Süddeutsche Zeitung

Südkorea:Auf Krücken

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Beim 1:2 gegen Mexiko leiden die Asiaten wieder darunter, dass in der harmlosen Offensive Heung-Min Son für alle großen Momente zuständig ist.

Von Benedikt Warmbrunn, Rostow am Don/Kasan

Die Arme von Hyun-Soo Jang sind ein vielschichtiges Kunstwerk. Jang, 26, sieht aus wie ein Mann, der sich viel Zeit genommen hat, um die Kunstgeschichte zu studieren, und gemeinsam mit mutmaßlich nicht nur einem Tätowier-Meister hat er sich zu einigen eigenen Werken inspirieren lassen. Seine Arme sehen nun so aus, als hätte auf ihnen Raffael ein Seminar über die Freskomalerei gegeben, um dann von Pablo Picasso in seiner kubistischen Phase abgelöst zu werden, gefolgt vom exzentrischen Jonathan Meese mit ein paar Dosen Graffitispray.

Seiner Arbeit als Fußballverteidiger hat Jangs Leidenschaft für die schönen Dinge des Lebens bisher nicht geschadet, wie die meisten Fußballverteidiger auch arbeitet er vor allem mit den Beinen (auf denen übrigens noch viel Platz wäre für weitere Werke), und doch sind Jangs Arme und mit ihnen seine Nähe zur Kunst der gesamten Welt nun etwas besser bekannt. Jangs Arme, genauer gesagt: sein rechter Arm, sind das Körperteil, das Südkoreas Chancen bei der WM auf ein Minimum reduziert hat.

In der Partie der Südkoreaner gegen die Mexikaner am Samstagnachmittag in Rostow am Don lief die 24. Minute, als Andrés Guardado von der linken Seite den Ball halbhoch in den Strafraum flankte, gerade hoch genug, dass der Ball dem heranschlitternden Jang an den rechten Arm fliegen konnte und dort auf seiner Flugbahn abrupt gestoppt wurde. Es gab Elfmeter, Carlos Vela traf für die Mexikaner. 1:2 (0:1) verlor Südkorea die Partie, die Mannschaft reist nun mit geringen Aussichten aufs Weiterkommen zum letzten Gruppenspiel am Mittwoch (16 Uhr/ZDF) in Kasan gegen Deutschland, und mit Jangs Künstlerarm fing das ganze Dilemma an.

Das Spiel Südkoreas war gegen Mexiko nicht mehr von einer verstörenden Schüchternheit geprägt wie noch das 0:1 zum Auftakt gegen Schweden. Die Spieler von Trainer Tae-Yong Shin bearbeiteten die Mexikaner sogar mit einer ganz neuen Ruppigkeit, nach zwölf Minuten hatten sie bereits sieben Fouls gesammelt, nach dem Schlusspfiff kamen sie auf 20. Auch sonst waren die südkoreanischen Bemühungen unübersehbar, emsig liefen sie über den Rasen, unbeirrt starteten sie einen Angriff nach dem anderen. Dass all dies dennoch nicht zum Erfolg führte, lag auch daran, dass die Mexikaner spielerisch überlegen und obendrein abgezockter waren. Es lag aber auch daran, dass sich die Südkoreaner in den entscheidenden Szenen selbst der größte Gegner waren. In der Defensive zum Beispiel, als Jang den Elfmeter verursachte. Und in der Offensive eigentlich stets dann, wenn ein Angreifer den Strafraum betrat. "Die Spieler brauchen nichts zu bereuen", sagte Shin später, aber bei diesem Satz muss ihm zwischenzeitlich entfallen sein, wie verschwenderisch diese Spieler mit ihren Chancen umgegangen waren.

Anders als gegen die Schweden erspielte sich Südkorea einige Strafraumszenen, doch genauso wie gegen Schweden war die Mannschaft dabei abhängig von Heung-Min Son. Dem Angreifer von Tottenham Hotspur gelingt es dank seiner Schnelligkeit und seiner Technik als einzigem im Team, gelegentlich die Pfade des Vorhersehbaren zu verlassen. Gegen Mexiko dribbelte er immer wieder in den Strafraum hinein, doch im Rausch der Geschwindigkeit fehlte ihm dabei lange die Präzision. Erst in der dritten Minute der Nachspielzeit besaß er die nötige Ruhe, er schickte den Ball auf einer Flugbahn, die sich formvollendeter nicht zeichnen ließe, schwungvoll ins Tor. Es war, übrigens, ein Treffer aus der Distanz. Und es war der erste Treffer Südkoreas nach drei torlosen Partien.

Südkoreas Chancen sind gering, aber genau darin steckt großes Potenzial

Sons glanzvoller Treffer änderte zwar nichts daran, dass Südkorea nun mit null Punkten nach Kasan reist, und doch hält dieser Treffer zumindest einen winzigen Restglauben wach, dass Südkorea noch ins Achtelfinale einziehen könnte. Dazu müsste die Mannschaft gegen Deutschland gewinnen und gleichzeitig Mexiko gegen Schweden. "Es ist ein schwerer Moment, aber wir sind professionell und werden weiter hart arbeiten", sagte Son. Was bleibt ihnen auch anderes übrig?

Zusätzlich erschwert wird dieses Vorhaben dadurch, dass Kapitän Sung-Yueng Ki höchstwahrscheinlich verletzt ausfallen wird. Der 29-Jährige, mit seiner Spielintelligenz und seiner Technik das Metronom der südkoreanischen Angriffe, verließ die Arena in Rostow am Don auf Krücken; er hatte sich am Fuß verletzt. Ein Sprecher des südkoreanischen Verbandes erklärte, dass sich die Verletzung noch nicht exakt diagnostizieren und sich daher noch nicht genau bestimmen lasse, wie lange Ki ausfällt. Sollte er gegen Deutschland fehlen, läge die gesamte Verantwortung endgültig allein auf dem schnellen Heung-Min Son. "Wir müssen die Köpfe freibekommen", sagte dieser noch.

Die Chancen Südkoreas sind also gering, und doch steckt darin großes Potenzial. Sollte die Mannschaft entgegen aller Prognosen, aller Wahrscheinlichkeiten, aller Widrigkeiten das Achtelfinale erreichen, wäre das ja ein Stoff, der ausdrucksstarke Künstler aller Stilrichtungen zu großen Heldenwerken inspirieren könnte.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2018
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