Süddeutsche Zeitung

Snowboard:Kontrolle im Chaos

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Annika Morgan vom SC Miesbach schreibt Geschichte im Big-Air-Weltcup. Sie erobert den ersten Podestplatz für eine deutsche Athletin. Dabei hatte der Wettbewerb in Steamboat Springs mit einem kuriosen Versehen angefangen.

Von Andreas Liebmann

Man braucht Mut. Kraft, um die Rotation für diesen Trick einzuleiten. Man braucht natürlich enorme Konzentration, um den Überblick zu behalten, und jene Koordinationsfähigkeit, die ohnehin jeder benötigt, der auf einem Snowboard im Big-Air-Weltcup durch die Luft wirbeln möchte. Und natürlich kann man bei all diesen komplexen Herausforderungen auch mal ein winziges Detail übersehen. Im Fall der Mittenwalderin Annika Morgan war es die Uhrzeit. Die 19-Jährige hatte schlicht den rechtzeitigen Aufbruch zur Qualifikation verpasst in Steamboat Springs, Colorado. Das war die Geschichte vor der Geschichte, oder anders: jene kleine Anekdote, an deren Ende Annika Morgan vom SC Miesbach deutsche Snowboard-Geschichte schrieb.

Ohne ihre Verspätung, wer weiß, wäre alles vielleicht ganz anders gelaufen, unspektakulärer. "Der liebe Michi musste mir in letzter Sekunde mein Board abziehen", erzählte Morgan nach der chaotischen Qualifikation in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Der liebe Michi heißt Dammert mit Nachnamen, er ist der verantwortliche Freestyle-Bundestrainer, dessen Nerven sie strapaziert hatte, deshalb muss man vielleicht sicherheitshalber übersetzen, dass "abziehen" in diesem Fall nicht gleichbedeutend war mit "über die Rübe ziehen". Für vier Trainingsdurchgänge genügte die Zeit noch, dann zeigte Annika Morgan einen Backside 720, der nicht reichen würde für die besten acht Plätze. Also wagte sie, die bereits für die Winterspiele in Peking qualifiziert ist, erstmals einen Backside 1080, für den man mit dem Rücken zur Fahrtrichtung abhebt und an dem sie seit einiger Zeit im Training arbeitet. Lohn war Rang drei, knapp hinter der österreichischen Legende Anna Gasser - und damit der einzige Finalplatz für Deutschland. "Extrem krass" fand sie das, und "ein bisschen unreal". Leon Vockensperger vom SC Rosenheim, der sein Peking-Ticket ebenfalls sicher hat, blieb auf Rang 28.

Zum Finale am Samstag erscheint Morgan dann pünktlich, braucht ihr Streichergebnis aber durch einen Sturz gleich im ersten Versuch auf - und steht fortan unter Druck. Cab Double Cork 900 - sie behält die Nerven. Dann, zur Entscheidung, erneut der Backside 1080. Leichte Unsicherheiten bei der Landung, doch es reicht: zu Platz drei hinter Reira Iwabuchi aus Japan und Anna Gasser - und damit zum ersten Weltcup-Podestplatz für eine deutsche Athletin in der Geschichte dieser Disziplin. "Ich pack's nicht", jubelte Morgan, "heute ist ein Traum wahr geworden." Die kleine Verspätung könnte ihr der Bundestrainer möglicherweise verziehen haben.

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