Süddeutsche Zeitung

Alpine Ski-WM:Ein Achterbahnslalom zum Finale

Lesezeit: 3 min

Ein Rennen, viele Geschichten: Der Norweger Henrik Kristoffersen krönt sich von Platz 16 aus zum Weltmeister, ein Grieche gewinnt Silber. Auch die DSV-Starter Sebastian Holzmann und Linus Straßer überraschen - im Guten wie im Schlechten.

Von Johannes Knuth, Courchevel

Wo fängt man an nach solch einem Slalom? Bei der Turnstunde des Norwegers Henrik Kristoffersen, der die Fahrten der Rivalen im Sitzen verfolgte, in der Hocke, hüpfend und mit aufgeblasenen Backen - bis niemand mehr übrig war, der seine Bestzeit überbieten konnte? Bei AJ Ginnis, der das Skifahren einst am Parnass-Berg in Griechenland, Kaprun und in den USA lernte, vor fünf Jahren nicht mehr gut genug war fürs amerikanische Slalomteam, am Sonntag nun Silber gewann für Griechenland, die Heimat des Vaters? Bei Linus Straßers heraushängender Zunge im Ziel? Bei Straßers Teamkollege Sebastian Holzmann, der zwei derart starke Läufe aneinanderknüpfte, dass er sogar zur Siegerehrung geladen wurde, als Fünfter, in Spuckweite zu den Besten?

Der Sonntag war der wohl stimmungsvollste Tag dieser nicht gerade stimmungsarmen Ski-WM in Frankreich. Der Zielraum in Courchevel quoll über vor Vorfreude. Die Österreicher hatten Hörner mitgebracht, die offenbar der Festung Helms Klamm aus dem Buch "Der Herr der Ringe" entstammten. Die Franzosen konterten mit Gebrüll und Kuhglocken, die offenbar von den Schweizern geliehen waren.

Der erste Lauf war einfach ausgeflaggt, die besten 20 Fahrer drängelten sich binnen einer (!) Sekunde, jeder konnte noch alles gewinnen oder alles vergeben, und so las sich das finale Klassement dann auch. Kristoffersen kletterte von Rang 16 zum Goldgewinn, seinem ersten WM-Titel im Slalom, Landsmann Lucas Braathen verspielte einen gigantischen Vorsprung. Ginnis verteidigte den Silberrang, der Südtiroler Alex Vinatzer drängelte sich noch aufs Podest. Und Sebastian Holzmann, 29, vom SC Oberstdorf, bündelte diesen Achterbahnslalom treffend, als er sagte "Das hier wird mir für immer in Erinnerung bleiben."

Straßer bietet sich eine große Chance - dann unterläuft ihm ein "tödliches" Manöver

Aus deutscher Sicht musste man trotzdem bei Straßer beginnen: Für ihn war Courchevel auch ein Etappenziel gewesen auf einer Reise, die der von Bronzegewinnerin Lena Dürr nicht unähnlich war. Er hatte sich in den vergangenen zwei Jahren, nach zähen Wintern, in der Weltspitze festgebissen; nach einem Prozess, "der mich auch zu der Persönlichkeit gemacht hat, die ich bin", wie er vor dem Rennen gesagt hatte. Zuletzt hatte er auf dieser Reise drei Weltcup-Siege gesammelt, diverse Visiten auf den Podesten, zuletzt hatte er an der schwersten Aufgabe getüftelt: Er wollte nicht nur an ausgewählten Tagen gut sein, sondern so oft es geht.

Der bisherige Weltcup-Winter erschien in diesem Licht wie ein Steigerungslauf, in Courchevel bot sich Straßer jedenfalls eine sehr hübsche Chance. Er hatte im ersten Lauf das Risiko perfekt abgemischt, 14 Hundertstel trennten ihn vom Halbzeitführenden Manuel Feller, auf die nächsten Verfolger hatte er eine halbe Sekunde Vorsprung. Nun steckte auch noch sein Trainer Bernd Brunner, der Straßers Fahrstil und Kopf über Jahre fit für die Weltspitze gemacht hatte, den zweiten Lauf, so wollte es das Los. Und Brunner servierte seinem Schützling das, was dieser mag: die Tore ein bisschen weiter auseinander, drehend, geschüttelt und gerührt. Und dann?

Trieb es Straßer im Mittelteil ein paar Mal aus der Spur, ein "tödliches" Manöver (Straßer), wenn die Tore derart weit auseinander stehen. Seine Stärke verkehrte sich ins Gegenteil, acht Zehntelsekunden Guthaben auf Kristoffersen verwandelten sich in sieben Zehntel Rückstand - Platz neun. "Es ist alles gut, so wie es bis hierhin gelaufen ist, und es ist alles gut so, wie es kommt", hatte Straßer vor dem Lauf gesagt - auch wenn die Kaltfront seines ersten Frusts, die er am Sonntag vor sich herschob, zunächst anderes nahelegte.

Und so landete man bei Sebastian Holzmann, der sich am Sonntag fast in die ganz großen Überraschungsfahrten dieser WM einreihte. Der schon im Januar 2014 im Weltcup debütierte, bis zum vorvergangenen Winter brauchte, um in die erweiterte Weltspitze im Slalom zu gleiten. Vor dem vergangenen Olympiawinter riss dann eine Sehne im Knie, die Saison war früh vorbei, "es war wirklich eine bittere Zeit", sagte Holzmann. Aber die ersten Puzzleteile hatten sie schon vor fünf, sechs Jahren gelegt: mit den Trainern um Brunner, Andreas Omminger, Fritz Jodok und Hannes Wagner, mit einem Wechsel des Ski-Ausrüsters, auch mit dem Wissen der Teamkollegen Straßer und Alexander Schmid, die die nachrückende Generation so gut es geht unterstützen. Holzmann knüpfte in diesem Winter jedenfalls daran an: Drei 18. Plätze in Wengen, Kitzbühel und Schladming umrissen die ersten Konturen des Erfolgs. Aber jetzt, Platz fünf im WM-Slalom, mit nur 24 Hundertstel Rückstand auf Bronze?

Letztlich hatte Holzmann nun umgesetzt, was Cheftrainer Christian Schwaiger seit Jahren von der zweiten Garde fordert: sich unter den besten 30 des ersten Laufs einfinden - wie Holzmann am Sonntag als 18. - dann die umgekehrte Startreihenfolge im zweiten Lauf auf frischgebügelter Piste als Sprungbett nutzen, um in die Spitze zu hüpfen. "Ich habe alles reingeschmissen und wurde mal belohnt", sagte Holzmann. Es war die passende Pointe dieses Achterbahnslaloms.

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