Streit um Dopingtests:Wie Joghurt aus dem Supermarkt
Lesezeit: 3 Min.
Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München
Die Blutentnahme war schon eine Weile vorbei, der Dopingkontrolleur hatte das Haus bereits verlassen. Doch als der getestete Athlet die Verpackung entsorgen wollte, mit der die Utensilien für eine Kontrolle umwickelt sind, fiel ihm etwas auf: das Haltbarkeitsdatum, das auf dem sogenannten Kit aufgedruckt war. Es war einige Monate überschritten.
Was der Athlet seinem Anwalt schilderte, klingt nach einer ungewöhnlichen Panne, die nicht vorkommen sollte, bei den vielen Kontrollen aber mal vorkommen kann. Geht man dem Fall nach, tritt bei den verantwortlichen Instanzen aber eine Haltung zutage, die Zweifel an der Integrität des Anti-Doping-Systems schüren könnte. Denn für die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) spielt es keine Rolle, ob das Haltbarkeitsdatum der genutzten Utensilien abgelaufen war oder nicht. Die Probe zählt.
In der Regel stellt die Firma Berlinger alles zusammen, was der Kontrolleur für die Kontrolle braucht. Auf den verpackten Nadeln und Röhrchen steht ein Haltbarkeitsdatum, ebenso auf einem Etikett auf der Tüte. Die von der Nada beauftragten Kontrollfirmen kaufen das Material und verteilen es an die Tester. Normalerweise gehört es zu den Aufgaben der Firmen, darauf zu achten, dass keine abgelaufenen Kits benutzt werden. Nada und Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) sagen, sie hätten diesen Fall noch nie gehabt. Passieren kann es offenbar doch. Dem Sportrechtler Rainer Cherkeh aus Hannover sind inzwischen drei Fälle bekannt, in denen Mandanten ihm von der Verwendung abgelaufener Utensilien bei Blutkontrollen berichteten.
Zwei problematische Aspekte
Besonders wichtig ist die Haltbarkeitsfrage bei den Röhrchen, durch die das entnommene Blut fließt. Der Stuttgarter Labormediziner Matthias Orth verweist auf zwei problematische Aspekte: Zum einen könne das Vakuum aufgrund zu langer Lagerung vermindert sein und zu falschen Mischungsvolumina führen, zum anderen sind Zusatzstoffe im Röhrchen.
"Sind die Röhrchen abgelaufen, kann es zu Beeinträchtigungen des Ergebnisses kommen. Im Anti-Doping-Kampf wollen Sie Veränderungen dokumentieren, die in einem minimalen Bereich liegen, da müssen Sie sichergehen, dass es durch keinen äußeren Faktor zu einer noch so geringen Verfälschung kommen kann", sagt Orth, Vorstand im Berufsverband Deutscher Laborärzte: "Wir haben öfter gemerkt, dass bei Proben aus abgelaufenen Röhrchen unplausible Werte herauskamen. Besonders in einem forensischen Labor dürfen Sie niemals abgelaufene Röhrchen benutzen."
Die Nada teilt diese Bedenken nicht. Sie erklärt, dass eine Probe weiterhin valide und rechtlich verwertbar bleibe. Weder der Wada-Code noch die einschlägigen Standards würden diesbezüglich Vorgaben machen. Zudem lägen ihr keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, nach denen sich Material mit überschrittener Haltbarkeit auf das Analyseergebnis auswirkt. Nach dem Motto: Auch ein Joghurt aus dem Kühlregal im Supermarkt lässt sich gegebenenfalls noch ein paar Tage nach dem aufgedruckten Datum verzehren.
Mediziner sind fassungslos über die Nada-Position. "Wenn die Sorgfaltspflicht nicht gewahrt wird, ist das ein Skandal und jede Spekulation über mögliche Resultate hinfällig", sagt Michael Amling, Professor für Osteologie am Hamburger Uni-Klinikum. Auch Sportrechtler Cherkeh versteht diese Haltung nicht. Er zweifelt die Glaubwürdigkeit des Anti-Doping-Kampfes in einem entscheidenden Punkt an. "Für zurückliegende Blutkontrollen stellt sich ab jetzt in jedem Einzelfall die Frage, ob die ermittelten Blutwerte aus Proben mit verfallenen Probenröhrchen stammen. Wenn dies der Fall ist oder sich dies im Einzelfall nicht mehr aufklären lässt, steht hinter jedem hämatologischen Labor-Ergebnis der insoweit betroffenen Athleten ein großes und nicht hinnehmbares Fragezeichen."
Dabei sind verschiedene Bluttests zu unterscheiden. Bei einem Teil gibt es einen Test unmittelbar auf verbotene Substanzen. Ein anderer Teil dient zum Aufbau des Blutpasses, mit dessen Hilfe die Verbände Abweichungen im Athletenblut erkennen wollen, die auf verbotene Substanzen hindeuten. "Dazu ist aber Grundbedingung, dass alle erhobenen und im Blutpass übernommenen Werte aus Proben stammen, die unter wissenschaftlich abgesicherten Bedingungen entnommen wurden", sagt Cherkeh. "Indirekte Nachweisverfahren sind wissenschaftlich ohnehin umstritten. Deshalb müssen die eingesetzten Verfahren zur Probengewinnung über alle Zweifel erhaben sein. Das scheidet hier aus."
Wer prüft morgens um sechs Uhr die Haltbarkeit?
Offenkundig gibt es das systematische Problem, dass niemand die Haltbarkeit prüft. Die Nada verweist darauf, dass Kontrolleur oder Athlet beim Test das Kit austauschen könnten, falls ihnen das Verfallsdatum auffällt. Doch welcher Athlet schaut sich morgens um sechs Uhr das Etikett auf der Packung oder das Datum auf dem Röhrchen genau an? Nach der Entnahme gibt es keine Prüfstelle mehr. Das Labor kontrolliert die Probe auf etwaige Transportschäden, aber schaut nicht mehr auf das Haltbarkeitsdatum des Röhrchens.
Die Wada sagt, im Ernstfall müsse bewiesen werden, dass die Verwendung eines alten Röhrchens die Probe beeinflusst habe. Damit liegt die Verantwortung beim Athleten. Der muss im Sportrechtssystem ohnehin beweisen, wie eine Substanz unabsichtlich in seinen Körper gelangte. Jetzt müsste er sich auch mit der korrekten Beschaffenheit des Proberöhrchens und anderer Dinge befassen.
Für Michael Amling ist das nicht nur unter sportrechtlichen Aspekten fragwürdig: "Wenn ich Patienten Blut abnehme und in ein Röhrchen tue, das abgelaufen ist, ist das Körperverletzung, weil es ohne Indikation geschieht. Legitim ist es, den Sportler zu testen, weil das aber mit abgelaufenem Röhrchen nicht zweifelsfrei möglich ist, bleibt hier der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit." Und damit, so Amling, ein Straftatbestand: "Da erübrigt sich jede Debatte."