenbehälter mit dem Hammer nicht zerstören wollen, sondern sich von der Kontrolleurin ermutigt gefühlt, die Blutproben daraus zu entfernen. Sie habe das Equipement eben wieder mitnehmen wollen.

Das Cas-Panel unter Vorsitz des ehemaligen italienischen Außenministers Franco Frattini wird sein Urteil erst Anfang 2020 verkünden.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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